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SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.

© Mike Wolff

SPD-Generalsekretär Klingbeil: "Die Agenda-2010-Debatte langweilt mich"

Die SPD werde neue Antworten für den Sozialstaat der Zukunft entwickeln, sagt Generalsekretär Lars Klingbeil im Interview. Das sei ein wichtiger Schritt bei der Erneuerung der Partei.

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Herr Klingbeil, was schätzen Sie an Simone Lange?
Ich finde es gut, dass es eine zweite Kandidatin für den Parteivorsitz gibt, sodass die Delegierten eine echte Auswahl haben. Ich selbst werde natürlich für Andrea Nahles stimmen. Sie wird als Vorsitzende dafür sorgen, dass die SPD klar erkennbar ist und hat einen ganz anderen Stil als ihre Vorgänger.

Alle in der SPD kennen Andrea Nahles, kaum jemand Simone Lange. Wäre es da nicht fair gewesen, wenn die Favoritin der Außenseiterin ein öffentliches Streitgespräch gewährt hätte?
Das Entscheidende ist doch: Auf dem Parteitag wird es ausreichend Zeit geben, damit sich beide vorstellen können. Danach entscheiden die Delegierten.

Gehört zur Erneuerung der SPD nicht auch, dass das Partei-Establishment auch Außenseitern eine Chance gibt?
Simone Lange ist doch in der SPD unterwegs, von mehr als 20 Terminen habe ich gelesen. Sie hat hier im Willy-Brandt- Haus eine Pressekonferenz gegeben, um sich vorzustellen. Sie wirbt in den sozialen Netzwerken um Unterstützer. Ich kann keine Benachteiligung erkennen.

Die SPD-Basis ist für ihre Widerspenstigkeit bekannt. Was passiert eigentlich, wenn mehr als ein Viertel der Delegierten Andrea Nahles die Unterstützung verweigert und stattdessen für eine Flensburger Kommunalpolitikerin stimmt?
Andrea Nahles wird den Parteitag überzeugen mit ihren Plänen, wie sie die SPD wieder stark machen will. Sie hat als Ministerin bewiesen, dass sie sozialdemokratische Projekte gegen große Widerstände durchsetzen kann. Sie garantiert, dass die SPD auch in der Koalition mit der Union als eigenständige Kraft sichtbar bleibt.

Das heißt, sie wird mehr als 80 Prozent Zustimmung finden?
Andrea Nahles wird eine deutliche Mehrheit der Delegierten überzeugen, da bin ich sicher.

Wie stark ist eigentlich das Misstrauen der SPD-Basis gegen „die da oben“, also gegen die eigene Führung?
Keine Frage: Die SPD hat eine unruhige Phase hinter sich. Das ist aber nach einem Wahlergebnis von knapp über 20 Prozent auch nicht verwunderlich. Die Entscheidung für Sondierungen mit der Union fiel uns schwer. Dann kamen die Sondierungsgespräche, ein Sonderparteitag, die Koalitionsverhandlungen, das Mitgliedervotum. Jetzt werden wir uns nach der Wahl der neuen Vorsitzenden auf die Erneuerung der Partei konzentrieren.

Welche Verantwortung trägt die Parteiführung für das Misstrauen an der Basis?
Da will ich nicht drum rumreden. Die SPD ist in den letzten Jahren zu sprunghaft gewesen, die Parteispitze hat oft keine Orientierung gegeben. Natürlich wurden Fehler gemacht. Jetzt arbeiten wir hart dafür, Vertrauen zurückzugewinnen. Da ist es eine gute Voraussetzung, dass die Parteispitze nach langen Jahren zum Mannschaftsspiel zurückfindet.

Erneuerung ist ja kein Selbstzweck. Kann die SPD ohne einen neuen, auch härteren Kurs auf dem Feld der inneren Sicherheit noch Wahlen gewinnen?
Das Thema ist uns wichtig, deshalb haben wir schon in der vergangenen Wahlperiode damit begonnen, die Zahl der Polizisten aufzustocken. Auch im neuen Koalitionsvertrag haben wir dafür gesorgt, dass die Polizei personell besser ausgestattet wird. Zur Sicherheit gehört für uns aber auch immer die soziale Sicherheit.

Reicht das aus?
Vollmundige Ankündigungen oder populistische Thesen wie die von Horst Seehofer zum Islam erhöhen die innere Sicherheit jedenfalls nicht. Das kann man nur durch Handeln, nicht durch folgenlose Debatten. Und die SPD handelt.

Ministerpräsident Stephan Weil aus Niedersachsen hat kürzlich gesagt, die SPD habe die Bundestagswahl auch deshalb verloren, weil sie auf dem Feld der inneren Sicherheit Defizite habe. Liegt er falsch?
Stephan Weil hat recht, wenn er sagt, dass die SPD inhaltlich nicht klar genug war. Viele Wähler konnten nicht erkennen, wofür wir stehen. Deshalb haben wir beschlossen, unsere Positionen zu klären – auch die zu Staat und Sicherheit. Politik ist dann erfolgreich, wenn sie einen Kurs definiert und ihn dann auch durchhält, selbst, wenn dies Widerspruch provoziert. Die Menschen wollen wissen, woran sie sind.

Warum überlässt die SPD es Jens Spahn, auf rechtsfreie Räume in diesem Land hinzuweisen? Oder gibt es die von Spahn beschriebenen Phänomene gar nicht?
Wir haben definitiv Probleme, die wir konkret angehen müssen. Ich sehe aber keine rechtsfreien Räume in Deutschland und wir alle – inklusive Jens Spahn – sollten daran arbeiten, dass das so bleibt.

Viele Menschen fühlen sich aber offenbar nicht mehr sicher. Kann es sein, dass die Politik manche Missstände nicht gebührend zur Kenntnis nimmt, weil die Politiker selbst nicht unmittelbar betroffen sind?
Ich bin bei Urteilen über „die Politik“ immer vorsichtig. Für mich kann ich sagen: Für meine Arbeit in meinem Wahlkreis in der Lüneburger Heide gilt das sicher nicht. Deshalb bin ich ja auch direkt gewählt worden von den Bürgern, die zuvor sechs Mal hintereinander einem CDU-Abgeordneten die meisten Stimmen gegeben hatten.

Kurz vor dem Parteitag debattiert Ihre Partei wieder einmal über Hartz IV und würde die Regeln am liebsten abschaffen. Können Sie Ihren Genossen da Hoffnung machen?
Die Agenda-2010-Debatte langweilt mich. Wir haben heute ganz andere Herausforderungen als im Jahr 2003, als die Agenda beschlossen wurde. Wir haben viel weniger Arbeitslose als damals, und es gibt große Herausforderungen durch die Digitalisierung. Deshalb werden wir neue Antworten für den Sozialstaat der Zukunft entwickeln.

Als SPD-Generalsekretär sagen Sie: Die Hartz IV-Debatte langweilt mich?
Die Grundsicherungsdebatte auf Vergangenheitsbewältigung zu reduzieren, langweilt mich. Es hilft niemanden, wenn wir jetzt darüber diskutieren, was 2003 falsch lief und was nicht. Ich will, dass die SPD in Richtung Zukunft diskutiert und ihre Arbeits- und Sozialpolitik auf neue Herausforderungen ausrichtet.

Werden Langzeitarbeitslose denn ausreichend gefördert und qualifiziert?
Wir sehen doch, dass wir für Langzeitarbeitslose nicht das erreicht haben, was das eigentliche Ziel war. Deshalb hat die SPD im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass wir 150.000 Langzeitarbeitslosen eine Chance im sozialen Arbeitsmarkt eröffnen werden.

Wie erklären Sie sich die große Resonanz in der SPD auf die Forderung von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller nach Einführung eines solidarischen Grundeinkommens?
Die SPD hat Lust auf inhaltliche Debatten. Unsere Partei hat in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie sehr diskussionsfreudig ist. Jetzt wollen wir programmatisch arbeiten und diskutieren. Ich bin mir sicher: Am Ende wird etwas Neues stehen, etwas anderes als Hartz IV. Ende 2019 werden wir programmatische Klarheit haben. Wir werden ein Ergebnis haben, hinter dem sich die Partei versammeln kann und das uns gut vorbereitet für die Bundestagswahl 2021.

Ende 2019 soll das neue Programm stehen. Ist die tiefe Vertrauenskrise der SPD dann überwunden?
Ein zuversichtliches Programm für die Zukunft ist ein wichtiger Schritt, um Vertrauen zurückzugewinnen. Wir müssen aber nicht nur unser Programm erneuern.

Was denn noch?
Neben den Inhalten geht es um Vielfalt, um die Veränderung von Strukturen und Abläufen. Wir wollen stärker werden in Ost- und Süddeutschland. Es geht auch um neue Beteiligungsmöglichkeiten für unsere Mitglieder.

Ihr Parteifreund Außenminister Heiko Maas hat die Luftschläge gegen Syrien als „angemessenes und erforderliches Signal“ bezeichnet, andere SPD-Politiker wie Ralf Stegner oder Rolf Mützenich äußerten sich weit kritischer. Was gilt denn nun für die SPD – begrüßt und stützt sie die Angriffe?
Die Luftschläge sind eine Reaktion auf den Einsatz von Giftgas gegen die eigene Bevölkerung. Eine Lösung für die furchtbare Situation in Syrien kann allerdings nur auf diplomatischem, Wege gefunden werden. Deshalb ist es richtig von Heiko Maas, sich für neue Friedensgespräche starkzumachen. Wir brauchen eine enge Abstimmung innerhalb der EU. Klar ist auch, dass Russland intensiv einbezogen werden muss.

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