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SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.

© Thilo Rückeis

SPD-Fraktionschef Steinmeier: „Es gibt eine Sehnsucht nach Führung“

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier über das Krisenmanagement der Kanzlerin, den nächsten Kanzlerkandidaten seiner Partei – und die Gesundheit seiner Frau.

Herr Steinmeier, was bedeutet das schöne russische Wort Troika?

(lacht) Nie gehört!

Als Troika bezeichnet man auf Russisch eine Bespannungsweise für Fuhrwerke oder Schlitten, in der drei Zugtiere nebeneinander gehen.
Wie schön, dass es Wikipedia auch in die Redaktion des Tagesspiegels geschafft hat.

Warum braucht es gleich drei Sozialdemokraten, um den roten Karren zu ziehen?
Wir brauchen mehr als nur drei, um die SPD zu ziehen. Und es sind ja auch viel mehr, die sich ins Zeug legen. Wenn Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und ich als Zugpferde wahrgenommen werden, habe ich nichts dagegen. Natürlich wird eine Partei auch über Köpfe wahrgenommen, und diese drei Köpfe wissen, dass sie nicht die einzigen sind!

Die SPD hat nicht nur gute Erfahrungen mit Dreiergespannen gemacht. Warum sollte das Ihre besser funktionieren als die Troika Scharping/Lafontaine/Schröder?
Wir haben uns die Zuschreibung Troika ja nicht ausgesucht.

Aber Sie treten als Trio auf, obwohl Peer Steinbrück in der SPD kein Amt innehat.
(lacht) Stellen Sie sich mal vor, wir wären in diesen Tagen als Quadriga aufgetreten! Aber im Ernst: Wir haben mit einem gemeinsamen Auftritt zu der für Deutschland existenziellen Frage nach der Zukunft Europas klar Stellung bezogen. Die SPD wird dieses Europa, das auf den Gräbern unserer Väter und Großväter entstanden ist und 60 Jahre Frieden und Wohlstand gebracht hat, nicht aus kleinkarierten parteipolitischen Motiven scheitern lassen. Alles andere ist unwichtig.

Würden Sie sagen, dass Steinbrück, Gabriel und Sie denselben unbedingten Willen zur Macht mitbringen wie Schröder, Lafontaine und Scharping?

Wenn es um Macht geht, werden in Deutschland merkwürdige Debatten geführt. Einerseits hat Macht hierzulande oft den Beiklang des Unanständigen. Zugleich wird aber immer dann, wenn es um Machterwerb geht, der Verdacht geäußert, die Betreffenden seien nicht genügend machtbewusst. Ich finde: In Deutschland gibt es doch nicht zu wenige, die Macht wollen, eher zu wenige, die mit Macht umgehen können.

Müssen sich in einer Troika alle unterordnen können, damit der Wagen rollt?
Wir sind uns in der SPD einig: Über die Kandidatenfrage wird jetzt nicht entschieden. Wir bündeln unsere Kraft, um die SPD nach vorn zu bringen. Und wir sind dabei in den letzten Wochen ein gehöriges Stück vorangekommen. Uns beschäftigt die Kandidatenfrage im Übrigen viel weniger als die Medien.

Was prädestiniert Peer Steinbrück zum Bundeskanzler?
Noch mal: Über die Kanzlerkandidatur wird frühestens Ende 2012 entschieden. Grundsätzlich gilt: Die SPD wird mit einem Kandidaten antreten, der gewinnt. Dazu gehört, dass er von der eigenen Partei getragen wird, aber ebenso, dass er Vertrauen in einer breiten Öffentlichkeit hat. Es gibt nach zwei Jahren schwarz-gelben Wolkenschiebereien und endlosem Gezänk keine große Sehnsucht nach Ankündigungen und Versprechungen, sondern schlicht nach Führung, Ernsthaftigkeit und Professionalität.

Lesen Sie mehr auf Seite zwei.

Die Bundesregierung steht in der Euro-Krise schwer unter Druck. Rechnen Sie weiter damit, dass Schwarz-Gelb im Herbst an den Abstimmungen über die Griechenlandhilfen und den europäischen Rettungsschirm scheitern könnte?
Sie werden sich an die Ministersessel klammern, bis nichts mehr geht. Aber ich bin nicht mehr sicher, ob sie in dieser Haltung bis 2013 durchhalten. Der Herbst wird sicher ein Testfall.

Dann kann ja die SPD einspringen, schließlich haben Sie der Kanzlerin die Zusammenarbeit zur Euro-Rettung angeboten.
Wenn Frau Merkel bei den namentlichen Abstimmungen keine eigene Mehrheit zustande bekommt, ist Schwarz-Gelb am Ende. Das ist doch keine Frage. Aber die SPD wird dafür Sorge tragen, dass wegen des Scheiterns dieser Regierung Europa nicht scheitern muss. Wir haben der Kanzlerin die Zusammenarbeit aus tiefer Sorge um Europa angeboten. Wir stehen an einer Wegscheide. Europas Zukunft wird sich auch am deutschen Verhalten entscheiden. Deshalb: Macht Merkel weiter wie bisher, werden auch in Europa die Weichen nicht richtig gestellt.

Das müssen Sie erklären.
Die Kanzlerin hat mögliche Lösungen immer danach bemessen, was in der Koalition durchsetzbar war und nie danach, was in der Europäischen Union notwendig gewesen wäre. Das hat erstens die Lösung teurer gemacht. Und zweitens ist irgendwann bei dem vielfachen Nacharbeiten, nach dem fünften Gipfel der kleinen Schritte, der Erklärungsfaden zum Volk gerissen. Die Menschen hören nicht mehr zu, wenn die Politik ihnen die Notwendigkeit der europäischen Währungsunion und die Vorteile, die Deutschland daraus zieht, erklärt. Außerdem hat Frau Merkel sich hinreißen lassen, die Ressentiments gegenüber den Mittelmeerstaaten noch zu bestärken. Das rächt sich jetzt. Die Glaubwürdigkeit, die sie jetzt bräuchte, um die Deutschen zu überzeugen, hat sie sich durch leichtfertiges Reden genommen.

Auf dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel wurde ein neues Hilfspaket für Griechenland verabredet. Erfüllt das die Bedingungen der SPD für eine Zusammenarbeit?
Lassen wir mal dahingestellt, was in der Verständigung von Brüssel auf Vorschlägen der Kanzlerin beruht. Fest steht, dass die aus unserer Sicht notwendige Schuldenentlastung Griechenlands über die Vorstellungen weiter Teile der Koalition hinausgehen. Die Beteiligung der Gläubigerbanken, die Befähigung Griechenlands durch den Europäischen Rettungsfonds EFSF zum Rückkauf von Schuldenpapieren sind richtige Maßnahmen. Das Gesamtpaket ist gleichwohl unvollständig. Die Maßnahmen zum Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft und zur Initiierung von Investitionen sind bestenfalls vage. Auf die Besteuerung der Finanzmärkte hat man sich erneut nicht einigen können. Das bleibt ein Fehler!

Steht die SPD nicht in der Pflicht, notfalls in einer großen Koalition Verantwortung zu übernehmen, wenn es um die Rettung Europas geht?
Die SPD geht sicher nicht in die große Koalition zurück. Wenn Schwarz-Gelb am Ende ist, muss es Neuwahlen geben.

Herr Steinmeier, Ihre Partei hat die Bundesregierung wegen der beschlossenen Lieferung von 200 Panzern nach Saudi-Arabien kritisiert. Welche Waffen wurden zu Ihrer Zeit als Kanzleramtschef der rot-grünen Regierung in die Region verkauft und worin besteht der moralische Unterschied?
Allen Regierungen seit Helmut Schmidt war dieser Unterschied klar. So lange gibt es nämlich schon saudische Wünsche nach Lieferung des Leopard II. Und in 30 Jahren war keine Regierung bereit, dieses in der Region konkurrenzlos mächtige Waffensystem zu liefern.

Lesen Sie auf Seite drei.

War es ein Fehler, Handfeuerwaffen an Saudi-Arabien zu liefern, wie Grünen-Chefin Claudia Roth im Nachhinein beklagt?
Wir müssen in dieser Frage ehrlich sein: Wir sind ein Hochtechnologieland mit breitester Industrieproduktion. Es hat vor dieser Regierung Export von Wehrtechnik gegeben, und den wird es auch nach dieser Regierung geben. Entscheidend ist, dass wir uns bei Rüstungslieferungen an den selbst gegebenen Kodex halten. Und der sagt: Keine Lieferung in Spannungsgebiete und keine Lieferung an Diktatoren, die damit Minderheiten im eigenen Land unterdrücken. Das muss die Maßgabe bleiben!

Zu Zeiten der großen Koalition wurde grünes Licht für den Verkauf von Patrouillenbooten an Angola gegeben. Warum wollen manche in der SPD davon heute nichts mehr wissen?
Die Frage ist: Ist der Exportkodex verletzt oder nicht. Angola ist nach unserer Bewertung weder Spannungsgebiet noch können Patrouillenboote gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden. Die Boote dienen der Grenzsicherung, mit denen das Land zum Beispiel die wichtigste Nahrungsmittelbasis für das eigene Volk, die Fischbestände, sichert. Deshalb wurde damals so entschieden.

Die schwarz-gelbe Halbzeitbilanz fällt miserabel aus. Auch die SPD steht nicht glänzend da. Seit Wochen gibt es Streit über die von Sigmar Gabriel angestrebte Parteireform. Ist die SPD überhaupt reformierbar?
Das wird sie beweisen! Wenn Gremien und Strukturen in Jahrzehnten wachsen, darf die Korrektur nicht zum Tabu erklärt werden. Repräsentanz und Effizienz in der innerparteilichen Willensbildung müssen in eine neue Balance gebracht werden. Das ist nicht einfach, und Sigmar Gabriel weiß, was er sich vorgenommen hat. Aber ich bin sicher, seine Initiative wird nicht versanden, wie ähnliche Initiativen zur Parteireform in früheren Jahren.

Im Zentrum der Kritik steht die Beteiligung von Nichtmitgliedern an Personalentscheidungen. Sind Sie dafür, den Kanzlerkandidaten auch von Bürgern ohne SPD- Parteibuch bestimmen zu lassen?
Der Vorschlag sieht vor, dass sich die SPD für dieses Verfahren entscheiden kann, aber nicht muss. Aber wenn es mehrere Kandidaten gibt und die Partei das will, kann ich es mir vorstellen.

Herr Steinmeier, vor einem Jahr haben Sie sich entschieden, Ihrer Frau eine Niere zu spenden. Das hat viele Menschen berührt. Wie hat der Schritt Ihr Leben verändert?
Die Sorge um die Gesundheit meiner Frau gehört der Vergangenheit an. Das empfinde ich als so großes Glück, dass ich es nur schwer in Worte fassen kann. Die Not-Auszeit hat nach vielen Jahren die Gelegenheit gegeben, mit einem Blick – fast – von außen auf das eigene Tun zu schauen. Man lernt wieder, deutlicher das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Das bleibt – hoffentlich!

Sie machen sich nun dafür stark, dass jeder Bürger mehrfach in seinem Leben nach seiner Bereitschaft zur Organspende gefragt wird. Kritiker sehen darin einen Zwang zur Entscheidung. Was entgegnen Sie?
Ich finde es auch unter ethischen Gesichtspunkten richtiger, wenn wir jeden Menschen zu Lebzeiten mit der Frage konfrontieren, ob er Organspender sein will oder nicht. Es ist nicht fair, wenn wir diese Frage auf unsere Angehörigen schieben, die in der Stunde unseres Todes darüber entscheiden müssen. Außerdem dürfen wir nicht hinnehmen, dass jedes Jahr weit über 1000 Menschen sterben müssen, weil für sie kein Organ bereitsteht. Deshalb muss sich etwas ändern.

Das Interview führten Cordula Eubel und Stephan Haselberger.

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