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Politik: Spaniens Außenminister befürchtet, dass der spanische Richter Garzón die Beziehungen zu Argentinien beschädigt

In Spaniens Regierungszentrale, dem Moncloa-Palast in der Hauptstadt Madrid, läuten die Alarmglocken. Ausgelöst durch den eifrigen "Superrichter" Baltasar Garzón, der jetzt auch den argentinischen Diktatoren den Prozess machen will - wie zuvor schon Chiles Ex-Präsidenten Pinochet.

In Spaniens Regierungszentrale, dem Moncloa-Palast in der Hauptstadt Madrid, läuten die Alarmglocken. Ausgelöst durch den eifrigen "Superrichter" Baltasar Garzón, der jetzt auch den argentinischen Diktatoren den Prozess machen will - wie zuvor schon Chiles Ex-Präsidenten Pinochet. Ein Alptraum für Spaniens Regierung, die noch unter der diplomatischen Eiszeit mit Chile leidet und erst recht für die spanische Wirtschaft, dem größten Investor in Lateinamerika. Nun soll unter allen Umständen verhindert werden, dass Untersuchungsrichter Garzón seine letzte Karte zieht und den rund 100 Haftbefehlen gegen argentinische Militärs auch noch die Auslieferungsgesuche folgen lässt.

Spaniens Außenminister Abel Matutes fleht den Ermittler Garzón derzeit fast auf Knien an, seine frisch eröffnete Jagd auf die Mitglieder der früheren argentinischen Diktatur (1976 bis 1983) zu überdenken. Die "Vernunft" spreche dagegen, die Verfolgung der Ex-Junta fortzusetzen, sprach Matutes mit diplomatisch gezügeltem Zorn, zumal dieses Halali "unsere Außenbeziehungen berühren könnte". Natürlich seien schlimme Dinge geschehen: "Argentinien hatte eine Diktatur, die viele Opfer verursachte, aber aus Solidarität mit diesen Opfern und ihren Familien ist es gut, rücksichtsvoll mit jenen Entscheidungen umzugehen, die demokratische argentinische Autoritäten einst fällten."

Etliche der Juntamitglieder waren in Argentinien bereits verurteilt, aber Ende der achtziger Jahre von Präsident Carlos Menem begnadigt worden. Spaniens prominentester Untersuchungsrichter Garzón hatte die Ermittlungen dann vor drei Jahren aufgenommen, nachdem Angehörige von Diktatur-Opfern und Menschenrechtsgruppen Anzeige erstattet hatten. Den argentinischen Militärs, unter ihnen die beiden berüchtigten Junta-Chefs Jorge Videla und Leopoldo Galtieri, wirft Garzón die Ermordung von bis zu 30 000 Oppositionellen vor - darunter viele jüdische Bürger und mindestens 600 spanische Staatsangehörige.

Wie schwer sich das argentinische Militär mit der Aufarbeitung der Vergangenheit tut, zeigte sich erneut am Freitag: Der argentinische Ex-Offizier Adolfo Scilingo zog sein Geständnis zurück, nach dem er an Folterungen und "Todesflügen" während der Diktatur beteiligt war. Als er 1997 seine Beteiligung an Gräueltaten des Militärregimes zugegeben habe, sei er Opfer einer "Verschwörung" gewesen, sagte Scilingo nach Rundfunkberichten vom Freitag vor Garzón in Madrid aus. Anführer der Verschwörung sei Garzón gewesen.

Spaniens Außenminister Matutes versucht Garzón indes dahingehend zu belehren, dass ein Prozess in Spanien gegen die in Argentinien lebenden Juntamitglieder ohnehin keine Aussicht auf Erfolg habe, denn es sei nun mal die Praxis des internationalen Rechtes, dass "kein Land seine Staatsbürger ausliefert". Dies stimmt nicht ganz. Ausnahmen bestätigen diese Regel, wird Garzón frohlocken. Denn Spanien lieferte zum Beispiel vor einem Jahr einen spanischen Landsmann ausgerechnet an Argentinien aus - wegen Drogenhandels.

Es ist also nicht zu erwarten, dass sich Garzón durch dieses diplomatische Sperrfeuer von seinem Kurs abbringen lässt. Auch nicht durch die rechtskonservative Generalstaatsanwaltschaft Spaniens, eine Regierungsbehörde, die - wie schon im Fall Pinochet - nun auch den Prozess gegen die argentinischen Militärs mit Einsprüchen bombardiert. Die Staatsanwaltschaft kämpft dabei mit ihren alten Argumenten: Spaniens Justiz sei nicht zuständig für die Verfolgung der Diktatoren, und auch die Delikte Völkermord und Terrorismus, die Garzón verfolge, seien nicht existent. Eine Rechtsauffassung, die Spaniens Nationaler Gerichtshof bereits mehrmals als falsch zurückwies. Garzón wurde hingegen bescheinigt, dass er - wenigstens juristisch gesehen - auf dem richtigen Weg ist.

Dass dieses Thema unbestritten politische Brisanz für Spanien birgt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Innenpolitisch, weil Spaniens eigene Diktatur (1939 bis 1975) bis heute noch auf ihre Aufarbeitung wartet. Außenpolitisch, weil Spanien seine wirtschaftliche Vorreiterrolle in Lateinamerika in Gefahr sieht. Schon haben die Präsidenten Chiles und Argentiniens wegen der spanischen Diktatur-Ermittlungen ihre Teilnahme am kommenden ibero-amerikanischen Gipfel abgesagt. Hinzu kommen Boykottdrohungen, die Spaniens Wirtschaft hart treffen könnten. Allein im ersten Halbjahr 1999 investierten spanische Konzerne 33 Milliarden Dollar in der südamerikanischen Region - vor allem in Chile und Argentinien.

Ralph Schulze

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