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Katarina Barley (SPD)

© Daniel Hofer/laif

SPD-Europapolitikerin Katarina Barley: Abstieg zur Spitzenkandidatin

Große Arenen zum Kochen bringen kann Katarina Barley nicht - eine „Typfrage“, heißt es in der SPD. Sie soll inhaltlich glänzen - und lächelt müde.

Der schwarze Mercedes-Minibus schiebt sich durch den Budapester Abendverkehr. Es ist Ende März, der Wagen rollt stadtauswärts durch die kühle Nacht. Rechts auf der Rückbank sitzt Katarina Barley hinter getönten Scheiben im Dunkeln. Mit zwei SPD-Mitarbeiterinnen, einem Pressesprecher und zwei Journalisten ist der Kleinbus voll besetzt. Barley aber wirkt in diesem Moment, als sei sie ganz allein. In sich versunken streicht sie mit dem Daumen still über den Bildschirm ihres Smartphones. Der blaue Schimmer des Telefons leuchtet in ihr blasses Gesicht, erschöpft sieht sie aus. Die 50-Jährige hat einen langen Tag voller Termine in der ungarischen Hauptstadt hinter sich. „Ziemlich groggy“ ist sie, sagt sie später zum Abschied.

Das passt gar nicht zu dem Image, das Katarina Barley sonst pflegt. Gerne betont sie, dass sie kaum Pausen brauche in ihrem Job als Spitzenpolitikerin. Wie viel Spaß ihr die Arbeit mache und dass „Work-Life-Balance“ für eine wie sie, mit so viel Energie, nicht so wichtig sei. „Ich bin sehr belastbar“, beteuert sie. Dem „Zeit“-Magazin erzählte die SPD-Politikerin kürzlich von ihrer Beziehung mit dem niederländischen Profi-Basketballtrainer Marco van den Berg. Der gebe ihr gute Tipps für mehr Ausdauer. „Abgesehen davon bin ich fit wie noch nie.“

Die „Schicksalswahl“ ist bei 16 Prozent eine schwere Bürde

In Budapest erweckt Barley einen anderen Eindruck. Man merkt ihr die Belastung an. Vielleicht hat das mit ihren vielen Terminen zu tun. Es könnte auch an der Tatsache liegen, dass die Sozialdemokraten die Abstimmung über das EU-Parlament zur „Schicksalswahl“ erklärt haben und die Umfragewerte der SPD bei 16 Prozent feststecken. Umso verzwickter erscheint Barleys Lage: Als Justizministerin und Spitzenkandidatin in Personalunion soll sie den Beweis erbringen, dass die SPD auch aus der großen Koalition heraus Wahlen gewinnen kann. Hat Parteichefin Andrea Nahles vor einem Jahr doch fest versprochen, die Regierungsbeteiligung werde der SPD nicht schaden. Barleys Aufgabe ist nun, dieses Versprechen einzulösen.

Barley wollte nicht nach Brüssel - der Abschied aus der Regierung ist auch ein Abstieg

Nahles persönlich soll sie darum gebeten haben, nach Brüssel zu gehen – mehr als einmal, heißt es in der Partei. Barley habe zunächst nicht gewollt. Das Amt der Justizministerin sei ein „toller Job“, sagt sie. Offenbar hört sie nicht ohne Wehmut auf. Die Kündigung ihrer Berliner Wohnung sei „ein emotionaler Moment“ gewesen, schrieb sie auf Twitter. Ihr Abschied wird auch ein Abstieg sein – von der Regierungsbank im Bundestag zu den namenlosen Beamten und unbekannten Politikern in Brüssel.

Vielleicht hat Barley aber auch gar nicht vor, wirklich zu gehen? Bislang hat sie jedenfalls nicht öffentlich erklärt, welchen Posten sie in der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten anstrebt. „Ich bewerbe mich gerade um ein Amt als Europaabgeordnete, alles Weitere wird sich ergeben“, sagt sie und verrät immerhin: „Aufgrund meiner bisherigen Tätigkeiten wird sicher auch der Bereich Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein Schwerpunkt meiner Arbeit werden – das ist in der EU jetzt auch dringend nötig!"

Im Wahlkampf bemüht sich Barley, die glühende Europäerin zu geben, die für die Werte der Gemeinschaft kämpft. Als die „EU in Person“, wird sie bei ihren Auftritten angekündigt. „Meine Familie ist total europäisch durchdrungen“, sagt Barley. Sie ist in Köln geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater stammt aus der englischen Grafschaft Lincolnshire, einer Hochburg der Brexiteers. Neben dem deutschen hat Barley auch einen britischen Pass.

Ihr Herz schlägt britisch, ihre Seele ist europäisch

Ihr Englisch ist geschliffen, very british. Auch, wenn alle am Tisch Kaffee trinken, lässt sie sich schwarzen Tee servieren. Selbst auf der Wahlkampfbühne schlürft die SPD-Politikerin aus einer großen Tasse. Sie will zeigen: Ihr Herz schlägt britisch, ihre Seele ist europäisch. Deshalb treffe sie der Brexit auch „persönlich unheimlich“. Der EU-Ausstieg des Königreichs sei das Ergebnis der „Zockerei von britischen Oberschicht-Kids. Ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man die Dinge den Rechtspopulisten überlässt“.

Bei ihren Wahlkampfauftritten spricht Barley gerne über ihre biografische Beziehung zu Europa, sie erzählt von ihren beiden Söhnen, den zwei „Erasmus-Babys“. Deren Vater hat Barley bei einem Austauschjahr während des Jura-Studiums in Paris kennengelernt. Es ist dieser familiäre Sound, mit dem die SPD-Politikerin den Wahlkampf bestreitet. Statt harter Attacken auf die Konkurrenz sorgt sie mit weichen Tönen für den „human touch“, wie man auf Englisch sagt.

Barley soll die „neue“ SPD verkörpern, die „jünger und weiblicher“ sein will. Ihr Co-Spitzenbewerber, der langjährige EU-Abgeordnete Udo Bullmann, steht für die alte Schule.

Anfang Mai besteigen die beiden zusammen eine kleine, kreisrunde Bühne auf dem Berliner Breitscheidplatz. Es ist kalt, rund 200 Zuhörer frösteln im Nieselregen. Einige haben Fragen an die Spitzenkandidaten auf Zettel notiert. Barley bedankt sich für die „warmherzigen und damit wärmenden Fragen“, beantwortet alles geduldig in sanftem Ton. Bullmann hingegen poltert los, hält minutenlange Monologe, seine Stimme schallt über den Platz. Die Fragen aus dem Publikum ignoriert er weitgehend. Barley steht neben ihm und starrt ins Leere. Inhaltlich hängen bleibt wenig von der „Dialogveranstaltung“.

Sie bevorzugt kleine Bühnen mit Publikumskontakt,nicht die Megashows wie Martin Schulz

„Nicht nur senden ist wichtig, auch zuhören“, sagt Barley einige Tage später auf einer Konferenz im Berliner Hotel Adlon. „Ich will nicht drei Meter über den anderen stehen.“ Sie bevorzuge kleine Podien mit Kontakt zum Publikum. Große Arenen zum Kochen bringen, das kann sie nicht. Eine „Typfrage“, heißt es in der SPD. Barley will Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa gegen die Orbáns, Salvinis und Co. verteidigen – ein Riesenthema. Eine große Grundsatzrednerin, die mitreißende Plädoyers halten kann, ist Barley aber nicht. Bewusst hat sie sich gegen die Megabühnen entschieden, wie sie Martin Schulz als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten 2014 bespielte. Damals holte die SPD 27,3 Prozent.

Barley kann froh sein, wenn sie die 20-Prozentmarke knackt. In ihrem Team geht man fest davon aus, dass das klappt. Ihr Genosse Schulz scheint skeptischer zu sein. Vor kurzem hat er sich mit einem eigenen Europaverein in den Wahlkampf eingeschaltet – kein Vertrauensbeweis für Barley, deren Kampagne auffällig unauffällig verläuft. Vor allem unter SPD-Funktionären sorgt das für Unmut. Barley bleibe „blass und mau“, heißt es. „Es ist kein Profil zu erkennen.“

Beliebt in der Partei ist Barley trotzdem, nicht nur im eigenen Parteiflügel, dem linken Lager. Mit 99 Prozent wählte sie der SPD-Europakonvent im Dezember zur Spitzenkandidatin. Die Partei hat der promovierten Juristin den Aufstieg leicht gemacht – von der einfachen Abgeordneten zur Generalsekretärin und später zur Bundesministerin schaffte sie es in wenigen Jahren. Das Justizressort will sie bis zum Wechsel nach Brüssel weiterführen. „Es gibt ein paar Projekte, die ich als Ministerin noch auf den Weg bringen möchte, unter anderem die Reform der Strafprozessordnung“, sagt sie.

Im Wahlkampf hat ihr der Job als Bundesministerin bislang mehr geschadet als genutzt. Zwar ist sie als Regierungsmitglied von allen deutschen Europakandidaten die bekannteste. Allerdings ist mit ihrem wenig charismatischen CSU-Gegenspieler Manfred Weber die Konkurrenz auch nicht besonders groß. Zum Verhängnis wurde Barley ihre Regierungsrolle im April. Im EU-Ministerrat musste sie aus Koalitionsdisziplin – und gegen die eigene Überzeugung – für die umstrittene Urheberrechtsnovelle stimmen. Im Anschluss fiel die Netzgemeinde über sie her. Der Umgang in den Sozialen Medien werde „härter und härter“, klagt Barley.

1,6 Millionen Euro steckt die SPD in ihren Online-Europawahlkampf, mehr als je zuvor. Eine Social-Media-Referentin begleitet die Spitzenkandidatin auf Schritt und Tritt – auch bei ihrer Budapestreise Ende März. Es ist der perfekte Ort für Barley, um über ihr Lieblingsthema zu sprechen: die Gefahren für den Rechtsstaat in Europa. Doch als Bundesjustizministerin muss sie sich zurückhalten mit Kritik an Ungarns Regierung. Wie so oft in Barleys Kampagne bleibt am Ende des Tages dann nicht viel übrig von den politischen Inhalten. Nur ein Foto auf Facebook: Es zeigt zwei ungarische Sozialdemokraten – und eine müde lächelnde Katarina Barley.

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