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Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesvorsitzende der CDU, wird von der SPD kritisiert.

© dpa/Arne Dedert

SPD gegen CDU: Die große Koalition streitet um den Kurs

Geringere Steuereinnahmen führen zu Verteilungskonflikten in der großen Koalition. Das Treffen am Dienstag im Kanzleramt könnte eine Belastungsprobe werden.

Die SPD kritisiert einen Schlingerkurs bei der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und warnt vor einer Belastungsprobe für die große Koalition. „Der Zickzackkurs von Frau Kramp-Karrenbauer zeigt die Führungsschwäche und die inhaltliche Desorientierung in der Union“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner dem Tagesspiegel. Zuvor hatte die CDU-Chefin trotz der geringer ausfallenden Steuereinnahmen in der „Welt am Sonntag“ betont, dass sie die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags wolle – um damit die Wirtschaft wieder etwas anzukurbeln. Bisher ist das nur für 90 Prozent der Soli-Zahler ab 2021 geplant, die Entlastung soll bei zehn Milliarden Euro im Jahr liegen. Der CDU-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg hatte dagegen zuvor erklärt, dass angesichts der Kassenlage keine weiteren Senkungen möglich seien.

„Es ist erstaunlich, dass die Union bei den Koalitionsverhandlungen nicht dafür gekämpft hat, auch die restlichen zehn Prozent des Soli abzuschaffen, das nun aber permanent fordert“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. „Annegret Kramp-Karrenbauer will dass DAX-Vorstände, Spitzenjuristen, Chefärzte und auch Bundesminister einiges mehr auf dem Konto haben, sagt aber gleichzeitig nicht, wie sie diese neue Milliardenlücke im Bundeshaushalt schließen will.“ Klingbeil bezeichnete die Positionierung der CDU-Chefin als „unseriöses Verhalten“.

Der SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs sagte: „Frau Kramp-Karrenbauer liegt manchmal etwas quer neben der Fahrbahn.“ Es bringe nichts, das Soli-Thema noch mal neu aufzumachen.

Kramp-Karrenbauer stellte hingegen klar, unter die oberen zehn Prozent fielen auch Personenstandsgesellschaften wie etwa Handwerksbetriebe, denen die Abschaffung des Solis sehr helfen würde. Sie ließ deutliche Sympathie für eine große, das System vereinfachende Steuerreform wie in Österreich erkennen; die SPD bremst aber auch hier.

Stegner betonte mit Blick auf einen für Dienstag geplanten Koalitionsausschuss im Kanzleramt, die Grundrente für Geringverdiener müsse kommen – allerdings droht ein Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Widerstand der Union zu scheitern. Für den Klingbeil ist die Grundrente „der nächste wichtige Schritt, den die SPD in der Großen Koalition jetzt gehen will“. Der Sozialdemokrat sagte dem Tagesspiegel: „Wer 35 Jahre lang hart gearbeitet hat, braucht eine Anerkennung seiner Lebensleistung.“

Insgesamt nehmen derzeit die Abgrenzungsversuche innerhalb der großen Koalition deutlich zu, was neue Sollbruchstellen für das fragile Regierungsbündnis schaffen könnte, gerade durch die knapper werdenden Haushaltsmittel und die Frage, was prioritäre Projekte in einer sich abkühlenden Konjunktur sein könnten.

Bei der SPD stoßen Altmaier und Karliczek auf Kritik

Kramp-Karrenbauer bekräftigte, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „für die ganze Legislaturperiode gewählt“ sei. „Ich kann also für mich ausschließen, dass ich auf einen früheren mutwilligen Wechsel hinarbeite.“ Die CDU soll sich in der Zwischenzeit ein neues Grundsatzprogramm geben und „im Spätherbst 2020“ den Kanzlerkandidaten oder die Kandidatin nominieren. Angesichts der schwachen Werte für die Union sagte Kramp-Karrenbauer selbstkritisch, nötig sei „noch bessere Arbeit“.

In der SPD stoßen vor allem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) auf Kritik. „Beide CDU-Minister behandeln wichtige Zukunftsthemen wie etwa Künstliche Intelligenz oder generell die Chancen der Digitalisierung. Da muss von beiden mehr kommen und es ist gut, dass es nun auch Druck aus den eigenen Reihen gibt“, sagte Klingbeil. Auch Teile der Union wie der „Parlamentskreis Mittelstand“ hatten Altmaiers Industriepolitik, die vor allem den Schutz großer Unternehmern vorsieht, kritisiert.

Sollte es nach der Europawahl am 26.Mai zu einer Kabinettsumbildung kommen, will Kramp-Karrenbauer nicht in die Regierung eintreten – am ersten Juni-Wochenende will die CDU-Spitze bei einer Klausur die Folgen der Wahl und den weiteren Kurs beraten. Zum unsicheren Faktor könnte aber auch die SPD werden.

Umfragen sehen sie bei 16 Prozent, das wären 11,3 Prozent weniger als bei der Europawahl 2014. Der Druck auf Parteichefin Andrea Nahles dürfte massiv wachsen, zumal am gleichen Tag die SPD erstmals seit Gründung der Bundesrepublik in Bremen die Macht verlieren könnte.

Gerade der Streit um das SPD-Prestigeprojekt einer Grundrente hat sich so hochgeschaukelt, dass dies von einigen Genossen zum Stellen der Koalitionsfrage genutzt werden könnte. In Ostdeutschland bekommen viele Rentner, die 35 Jahre und mehr gearbeitet haben, oft Renten unterhalb der Grundsicherung. Die SPD will einen großen Empfängerkreis und einen Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung. Die Union will, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, eine solche Prüfung. So oder so ist die Finanzierung unklar. Nach der jüngsten Steuerschätzung muss Finanzminister Olaf Scholz (SPD) mindestens 10,5 Milliarden Euro zusätzlich einsparen bis 2023.

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