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Will die SPD nur bis zum 1. Oktober kommissarisch führen: Thorsten Schäfer-Gümbel am 3. Juni im Willy-Brandt-Haus.

© imago images / Revierfoto

SPD-Interimschef Schäfer-Gümbel: „Den Grünen ist die soziale Frage schnurzegal“

Wie geht es weiter mit der SPD? Thorsten Schäfer-Gümbel verlangt von der Partei Optimismus – und wirft Grünen und AfD Vereinfachung vor. Ein Interview.

Herr Schäfer-Gümbel, wenn Sie einen Wunsch an die SPD hätten – welcher wäre das?
Nur einen?

Nur einen.
Dann lautet mein Wunsch: Mehr lächeln! Wir sollten lebensfroh und optimistisch auftreten. Die SPD hat immer davon gelebt, dass die Menschen ihr zugetraut haben, so die Zukunft zu gestalten. Das vermitteln wir im Moment zu wenig. Wir brauchen eine andere Haltung.

Ist es nicht verständlich, dass den Genossen derzeit nicht zum Lachen zu Mute ist, dass sie deprimiert und niedergeschlagen sind?
Wir sind hier nicht beim Psychotherapeuten, sondern bei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Natürlich sind viele frustriert. Ich will auch nicht drum rumreden: Wir haben in den vergangenen Wochen viele Menschen enttäuscht. Das tut mir leid. Deswegen gehört zu unserer großen Verantwortung, nicht nur für Stabilität zu sorgen, sondern  den Laden auch wieder aufzurichten.

Seit dem Rücktritt von Andrea Nahles sind mehr als 22.000 Mails oder Briefe im Willy-Brandt-Haus eingegangen.  Was treibt die Absender um?
Viele machen Vorschläge, ob eine Doppelspitze sinnvoll ist oder nicht. Andere beschäftigen sich mit der Frage, was der Wesensgrund der SPD ist.

Haben Sie denn eine Antwort auf die Sinnfrage?
Die Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse ist das Kernübel. Wir stehen für Solidarität und Zusammenhalt, das ist unser Auftrag. Aber die Art und Weise, wie sich einige in den vergangenen Wochen verhalten haben, beschädigt unsere Glaubwürdigkeit. Wer Zusammenhalt als gesellschaftlich notwendig predigt, muss selbst Zusammenhalt vorleben.

Genügt ein besseres Miteinander, damit die SPD wieder auf die Beine kommt?
Nein. Es muss deutlich werden, was die Grundidee der SPD ist und wo sie sich von anderen Parteien unterscheidet. Wir brauchen ein neues Grundsatzprogramm, das sage ich schon lange. Wir werden auf dem Bundesparteitag darüber entscheiden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute wieder erkennen, was die große Idee der SPD ist. Wir brauchen Klarheit.

Ist die Migrationspolitik nicht ein schlagendes Beispiel dafür, dass es die SPD an Klarheit vermissen lässt?
Widerspruch! Wir haben diese Fragen entschieden. Wir stehen für eine humane Flüchtlingspolitik, sagen aber gleichzeitig, dass Integration nicht zum Nulltarif zu haben ist und zwingend klare Regeln braucht.

Trotzdem gab es aus den eigenen Reihen härteste Kritik am Migrationspaket. Die Gesetze wurde als inhuman gegeißelt, obwohl Ihre Partei sie zusammen mit der Union vergangene Woche im Bundestag verabschiedet hat.
Ich habe auf Twitter Beiträge gesehen, die nicht akzeptabel waren. Da wurden rote Linien überschritten.  Am Ende ist es doch so, dass die große Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion diesem Paket zugestimmt hat. Wir haben nach 25 Jahren Debatte über Integration und Einwanderung einen Riesen-Erfolg erreicht und endlich ein Einwanderungsgesetz durchgesetzt . Die Kernaufgabe der neuen Führung ist dafür zu sorgen, dass wir wieder stolz auf unsere Erfolge sind.

Bei allem Respekt vor Ihren Führungsfähigkeiten – was kann die beste Führung ausrichten, wenn die Anhängerschaft der SPD in zentralen Fragen gespalten ist?
Es gibt Themen, die spalten die Anhänger der SPD. Und es gibt Themen, die spalten die Anhänger der Union. Beim Thema Vermögensbesteuerung und Bürgerversicherung sind unsere Anhänger total geschlossen. Eine Aufgabe der SPD-Führung wird sein, die Alltagsthemen stärker nach vorne zu schieben. Dazu gehört zuallererst bezahlbarer Wohnraum. Ziel muss sein, dass Menschen höchstens ein Drittel ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen. Dieses Versprechen müssen wir ins Zentrum sozialdemokratischer Programmatik stellen.

Rot-Rot-Grün Berlin versucht es jetzt mit einem Mietpreisdeckel. Kann das funktionieren?
Wir haben das schon im vergangenen Jahr für den Bund vorgeschlagen. Einen Mietendeckel für fünf Jahre einzuführen, ist völlig richtig. Wir gewinnen damit Zeit, um zu bauen, zu bauen und noch einmal zu bauen. Wir werden neue Stadtteile errichten und gleichzeitig Wege suchen müssen, wie wir Arbeit zurück aufs Land bekommen, damit Leute überhaupt nicht in die Situation kommen, in Ballungsräume ziehen zu müssen. Wir brauchen den Mietpreisdeckel für ganz Deutschland. Wir werden das in der Koalition in den nächsten Tagen ansprechen und zum Thema machen.

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Von der Schwäche der SPD profitieren vor allem die Grünen. Warum ist das so?
Die Grünen versuchen im Moment, alles Elend dieser Welt zu reduzieren auf die Frage des Klimawandels. Das halte ich für falsch. Die AfD erklärt die Migrationsfrage zum Übel der Welt. Auch das halte ich für grundfalsch. Beides verkürzt Politik in grotesker Weise.

Hat die SPD Angst vor den Grünen?
Ich habe überhaupt keine Angst vor den Grünen. Die Grünen stehen für Kapitalismus mit gutem Gewissen. Den Grünen ist die soziale Frage schnurzegal. Sie spielt überhaupt keine Rolle in ihrer Programmatik. Sie präsentieren sich als fortschrittliche Kraft, aber sie sind keine fortschrittliche Kraft. Ich erlebe sie in politischen Prozessen eher als autoritär.

Das müssten Sie belegen.
Sie sind in den vergangenen zwei Jahren in eine programmatische Beliebigkeit abgeglitten. Es gelingt ihnen, im Moment gar keine Position mehr zu vertreten und sich so zum Objekt politischer Heilserwartungen zu stilisieren. Ich sage Ihnen voraus: Das wird spätestens dann klar werden, wenn die Grünen im Bund in politische Verantwortung kommen. Dann müssen sie konkret werden – und darauf sind sie nicht vorbereitet. Sie reden etwa beim Kohleausstieg nur über Jahreszahlen. Aber sie liefern gar nichts – nicht beim Netzausbau, nicht bei der Technologieentwicklung, nicht in der Industriepolitik. 

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Wann wissen die Wählerinnen und Wähler, ob die SPD in der großen Koalition bleiben will?

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass wir zur Hälfte der Legislaturperiode die Arbeit der Koalition bewerten. Das werden wir auf einem ordentlichen Bundesparteitag tun.  Mein Ziel ist ein sehr transparentes und klares Verfahren, mit dem wir prüfen, wofür diese Koalition steht und ob sie die nächsten zwei Jahre Gutes leisten kann. Die Koalition vermittelt im Moment nicht das Bild, dass sie Freude daran hat, dieses Land zu gestalten. Das muss sich dringend ändern

Die Mitglieder haben entschieden, die große Koalition einzugehen. Warum soll eigentlich ein Parteitag das Recht haben, sie zu beenden?
Das ist eine ernste Frage, die wir uns auch stellen. Darüber werden wir am 24. Juni entscheiden. Bis dahin mache ich keine Zwischenstände. Eines ist aber auch klar: Wir können nicht ständig 450.000 Mitglieder fragen, wie sie zu bestimmten Fragen stehen. Das wäre organisatorisch kaum zu machen – und sehr teuer wäre es auch.

Welche Eigenschaften muss jemand mitbringen, der die SPD erfolgreich leiten könnte?
Ganz einfach: sammeln und führen muss er oder sie können.

Braucht man auch Erfahrung in einem politischen Leitungsjob?

Die schadet ganz sicher nicht. Am Ende geht es auch um Menschenkenntnis und die Fähigkeit, mit Menschen umzugehen. Dabei hilft es, wenn man respektvoll zuhören, sich selbst einmal zurücknehmen kann.

Manche in ihrer Partei wollen Kevin Kühnert zum Parteichef machen. Kann man mit 29 Jahren sammeln und führen?

Das werden die Mitglieder entscheiden – falls Kevin Kühnert denn antreten will.

Haben Sie schon Bewerbungen vorliegen?
Nein. Ich erwarte offizielle Bewerbungen mit Lebenslauf, Passbild oder einer Idee für die Zukunft der SPD auch erst nach dem 24. Juni, wenn das Verfahren klar ist.

Bereuen Sie es schon, dass Sie gesagt haben, sie stünden nur als Übergangsvorsitzender zur Verfügung?
Die Umstände sind nicht schön, sie sind schwierig und fordernd. Aber Verantwortung an der Spitze der SPD zu tragen, ehrlich gesagt, das macht mich stolz. Übrigens habe ich Abitur gemacht an der Landgraf-Ludwigs-Schule in Gießen, eine eher konservative Schule. Die hat aber nun schon drei Vorsitzende der SPD hervorgebracht, wenn man die geschäftsführenden Vorsitzenden mitzählt: Wilhelm Liebknecht, Hans-Jochen Vogel und jetzt mich. Das ist also die einzige Schule weltweit, auf die drei SPD-Chefs gegangen sind. Aber trotzdem ändert sich an meiner Lebensplanung dadurch nichts. Ich fange am 1. Oktober bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit als Arbeitsdirektor an.

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