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Politik: Spanier prügeln Latinos

Wachsende Sorge vor Fremdenfeindlichkeit nach Kämpfen in den Vorstädten Madrids

„Wir werden sie rauswerfen“, skandieren die Jugendlichen. Sie haben sich Schals, Kapuzen und Wollmützen über das Gesicht gezogen. Sie recken die Fäuste in die Höhe. Vielleicht ein Dutzend Jugendliche sind es, die sich vor dem Jugendzentrum in Alcorcon, einer von vielen Arbeitervorstädten im Süden der spanischen Hauptstadt Madrid, zusammengerottet haben. „Wir haben es satt, dass die Latinos sich hier wie die Mafia aufspielen, uns bedrohen und berauben. Die machen, was sie wollen.“ Und: „Wir sind keine Rassisten“, rufen sie über die Straße, „wir wollen nur unsere Stadt verteidigen.“

Gegenüber parkt am Bordstein ein Mannschaftswagen der Polizei. Die Beamten behalten die Gruppe der wütenden Jugendlichen im Auge. Die ganze Stadt, in der rund 160 000 Menschen leben, scheint im Belagerungszustand zu sein: Bereitschaftspolizei steht an allen Ecken. Seit dem Tag, an dem mehrere hundert spanische Jugendliche in Alcorcon lateinamerikanische Altersgenossen mit martialischen Parolen durch die Straßen jagten, ist es mit dem Frieden in der Satellitenstadt vorbei. Es gab Messerstiche, Verletzte, Festnahmen, beschlagnahmte Waffen. Eltern haben Angst um ihre Heranwachsenden. Und die Jugendbanden beider Seiten schwören sich Rache und rufen per SMS zum „Krieg“ auf.

In Alcorcon, sorgte sich die konservative Tageszeitung „El Mundo“, scheine „ein Pulverfass vor der Explosion zu stehen“. Und nicht nur in dieser Trabantenstadt, wo der Ausländeranteil bei etwa 15 Prozent liegt, steigt die Spannung zwischen Immigranten und Spaniern. „Das ist kein Einzelfall“, warnt Arturo Canalda, Jugendbeauftragter der Region Madrid, sondern ein generelles Problem: „Es geht um das soziale Zusammenleben und die Integration.“ Die Abneigung gegen Einwanderer habe im Immigrationsland Spanien in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

In der Tat ist die massive Einwanderung in das südliche Königreich den Umfragen zufolge neuerdings die größte Sorge des 45-Millionen-Volkes. Der Ausländeranteil hat sich binnen fünf Jahren auf gut zehn Prozent verdoppelt. Rund eine halbe Million Menschen kommt derzeit pro Jahr in Spanien legal oder illegal an. Vor allem aus Lateinamerika und Osteuropa. Die schwarzafrikanischen Migranten, die mit ihren lebensgefährlichen Bootsfahrten übers Meer am meisten Schlagzeilen machen, sind nur eine Minderheit im großen Immigrantenstrom Richtung Spanien.

In Alcorcon kam es zu der Straßenschlacht zwischen spanischen und südamerikanischen Jugendlichen, als erst zwei Mädchen stritten und sich dann ihre Freunde prügelten, die wiederum Hilfe von Dutzenden Landsleuten bekamen. Funken wie in Alcorcon, warnt Spaniens größte Tageszeitung „El Pais“, könnten bald auch in anderen Arbeitervorstädten Madrids mit hohem Immigrantenanteil und „ghettoähnlichen Strukturen“ sprühen. Enrique Cascallana, sozialdemokratischer Bürgermeister Alcorcons, müht sich derweil, die Auseinandersetzungen, die in ausländerfeindliche Krawalle mündeten und das Image seiner Stadt beschädigten, herunterzuspielen. So etwas könne doch überall mal vorkommen, von ernsthaften Konflikten und Rassismus gebe es keine Spur.

Ralph Schulze[Alcorcon]

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