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Sein Erfolg ist ihr Interesse: Scheitert Thorsten Schäfer-Gümbel am Sonntag, hat Andrea Nahles ein Riesenproblem.

© Boris Roessler/dpa

SPD in Hessen: Die Schicksalswahl, die keine sein darf

Kriegt die SPD in Hessen die Kurve? Ausgeschlossen ist das nicht. Doch wenn es am Sonntag schief geht, dürfte das auch Folgen für Andrea Nahles haben.

Von Hans Monath

Das böse Thema ist im Raum, einer muss es aussprechen. Also gibt Andrea Nahles am Mittwochabend in der Turnhalle der mittelhessischen Gemeinde Heuchelheim den Sündenbock. Vor rund 400 Genossen und Freunden der SPD tritt die Parteichefin als zweite Rednerin nach Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel aufs Podium.

"Der Thorsten Schäfer-Gümbel war sehr freundlich, er hat es nicht erwähnt, deshalb werde ich es tun", kündigt sie an – und holt dann erst mal tief Luft: "Aus der Bundes-SPD gab es keinen Rückenwind in den vergangenen Wochen, im Gegenteil", ruft Nahles. Sie weiß, wie sehr die hessischen Genossen im Wahlkampf unter dem Dauergezänk der großen Koalition und unter den stetig sinkenden Umfragewerten der Bundespartei leiden. Doch das ist es dann auch schon mit dem Reden über Verantwortung. Schnell lobt die Vorsitzende, dass die hessischen Partei trotzdem im Wahlkampf "den Rücken durchgedrückt" halte.

Für Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel gilt das allemal. Trotz Gegenwind versucht der Herausforderer von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) Zuversicht auszustrahlen, setzt auf die Überzeugungskraft seiner lang vorbereiten Angebote für bezahlbares Wohnen, kostenfreie Bildung und eine bessere Verkehrsanbindung von Stadt und Land.

Aber TSG, wie er in der SPD genannt wird, steht in einem Abwehrkampf nicht nur gegen die erstarkenden Grünen, sondern auch gegen den schlechten Einfluss aus Berlin auf seine Mitkämpfer und potenziellen Wähler. "Es ist keine kleine Bundestagswahl, es ist keine Europawahl", ruft er in der Turnhalle in Heuchelheim in Anspielung auf den Dauerstreit um CSU-Chef Horst Seehofer in der Bundesregierung: "Es geht nicht um irgendwelche Scharmützel von Politikern, es geht am Ende darum, die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Land zu verbessern."

Wenn es wirklich nur darum ginge am Sonntag in Hessen, es wäre sicher beiden wohler, TSG und Nahles. Doch nach dem katastrophalen Abschneiden der SPD in Bayern vor zehn Tagen (9,7 Prozent) steht in Wiesbaden mehr auf dem Spiel als nur die Frage, ob die Hessen-SPD wieder in die Regierung kommt oder die CDU nach 19 Jahren an der Regierung gar ablösen kann. An der Basis der SPD in ganz Deutschland brodelt es seit dem Bayern-Desaster. All diejenigen fühlen sich bestärkt, die ihre Partei in der großen Koalition vor die Hunde gehen sehen. Gleichsam auf Knieen, so heißt es in der Bundestagsfraktion, hätten hessische Abgeordnete nach der Bayern-Wahl darum gebeten, den eigenen Wahlkampf nicht durch wilde Debatten zu stören. So viel Disziplin bringt die alte Partei noch auf.

Mancher hofft schon auf ein Erdbeben

Damit ist die Debatte über die Groko und die Fehler der Parteispitze aber nicht beendet, sondern nur aufgeschoben. In Hessen leidet der von TSG sorgfältig und lang geplante Wahlkampf schwer am Zustand der Gesamt-Partei. Tür-zu-Tür-Werber berichten, "der Bund" schlage voll durch. Die massiven Verluste in Umfragen muss wohl nicht TSG verantworten, in manchen Erhebungen ziehen nun sogar die Grünen vorbei.

"Ich will diese Regierung führen als Ministerpräsident", bekräftigt TSG in Heuchelheim. Ausgeschlossen ist das nicht. Nach den aktuellen Daten hat Schwarz-Grün keine Mehrheit mehr, es könnte aber für Rot-Rot-Grün oder eine Ampel (SPD, Grüne, FDP) unter seiner Leitung reichen. Wenn aber nicht, so sagen viele in der SPD, wird es ein "Beben" geben.

Schon jetzt ist der Druck auf Nahles enorm, sie redet dagegen an. "Ich sehe das nicht als Schicksalswahl für mich", hat sie an diesem Tag dem Hessischen Rundfunk gesagt. Auch in der Turnhalle dreht sie auf, tigert über die Bühne, redet burschikos ("Dieser Landtag schnarcht, das ist so laut, dass man es bei uns in Rheinland-Pfalz hört"). Doch es ist zu spüren, wie die Kräfte an ihr zerren. Nach dem Scheitern von Martin Schulz hatte sie als erste Frau in schwieriger Zeit die Parteiführung übernommen und die SPD mit Mühen in die große Koalition bugsiert. Was macht es nun mit ihr, wenn sie feststellen muss, dass aller Einsatz nichts genutzt hat, die Partei unter ihrer Leitung Monat für Monat immer weniger Menschen überzeugen kann?

Selbst wenn es in Hessen doch noch einen Erfolg gibt, ist unklar, wie viel Zeit der SPD dann zur Erneuerung in der großen Koalition noch bleibt. Mancher Genosse wünscht sich schon den großen Schock herbei. "Solange es kein Erdbeben in der SPD gibt", sagt ein erfahrener Berliner Sozialdemokrat, "verschwindet sie schleichend."

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