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SPD-Spitzenpolitiker Steinbrück, Gabriel, Steinmeyer: "Partei der fleißigen Leute"

© dpa

SPD-Chef Sigmar Gabriel im Interview: „Urlaub nur noch für Reiche? Das ist nicht unsere Sache“

SPD-Chef Sigmar Gabriel rüstet sich für den Bundestagswahlkampf. Im Exklusiv-Interview mit dem Tagesspiegel fordert er eine neue sozial-liberale Koalition nach Brandtschem Vorbild. Allerdings ist es längst nicht mehr die FDP, die er als liberale Partei betrachtet.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Hans Monath

Herr Gabriel, zwischen den Grünen und der SPD herrscht derzeit ein rauer Ton. Es geht auch um Mindestlöhne. Warum plötzlich diese Missklänge mit Jürgen Trittin?

Ich komme bestens mit Jürgen Trittin aus. Aber seine Behauptung stimmte einfach nicht, dass die SPD zu Zeiten der Agenda 2010 die Einführung von Mindestlöhnen verhindert habe. Es waren die Gewerkschaften, die dagegen waren. Sie hatten vor zehn Jahren noch die Illusion, tarifliche Lohnuntergrenzen überall in Deutschland durchsetzen zu können. Deshalb wollten sie nicht, dass der Staat in die Lohnfindung eingreift. Heute kämpfen wir mit ihnen und den Grünen Seite an Seite für den gesetzlichen Mindestlohn.

Sie haben den Grünen vorgeworfen, sie wüssten nicht, wie es Arbeitern geht.
Ich habe den Grünen nichts vorgeworfen. SPD und Grüne ergänzen sich sehr gut – auch, weil die SPD für andere Menschen als das Wählerpotenzial der Grünen Politik macht. Unsere Gesellschaft hat immer dann große Fortschritte gemacht, wenn sich Arbeitnehmer mit aufgeklärtem Bürgertum und linken Intellektuellen verbündet haben. Das war in den 70er Jahren unter Willy Brandt die sozial-liberale Koalition. Genau dieses Bündnis wollen wir jetzt erneuern, nur dass die FDP dafür nicht mehr infrage kommt, weil sie ja inzwischen das Gegenteil von liberal ist.

Sind die Grünen jetzt die neuen Liberalen?
Liberalität im ursprünglichen Sinn ist ja eine Haltung, die die Menschen vor der Übermacht des Staates ebenso schützen will wie vor der Übermacht des Kapitalismus. Das hat die FDP längst vergessen. Die Grünen nicht. Sie sind die eigentlichen Erben des Liberalismus im besten Sinn des Wortes und die eigentlich liberale Partei in Deutschland. Sie repräsentieren in hohem Maße ein aufgeklärtes Bürgertum. Das finden Sie auch in der SPD, aber vor allem repräsentieren wir Arbeitnehmerschaft und ihre Familien. Gemeinsam schaffen wir die Erneuerung dieses Bündnisses. Wir wollen gemeinsam ab 2013 regieren und schaffen damit im besten Sinne des Wortes die neue sozial-liberale Koalition.

Welche Rolle hat die SPD da?
Die SPD ist im Kern die Partei der fleißigen Leute und kämpft für deren Anspruch auf Teilhabe am Haben und am Sagen in unserer Gesellschaft. Deshalb ist für uns zum Beispiel die Höhe der Strompreise auch eine wichtige soziale Frage. Für die Grünen ist es vor allem eine ökologische. Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung. Die Grünen sprechen ganz andere Schichten an, sie sind die Liberalen des 21. Jahrhunderts. Für uns steht im Mittelpunkt, dass es in Zukunft noch eine starke industrielle Basis in Deutschland gibt. Daran werden wir unsere Energiepolitik ausrichten. Genauso, wie es für uns wichtig ist, dass Flüge nach Mallorca bezahlbar bleiben. Aus rein ökologischer Sicht mag das ein Frevel sein. Aber Urlaub nur noch für Reiche? Das ist nicht unsere Sache.

Herr Gabriel, passt das linke Programm zum Kandidaten?
Natürlich. Peer Steinbrück hat es selbst geschrieben. Vor allem aber passt es zur Mitte unserer Gesellschaft, denn die Mitte ist heute links. Die Menschen wollen, dass wir den Staat und Europa endlich aus der Geiselhaft der Banken und Finanzmärkte befreien. Es ist Peer Steinbrück, der das ganz oben auf seine politische Tagesordnung gesetzt hat. Und er verweist darauf, dass das Land in sozialer Hinsicht aus der Balance geraten ist. Niemand hat Verständnis dafür, dass man in Deutschland nicht mehr überall vom Lohn einer Vierzig-Stunden-Woche leben kann.

Im Moment hat der Kanzlerkandidat das Image eines Fettnäpfchen-Kandidaten und die Umfragewerte der SPD sind nicht gut.
Ich empfehle, die Wahlergebnisse anzuschauen: zwölf gewonnene Landtagswahlen in Folge, vier abgelöste CDU-Ministerpräsidenten seit 2009. Und gerade in Niedersachsen war vor der Wahl die Popularität des CDU-Ministerpräsidenten noch höher als die von Frau Merkel im Bundesgebiet. Am Ende haben SPD und Grüne die Wahlen gewonnen. Cool bleiben und mit den Menschen über den Alltag in Deutschland reden. Ich sage Ihnen: Wir schaffen das. Wir sind mit unserem Programm sehr gut im Zentrum der Gesellschaft aufgestellt.

"Warum tut diese Kanzlerin nichts?"

Die SPD will einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ein solcher Stundenlohn holt aber nur Ledige ohne Kinder aus der ergänzenden Sozialhilfe. Versprechen Sie zu viel?
Nein. Damit auch Familien mit Kindern keine Unterstützung mehr brauchen, werden wir das Kindergeld für Geringverdiener anheben. Kinder dürfen kein Grund mehr für Bedürftigkeit sein. Deshalb muss der Familienausgleich neu gestaltet werden. Es kann doch nicht angehen, dass ich für meine Töchter mehr vom Staat bekomme als mein Nachbar, der auf dem Bau für kleines Geld arbeitet.

Höhere Einkommenssteuer, Vermögenssteuer, Abschaffung des Freibetrags für Kinderbetreuung: Das trifft doch nicht nur Reiche, sondern auch die Mittelschicht?
Es geht um die neue soziale Frage: Wie verteilen wir die Lasten für das Gemeinwohl, für Bildung, Infrastruktur und innere Sicherheit, fair und gerecht? Heute tragen die Zahler von Einkommens- und Mehrwertsteuer 80 Prozent der Gemeinwohllasten und die Empfänger von Kapital- und Vermögenseinkünften nur noch zwölf Prozent. Wir machen Arbeit immer teurer und die Menschen haben immer weniger davon. Das wollen wir wieder in eine vernünftige Balance bringen. Wir wollen einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen eines Alleinstehenden von 100 000 Euro. Wer als Single weniger als 64 000 verdient, wird von unseren Plänen überhaupt nicht getroffen. Bei 70 000 Euro sind es 34 Euro. Davon sind zehn Prozent der Steuerpflichtigen betroffen. Bei 80 000 Euro sind es 248 Euro, bei ganzen sieben Prozent der Steuerzahler. Um überhaupt so viel Steuern zu zahlen, muss man 6000 Euro brutto im Monat verdienen. Das Durchschnittseinkommen liegt in Deutschland bei 2358 Euro im Monat. Also: Die SPD belastet die Mittelschicht nicht, sondern im Gegenteil: Wir entlasten sie – beispielsweise durch die Abschaffung der Kita-Gebühren.

Es war ein SPD-Kanzler, der den Spitzensteuersatz gesenkt hat. Glauben Sie, man vertraut der SPD in dieser Frage wieder?
Die Zeit ist heute eine andere als vor 15 Jahren. Der Spitzensteuersatz von CDU/CSU und FDP lag damals bei 53 Prozent! Das fordern in der SPD nicht mal mehr die Jusos. Heute ist es doch so, dass ein Teil der Gesellschaft über große Einkommen und Vermögen verfügt, ein anderer Teil aber wenig hat, dafür aber große Teile des Gemeinwohls schultern muss. Das geht auf Dauer nicht gut. Vertrauen entsteht, wenn die Menschen wissen, dass wir die Mehreinnahmen nicht verpulvern. Wir werden sie ausschließlich für den Abbau von Schulden verwenden und in Bildung investieren. Und das werden wir transparent jedes Jahr im Haushalt zeigen. Jeder wird sehen können, wohin die Mehreinnahmen von den Reichen konkret fließen.

Mit welcher Größenordnung rechnen Sie?
13 Milliarden Euro wollen wir einsparen, um das Geld für Schuldenabbau und Bildungsausgaben zur Verfügung zu haben. Sparen steht am Anfang! Der höhere Spitzensteuersatz bringt etwa fünf Milliarden Euro, von denen knapp die Hälfte dem Bund zusteht. Die Vermögenssteuer, zwischen fünf und zehn Milliarden, wird ausschließlich den Ländern für Bildungsinvestitionen zur Verfügung gestellt.

Wird demnächst der Finanzbeamte Omas Schmuck taxieren?
Wir wollen weder Omas Häuschen noch ihren vererbten Schmuck besteuern. Deshalb werden wir mit großzügigen Freibeträgen arbeiten. Es geht um Vermögen von mehr als einer Million Euro. Die Vermögenssteuer ist übrigens keine Erfindung von Karl Marx oder Rosa Luxemburg, sondern steht als erste Steuer im Grundgesetz. Sie wurde eingeführt von einer Koalition aus CDU, CSU und FDP unter Konrad Adenauer.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat gesagt, der Job einer Krankenpflegerin sei wahrscheinlich anstrengender als der einer Regierungschefin. Fehlt der SPD mit Merkel nicht ein knallhartes Gegenüber?
Schöne Worte, schöne Gefühle. Aber warum tut diese Kanzlerin nichts? Während sie die Last der Altenpflegerin beschreibt, lässt sie ihren Finanzminister den Gesundheitsfonds plündern, was vor allem eines verhindert: bessere Löhne in der Krankenpflege. Angela Merkel ist eine sympathische Anscheinserweckerin. Sie vermittelt immer den Anschein, als wolle sie etwas tun – aber ohne wirkliche Folgen. Ob Mindestlohn, Strompreisbremse, Euro-Rettung: immer große Ankündigungen, aber in den letzten dreieinhalb Jahren kein Ergebnis. Jetzt kurz vor der Wahl wird vieles versprochen. Aktuelles Beispiel: Haben CDU und CSU nicht gerade beschlossen, die Rente für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, zu verbessern? Wir würden dem sofort zustimmen, es gäbe eine breite Mehrheit im Parlament. Aber die Anscheinserweckerin Merkel hat genau davor Angst und verschiebt es auf die Zeit nach der Wahl. Alle diese Versprechen haben ein Verfallsdatum: der Tag der Bundestagswahl um 18.01 Uhr.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

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