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SPD-Chefin Andrea Nahles lacht neben Raed Saleh, SPD-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus von Berlin.

© Christoph Soeder/dpa

SPD-Chefin in Berlin-Spandau: Wohltuendes Lob für Andrea Nahles

Die SPD-Vorsitzende hat die Basis in Spandau besucht. Wer viel Kritik erwartet hätte, irrt: Der Berliner Fraktionschef Saleh wünschte sich sogar Nahles-Klone.

Von Hans Monath

Nach einer Stunde und 17 Minuten macht Raed Saleh am Dienstagabend seinem Gast ein großes Kompliment. „Ich war in der Vergangenheit manchmal kritisch, vielleicht zu kritisch“, gesteht der wenige Stunden zuvor wieder zum Chef seiner Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus gewählte Sozialdemokrat. Er hatte die Bundes-SPD und damit auch deren Vorsitzende Andrea Nahles in den vergangenen Jahren immer wieder mit dezidiert linken Forderungen gepiesackt und damit deutlich gemacht, dass er mit deren Kurs nicht zufrieden war.

Am Ende des „Kiezgesprächs und Kneipentalk“ mit der SPD-Partei- und Fraktionschefin in der Spandauer Gaststätte „Zur Erholung“ zeigt sich Saleh mit dem Auftritt von Nahles hochzufrieden. „Kompliment, Du hast dich ziemlich toll geschlagen“, meint er – und erntete in der voll besetzten Kneipe donnernden Applaus.

Zuletzt bekam Nahles Kritik für ihren Umgang mit Florian Post

Nach einer kleinen Mahnung („Wenn ich einen Wunsch hätte, bleib‘ so!“) träumt Saleh laut davon, die Partei- und Fraktionschefin könne sich klonen. „Du würdest in Hunderttausend Kneipen in Deutschland gehen, dann würde sich die Lage der SPD auch wieder ändern“, sinniert er.

Die Situation der SPD, sie ist bekanntlich weder im Bund noch in Berlin besonders rosig, weshalb der Wunsch nach einer Änderung ihrer „Lage“ durchaus verständlich ist. Und Nahles kann einiges, nur sich Klonen kann sie sicherlich nicht. Ob Sahles Wunsch nach dem von vielen Sozialdemokraten als höchst peinlich empfundenen Video von Gesangs- und anderen Einlagen  der Parteichefin im Karneval in Thüringen („Hummta, humta täterä“, „Mindestlohni!“) in der SPD gerade breit geteilt wird, ist zudem eine offene Frage.

Ihr Umgang mit dem Bundestagsabgeordneten Florian Post, der in seiner Fraktion wahrscheinlich nur wenige Freunde hat, provozierte prompt wieder Kritik an ihrem angeblich autoritären Führungsstil aus den eigenen Reihen. Gelungene Tage sehen im Leben von Andrea Nahles wahrscheinlich anders aus.

In der Kiezkneipe „Zur Erholung“ spielen solche Fragen am Dienstagabend freilich keine Rolle – die Denk- und Urteilsweisen des Politikbetriebs von „Berlin Mitte“ scheinen sehr weit weg zu sein von den Menschen, die hinter dickem Zigarettenrauch unter Lampen mit Zinnhüten und vor einem vergilbten Foto von Spandau in der Kaiserzeit ein, zwei oder auch drei Pils trinken, Nahles zuhören und viele Fragen stellen. „Sozialdemokratie ohne Stammkneipe ist keine Sozialdemokratie mehr“, hatte Saleh zum Auftakt gesagt: „Alles kann und darf gesagt werden – Feuer frei!“

Nahles gratuliert „meinem Fraktionskollegen Raed ganz herzlich“ zur Wiederwahl – und erwähnt verständlicherweise nicht, dass der einen dicken Dämpfer hatte hinnehmen müssen und ein deutlich schlechteres Ergebnis als beim letzten Mal einfuhr. Für Grundrente und den Abschied von Hartz IV erntet die Partei- und Fraktionschefin dann in ihrem Eingangsstatement ordentlich Applaus.

Nahles bekennt sich zu souveränem Europa

Auch zu dem Themen, welche die Spandauer in der überfüllten Kneipe auf der Seele brannten, findet Nahles Antworten, die ihr Publikum überzeugten. Vor allem geht es um steigende Mieten, die Angst vor Altersarmut, die Sorgen von Taxifahrern angesichts der Herausforderung von digitalisierten Dienstleistern, die Belastung durch Feinstaub und die schlechte Situation an den Schulen. Dass ein älterer Herr zum letztgenannten Thema dazwischenruft („Die Schulsenatorin ist doch Sozialdemokratin – und Du bist doch Fraktionschef“) scheint weder Saleh noch Nahles zu irritieren.

Nahles gelingt es sogar noch mit ihren Argumenten das Publikum gegen einen Genossen in Stellung zu bringen, der Vizekanzler Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas als Kriegstreiber gegen Russland attackiert hatte, weil diese die Erhöhung von Rüstungsausgaben mit verantworteten. Nahles legt stattdessen ein Bekenntnis zu einem starken, souveränen Europa ab und verwies darauf, dass die Bundestagsfraktion sich wenige Stunden zuvor gerade für die Verlängerung des Rüstungsexport-Moratoriums gegen Saudi-Arabien ausgesprochen hatte – und findet wieder viel Zustimmung.

Saleh übrigens wibt entschieden für die Verbeamtung von Lehrerinnen und Lehrern – zum ersten Mal, wie er den Zuhörern in der Gaststätte versichert. Die hatten den Lokalmatador mit donnerndem Applaus und „Raed, Raed, Raed“-Rufen empfangen. „Wir können es uns gar nicht mehr leisten, nicht zu verbeamten“, meint der neu gewählte Fraktionschef, der auf Probleme vor allem in den Schulen in Spandau, Lichtenberg und Neukölln hinweist und auf den Umstand, dass Berlin pro Jahr 600 Lehrerinnen und Lehrer an Brandenburg verliere.

„Da bricht uns kein Zacken aus der Krone“, meint Saleh und gesteht, dass er früher das Thema auch kritisch gesehen habe. Noch gebe es zu wenig Mitstreiter, sagt der Fraktionschef: „Ich komme mir manchmal vor wie ein Geisterfahrer.“ Als Nahles ihm beispringt („Ich unterstütze den Raed“) versuchte der Berliner SPD-Politiker sie zum Beistand zu verpflichten: „Am 30. haben wir Parteitag, da wird es ausgefochten. Kommst Du mir helfen?“ Nahles aber will sich offenbar nicht verpflichten lassen – und genießt nur den Beifall. 

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