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Gespräch unter Ex-Koalitionspartnern im Bundestag.

© dapd

SPD-Fraktionschef im Interview: Steinmeier: „Wir sagen, was ist – Frau Merkel nicht“

SPD-Fraktionschef Steinmeier über Täuschungsmanöver der Kanzlerin, die Notwendigkeit einer Volksabstimmung und den Mut zur Politik.

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Herr Steinmeier, kann sich Bundeskanzlerin Angela Merkel noch auf Sie verlassen?

Die Kanzlerin kann sich in entscheidenden Fragen nicht auf ihre eigenen Reihen verlassen, das zeigt die erneut verfehlte Kanzlermehrheit bei der Abstimmung über den ESM. Auf die SPD können sich die Menschen in Deutschland verlassen. Wir kennen unsere Verantwortung für Wohlstand und Frieden, die es ohne Europa nicht geben wird. Das haben wir bewiesen. Es wäre in den letzten zwei Jahren doch einfach gewesen, dem schlichten Oppositionsreflex zu folgen und die Regierung mit sich allein zu lassen. Aber dieses Europa ist nicht ein schwarz-gelbes oder rot-grünes Europa – es ist das Erbe einer Geschichte, die wir nicht verraten dürfen, und die Quelle des Wohlstandes über Jahrzehnte. Dieses Europa wollen wir ab nächstem Jahr als Regierung gestalten. Nur daraus bestimmen wir unsere Haltung.

Dann hätten Sie nie Nein sagen können! Wozu das Verhandeln mit der Regierung?
Jetzt liegen die Ratifizierungsentscheidungen nur 48 Stunden hinter uns und es scheint schon vergessen, wie sehr um die Zweidrittelmehrheit im Parlament gerungen werden musste! Ich kann Ihnen versichern, es war bei uns nicht einfacher als in den Regierungsfraktionen. Und Angela Merkel und ihre Regierung haben alles getan, es noch schwerer zu machen. Erst haben sie monatelang nicht mit uns geredet. Richtig kritisch wurde es dann an dem Wochenende, als einzelne Abgeordnete der Regierungsfraktion sich erlaubt haben, die Vereinbarung über die Finanztransaktionssteuer als bloßes taktisches Manöver zu bezeichnen, an das man sich nicht halten müsse. Da stand unsere Zustimmung echt auf der Kippe.

Die SPD hätte abgelehnt? Ernsthaft?
Die Zahl der SPD-Abgeordneten, die den Fiskalpakt abgelehnt hätten, war zu Beginn sicher größer als die Zahl derjenigen, die ihm vorbehaltlos zugestimmt hätten. Aber das ist nicht der Punkt. Wir waren alle der Überzeugung, dass der Fiskalpakt zu kurz greift. Um nicht missverstanden zu werden: Ich und die gesamte SPD stehen klar zur Konsolidierung. Unter der Verantwortung eines sozialdemokratischen Ministers namens Peer Steinbrück ist die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben wurde. Aber wir haben nun mal bei beiden zurückliegenden Wirtschaftskrisen des letzten Jahrzehnts in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass Konsolidierung durch Sparen allein nicht zu erreichen ist. Wirtschaftswachstum muss dazukommen. Und wir mussten die Gerechtigkeitslücke schließen und dafür sorgen, dass endlich auch die zur Bewältigung der Krise beitragen, die bisher ungeschoren geblieben sind. Deshalb bin ich froh, dass wir die Besteuerung der Finanzmärkte endlich durchgesetzt haben.

Annäherung gibt es ja von beiden Seiten: Schwarz-Gelb will die Börsen besteuern, die SPD redet kaum noch von Euro-Bonds.
Wenn ich in der Vergangenheit von Euro-Bonds gesprochen habe, habe ich immer gleichzeitig von den Voraussetzungen gesprochen: Wir brauchen vorher eine wirklich integrierte Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa. Wir brauchen strenge Regeln und Kontrolle für die Haushalte. Die Bundesregierung hat zunächst immer gesagt: „Euro-Bonds – niemals!“ Aber selbst Rainer Brüderle ist vorsichtiger geworden und erklärt jetzt nur noch, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Insofern gibt es ja sichtbare Annäherung, allerdings auf uns zu.

Die Kanzlerin sagt, Euro-Bonds werde es nicht geben, „solange ich lebe“!
Ich bin mir aus verschiedenen Gründen nicht so sicher, dass sie das ernst gemeint hat. Angela Merkel benutzt den Begriff taktisch, nicht inhaltlich. Das Stichwort „Euro-Bonds“ ist so eine Art politische Demarkationslinie innerhalb der schwarz-gelben Koalition. Frau Merkel sagt damit in Richtung CDU, CSU und FDP: Bei „Euro-Bonds“ ist Schluss – aber sie sagt damit zugleich: Alles andere auf dem Weg dorthin müsst ihr mitmachen! Und dass das ganz dicke Kröten sind, haben die Ergebnisse des EU-Gipfels doch gezeigt.

Frau Merkel ist auch nicht besser als Sie?

Merkel steht trotzdem als „eiserne Kanzlerin“ da und die SPD im Verdacht, Solidarität auf Steuerzahlerkosten zu fordern.
Wer das glaubt, geht der Kanzlerin auf den Leim. Wir werden die gemeinsame Währung nur halten können, wenn wir bestimmte und begrenzte Formen gemeinsamer Haftung zulassen – ob wir das wollen oder nicht. Das kann man auf zwei Wegen machen: offen über Euro-Bonds, Schuldentilgungsfonds oder andere Instrumente – oder heimlich dadurch, dass die Europäische Zentralbank weiter in die Bresche springt und die Staaten finanziert, die am Markt horrende Zinsen zahlen müssten. Das ist auch eine Vergemeinschaftung von Schulden, bloß durch die Hintertür.

Frau Merkel ist auch nicht besser als Sie?
Entscheidend anders: Wir sagen, was ist. Frau Merkel nicht. Sie tut immer so, als stehe sie für eine Stabilitätsunion, alle anderen dagegen für eine Schuldenunion. Das ist schlicht gelogen. Der wahre Unterschied ist ein anderer: Wir wollen einen politischen Beschluss mit klaren Grenzen gemeinsamer Haftung und demokratischer Kontrolle. Frau Merkels Taktik führt auch zu gemeinsamer Haftung, aber sie will sich durchmogeln, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Das Muster ist im Beschluss des Rates angelegt: Die Regierung legt sich in die Furche, entscheidet gar nichts und spielt den Stabilitätsapostel. Aber hintenrum ermutigt sie die EZB, der Politik das schmutzige Geschäft der Staatsfinanzierung abzunehmen – durch den Aufkauf von Anleihen, Liquiditätshilfen und vieles mehr. Das alles ohne Limits und parlamentarische Kontrolle. Gelegentlich lässt man den Bundesbankpräsidenten noch einmal mit dem Zeigefinger winken! Aber die Regierung ist fein raus. Das ist nicht meine Vorstellung von aufrichtiger Politik.

Was wäre denn so schädlich daran, wenn die EZB als Retter einspringt?
Frau Merkel drängt die EZB doch erkennbar in die Rolle des europäischen Retters. Die wird sich den Arztkoffer füllen müssen, und wenn der leer ist, auch wieder auffüllen. Es liegt doch auf der Hand, dass damit Anlass zur Geldschöpfung gegeben wird, und das wird auf Kosten von Geldwertstabilität gehen. Ich behaupte nicht, dass es gewollt ist, aber: Wer Geld druckt, nimmt Inflation in Kauf.

Sehen Sie im Video: Euro-Kritiker Wolfgang Bosbach

Wolfgang Schäuble hat eine neue Debatte über „mehr Europa“ ausgelöst. Befürworten auch Sie eine Volksabstimmung?
Das hat wenig damit zu tun, ob Herr Schäuble oder ich oder sonst wer in der Politik das befürworten. Die Frage ergibt sich schlicht aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Das hat klar gesagt: Bei der weiteren Übertragung von Hoheitsrechten an europäische Institutionen sind die Grenzen des Grundgesetzes erreicht. Das Gericht ist nicht gegen mehr Europa, aber es hält eine neue Verankerung im Grundgesetz für nötig.

Also Volksabstimmung?
Das ist nicht in jedem Fall zwingend. Manche der Vorschläge, die in Brüssel unter dem Stichwort „Bankenunion“ debattiert werden, berühren unsere Verfassung nicht – weder die gemeinsame Bankenaufsicht noch die diskutierten Modelle einer Einlagensicherung. Verfassungsrechtlicher Handlungsbedarf wird sowieso erst jenseits dieser Schwelle eintreten.

Wie schnell geht das?
Nach meiner Einschätzung wird sich die Notwendigkeit noch nicht aus den angekündigten Verfahren über den Fiskalpakt und den Euro-Rettungsschirm ergeben. Wir haben bei den Verhandlungen mit der Regierung ja mit gutem Grund darauf gedrungen, die Beteiligung des Parlaments an beiden Verträgen auf möglichst hohem Niveau abzusichern. Insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht die Grenzen des Grundgesetzes überschritten sieht. Das Gleiche gilt für die Reformpläne, die Ratspräsident Herman Van Rompuy dem Euro-Gipfel vorgelegt hat. Aber wenn diese Pläne von einer ähnlichen Gruppe – und dann hoffentlich unter Einbeziehung des Präsidenten des Europaparlaments – weiter in Richtung einer Vollendung der Wirtschafts-, Währungs- und Fiskalunion getrieben werden, dann wird eine Volksabstimmung notwendig werden.

Also vielleicht schon im nächsten Jahr?
Das sehe ich noch nicht.

Es ist wieder Mut zur Politik gefragt

Könnten Sie sich bei der verbreiteten Euroskepsis überhaupt ein Europa-Referendum in einer Wahlkampfsituation vorstellen?
Europa und die Frage der richtigen Krisenbewältigung werden aus dem Wahlkampf nicht herauszuhalten sein. Wenn es um große Weichenstellungen für die Zukunft Europas geht, würde ich mir allerdings wünschen, dass das nicht Teil der manchmal ja etwas grobschlächtigen Auseinandersetzung in einem Bundestagswahlkampf würde.

Laufen wir aber nicht ohnehin auf Zeiten zu, in denen große Weichenstellungen nicht nach Parteienstreit, sondern nach großen Koalitionen rufen?
Sagen wir mal so: Wir laufen auf Zeiten zu, in denen wieder Mut zur Politik gefragt ist.

Na, dann können Sie doch nächstes Jahr für die Neuauflage werben!
Eben nicht. Die große Koalition hat in der Krise nach der Pleite von Lehman Brothers deshalb gut regiert, weil die sozialdemokratischen Minister in der entscheidenden Phase das Ruder in die Hand genommen haben. Und es ist doch unbestritten, dass unsere wirtschaftliche Stärke und die robuste Ausstattung in der Krise im Wesentlichen auf Strukturreformen beruht, die eine rot-grüne Koalition durchgerungen hat.

Deshalb strebe ich nicht die Wiederholung der großen Koalition an, sondern eine Mehrheit von SPD und Grünen, die wirklich Mut zu Veränderungen hat.

Aber angesichts der Spaltung der Grünen im Umgang mit Fiskalpakt und EMS – können Sie sich auf die denn verlassen?
Da war doch vergleichsweise große Geschlossenheit, wenn ich mir Horst Seehofer und die CSU so anschaue …

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