zum Hauptinhalt
Verliebt in die Siegchance. In seiner Partei fliegen Martin Schulz jetzt schon die Herzen zu.

© dpa

SPD-Kanzlerkandidat: Ist Martin Schulz tatsächlich eine Alternative?

Der SPD-Kanzlerkandidat soll neuen Schwung in die Politik bringen. Doch seine politische Praxis und das Verhalten im EU-Parlament nähren daran Zweifel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Endlich! Endlich!, so möchte man ausrufen, stellen sich Deutschlands Sozialdemokraten ihrer Verantwortung. Mit Martin Schulz, dem neuen Spitzenmann aus Brüssel, formiert sich die SPD erstmals seit 13 Jahren wieder als tatsächliche Alternative zur ewigen Kanzlerin und ihrer christlichen Union.

Mehr Gerechtigkeit bei Löhnen und Steuern, klare Kante gegen Trump, für ein solidarisches und demokratisches Europa – Schulz trifft den richtigen Ton, und die Bürger danken es ihm. Umfragen und Mitgliederzuwachs zeigen an, wie verbreitet die Sehnsucht nach einer wahren SPD ist, einer linken Volkspartei also, die sich der Ungleichverteilung von Vermögen, Einfluss und Lebenschancen mutig entgegenstellt, anstatt Umverteilung von unten nach oben zu betreiben und das als „moderne Wirtschaftspolitik“ zu verklären wie einst Gerhard Schröder.

Bliebe es dabei, wäre das ein großer Gewinn für die Demokratie, selbst dann, wenn es nicht zum Sieg für Schulz und seine Partei reichen sollte. Denn nichts ist gefährlicher für die demokratische Verfassung, als wenn die Bürger in großer Zahl meinen, alle etablierten Parteien stünden für dieselbe Politik zugunsten der Eliten. Diese Stimmung ist es, die den Rechtspopulisten aller Länder die Wähler zutreibt und Trump zum Sieg verhalf. Das gilt es unbedingt zu vermeiden, nicht nur in Deutschland.

Sparen in der Krise ist kontraproduktiv - Schulz hat es dennoch unterstützt

Aber ist Martin Schulz der richtige Mann dafür? Seine politische Praxis weckt Zweifel. Als Präsident des Europaparlaments hat sich der neue Aspirant aufs Kanzleramt nicht gerade als Vorkämpfer für Steuergerechtigkeit, Solidarität und Demokratie hervorgetan. Zwar schimpft er gerne, dass es nicht angehe, „wenn der kleine Bäckerladen anständig seine Steuern zahlt, aber der globale Kaffeekonzern sein Geld in Steueroasen parkt“. Doch nach den Enthüllungen über die Steuerdeals der Konzerne in Luxemburg pflegte Schulz seine private große Koalition mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sabotierte die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, um dem Luxemburger Ex-Premier den Rücken freizuhalten.

Widersprüchlich war auch sein Umgang mit der vordemokratischen Verfassung der EU. Da forderte er, man müsse „die Kommission zu einer echten europäischen Regierung umbauen, die der Kontrolle des Europaparlaments unterworfen wird“. Aber gleichzeitig sah er tatenlos zu, wie dieses Parlament beim Krisenregime in den Euro-Staaten systematisch degradiert wurde. Die Technokraten der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission agierten „intergouvernemental“ jenseits aller demokratischen Kontrolle und setzten im Bruch mit dem EU-Vertrag Lohnsenkungen und die Abschaffung von Tarifverträgen durch.

Sein Wille zur Aufklärung ist schwächer als die Furcht vor Gegenwind

Noch schwerer wiegt, dass Schulz zwar für den europäischen Zusammenhalt eintritt, aber auch den von Bundesfinanzminister Schäuble forcierten Kurs der EU-weiten Haushaltskürzungen unterstützt. Dieser ist aber eine wesentliche Ursache für die Spaltung Europas. Gerade erst wieder haben Ökonomen der Universitäten Michigan und Lausanne überzeugend nachgewiesen, wie kontraproduktiv das Sparen in der Krise war. Demnach wäre ohne die Zwangskürzungen in den fünf Krisenstaaten der Euro-Zone deren Wirtschaftsleistung heute zusammen um 17 Prozent höher, und das bei fast gleich hoher Staatsschuldenquote. Staatsausgaben steuern eben die Volkswirtschaft insgesamt und damit auch die Steuereinnahmen. Nur die Deutschen und ihr Finanzminister halten an dem Kinderglauben fest, Staaten könnten geführt werden wie die private Haushaltskasse. Darum lassen sie lieber ihre Infrastruktur verrotten und hegen mangels Binnennachfrage einen grotesk hohen Exportüberschuss, der zwangsläufig in anderen Staaten mit Defiziten und Verschuldung einhergeht.

Das weiß auch Martin Schulz. Aber offensichtlich ist sein Wille zur Aufklärung geringer als seine Furcht vor dem Gegenwind, der jedem droht, der die überkommenen Dogmen von Schäuble und seinen Anhängern infrage stellt.

Genau darauf käme es aber an. „Fehler zu machen, ist nicht ehrenrührig“, sagt Schulz gern. Wichtig sei nur, sie zu korrigieren, wenn sie erkannt sind. Würde er das nicht nur auf die verunglückten Sozialreformen der Schröder-Ära, sondern auch auf seine eigene europäische Praxis anwenden, dann könnte Schulz Großes gelingen. Sein Wahlsieg würde nicht nur die deutsche, sondern die ganze europäische Sozialdemokratie aus ihrem neoliberalen Jammertal herausführen. Die Neonationalisten hätten keine Chance mehr.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false