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Manuela Schwesig, SPD

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SPD: Manuela Schwesig: Die große Unbekannte

Quote? Sie lacht. Ja, ja, blond und so. Manuela Schwesig wurde schon oft unterschätzt. Sie soll punkten, wo die SPD schwächelt, bei den Jungen, Frauen und Ostdeutschen.

Von Anna Sauerbrey

Die Frau im schwarzen Kostüm bahnt sich den Weg durch die Menge. Ein Gasthaus in München-Trudering, die erste Etage ist reserviert für die SPD. Etwa eine Stunde hat Manuela Schwesig gesprochen, über den Ausbau der Kinderbetreuung und den Mindestlohn, aber jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Die Kellner räumen Teller mit Rotkohl- und Kloßresten ab, die Herren streifen die Lodenjankerl wieder über, und die Damen scharen sich um die Ministerin. Die muss zuhören, Hände schütteln, Wärme ausstrahlen. Gerade umfasst eine korpulente Dame mit roter Kurzhaarfrisur mit beiden Händen Schwesigs Rechte und erzählt die Geschichte der Tochter einer Freundin, die gerade in den Beruf zurückgekehrt ist. „Von wegen gleichwertige Arbeit“, empört sich die Dame. „Sie wissen schon, ein Büro, irgendwo im hintersten Gang.“

Manuela Schwesig lächelt und überlässt ihre Hand der Umklammerung. Ihre Büroleiterin greift die Ministerin am Ellenbogen und lotst sie hinüber zu zwei wartenden Frauen. Sie arbeiten für einen Migrantenverein, der sich für Sprachförderung stark macht. Eine Digitalkamera blitzt, ein Bild, das gut ist für den Verein und gut für die Ministerin.

Nachdem Manuela Schwesig es endlich zum Ausgang geschafft hat – es ist längst Zeit, ihr Mann wartet im Hotel, er hat morgen Geburtstag, und der sechsjährige Sohn ist bei den Eltern geblieben –, sagt die korpulente Dame, jo mei, der Steinbrück, der sei ja so gar nicht ihr Typ. Was die Schwesig aber gesagt habe, das findet sie goldrichtig. „Die muss das einbringen. Das spricht die jungen Frauen an.“ Die jungen Frauen vom Migrantenverein kannten Schwesig bislang nicht, aber, ja, sie finden sie „sympathisch“.

Manuela Schwesig, gerade 39 Jahre alt geworden, stellvertretende SPD-Vorsitzende und Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, hat an diesem Abend eingelöst, was sich die SPD von ihr erhofft: Sie hat „Wähler erreicht“ – und zwar die Sorte, mit der sich die SPD bei der letzten Bundestagswahl schwergetan hat. Das sind erstens die jungen Wähler bis 24 Jahre. Das sind zweitens die Frauen. Das sind drittens all die Anhänger der Sozialdemokratie, die 2009 erst gar nicht zur Wahl gingen – überproportional häufig ostdeutsche Frauen. Und das sind viertens die Arbeiter, kleinen Angestellten und schlecht Bezahlten, die sich als Verlierer der Agenda-Politik empfinden. Aus der Sicht von Peer Steinbrück dürfte Schwesig also die perfekte Ergänzung zu seiner eigenen Person sein: Sie ist jung, eine Frau, ostdeutsch und ohne Agenda-Altlasten. 2003, als Gerhard Schröder die Reform verkündete, unterschrieb sie gerade ihre Beitrittserklärung beim Ortsverein Paulsstadt, Schwerin. Es gilt deshalb als wahrscheinlich, dass der Kanzlerkandidat sie in sein Kompetenzteam berufen wird, als Schattenministerin für das Ressort Familie. Dann werden einige ihre Geschichte wieder als Geschichte einer dreifachen Quotenfrau erzählen. Und tatsächlich gibt es sie, die Quotenmomente im Leben von Manuela Schwesig.

Quotenmoment Nr. 1, die DDR kurz vor dem Mauerfall. Manuela Schwesig wohnt noch bei ihren Eltern im kleinen Örtchen Seelow in Brandenburg. Sie besucht die zehnte Klasse und will Kinderheimerzieherin werden, ein Abitur plant sie deshalb nicht. Die Lehrer aber machen Druck. Aus jeder Klasse sollte eine bestimmte Quote von Schülern einen höheren Bildungsabschluss erreichen, und Manuela Schwesig wäre als Arbeiterkind die perfekte sozialistische Quotenabiturientin. Die Mauer fällt, allerdings gibt es jetzt auch den Ausbildungsgang zur Kinderheimerzieherin nicht mehr, so dass Manuela Schwesig doch Abitur macht.

Quotenmoment Nr. 2, Schwerin im Jahr 2004. Manuela Schwesig, die 2003 bereits in den Landesvorstand der SPD gewählt worden ist, wird Stadtverordnete und gleich auch Fraktionsvorsitzende. Damals dominieren ältere Männer die Schweriner Politik. Die SPD entscheidet sich deshalb für ihr frischestes Gesicht. Quotenmoment Nr. 3, Berlin 2009, mitten im Bundestagswahlkampf. Frank-Walter Steinmeier beruft sein „Kompetenzteam“. Sein Vorschlag für den Bereich Familie: die bundespolitisch noch völlig unbekannte Manuela Schwesig. Ja, wenn man wollte, könnte man ihre Karriere wohl so erzählen.

"Fleiß" ist eines ihrer Lieblingswörter

Im Truderinger Wirtshaus rechnet Manuela Schwesig vor, ab welchem Einkommen welche Bürger durch die Reformpläne der SPD zum Ehegattensplitting weniger Geld in der Tasche hätten. Dabei bringt sie einmal Millionen und Milliarden durcheinander, ein Raunen geht durch den Raum. Mit einer Handbewegung versucht sie, den Patzer wegzuwischen, ja, bei den vielen Milliardenbeträgen, die seit der Euro-Krise herumschwirrten, da könne man schon durcheinanderkommen. Ein paar höfliche Lacher, sie schließt die Augen, konzentriert sich und betet die Gehaltsklassen herunter. Dazu malt sie mit der Handkante Stufen in die Luft. Man erahnt eine Perfektionistin, die sich Fehler nicht leicht verzeiht.

Vielleicht wäre es passender, die Karriere der Manuela Schwesig entlang einer anderen Vokabel zu erzählen. „Fleiß“ zum Beispiel. Es ist das Wort, das neben „Ehrgeiz“ am häufigsten verwendet wird, um sie zu beschreiben, im Umfeld von Peer Steinbrück und im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Fleiß ist auch eines der Lieblingswörter von Manuela Schwesig. Am Tag nach ihrem Wahlkampfauftritt sitzt sie in einem tiefen Sessel im 34. Stock eines Hotelwolkenkratzers. Durch die Glasfassade kann man die Alpen sehen. Schwesig schlägt die Beine übereinander und quittiert das Wort „Quote“ mit einem entspannten Lachen. „Ja, ja, blond und so“, sagt sie. Und dann, ernster: „Ich habe überhaupt nichts dagegen, eine Quotenfrau zu sein. Wichtig ist, dass ich gute Politik mache. Ich denke, ich habe mit viel Fleiß und Durchsetzungsvermögen bewiesen, dass ich die Erwartungen der Partei in meine Arbeit erfüllen kann.“

Also Fleiß, also noch einmal von vorne, zurück in die DDR, nach Seelow. Wenn sie daran zurückdenkt, fällt ihr der Badeofen ein. Weil sie die Erste aus der Familie war, die nach der Schule nach Hause kam – der Vater, ein Schlosser, und die Mutter, die als Statistikerin arbeitete, kamen erst gegen vier –, war es ihre Aufgabe, den Ofen vorzuheizen, Holz anzuzünden, Kohle nachzuschieben. „Dabei habe ich mir einmal den Pony so dermaßen versengt, dass ich dachte, den muss ich jetzt abschneiden.“ Das Gruseligste in dieser halbwegs heilen Welt war die Gedenkstätte Seelower Höhen. Besuche und Aufmärsche gehörten zum Pflichtprogramm, mit dem Schüler zu antifaschistischen DDR-Bürgern erzogen werden sollten. Der eigentliche Mittelpunkt ihrer Kindheit aber war die Jugendtanzgruppe im Kulturhaus. „Das hat meinen Alltag bestimmt.“

Dann kam die Wende, und der Baubetrieb, in dem ihr Vater gearbeitet hatte, ging pleite. „Man erlebt die Eltern in einer Situation, in der sie ohnmächtig sind“, sagt Schwesig. „Für meinen Vater, der fleißig war und geknüppelt hat, seit er 16 war, war keine Arbeit mehr da.“

Der fleißige Vater schult um. Er pendelt für einen neuen Job nach Berlin, 100 Kilometer hin, 100 zurück. Die Probleme zu Hause werden nie existenziell, aber es fällt den Eltern schwer, ihr Orientierung zu geben. „Wir mussten schneller lernen, zu wissen, was wir wollen, als junge Leute im Westen“, sagt Schwesig. Eine Dame bei der Berufsberatung sagt schließlich, na, ja, Sie sind gut in Mathe, gehen Sie doch zum Finanzamt. Schwesig macht Karriere als Beamtin, ab 2002 arbeitet sie im Landesfinanzministerium. Ein Jahr später tritt sie in die SPD ein.

Ihre Oma, erzählt Manuela Schwesig, sagte zu ihr: „Mädchen, ich habe jetzt schon zwei Systeme erlebt, erst diesen Hitler, dann den Honecker, hoffentlich geht das jetzt nicht alles schon wieder schief.“ Auch die Eltern sind anfangs skeptisch ob ihres politischen Engagements. Manuela Schwesig sagt, die Politik sei für sie ein Weg gewesen, wieder an ihren alten Berufswunsch als Erzieherin anzuknüpfen, „im sozialen Bereich“ zu arbeiten. In die SPD sei sie nicht wegen der Partei eingetreten, sondern wegen der Parkbank, die immer irgendwo fehlt. Der Vorsitzende ihres Ortsvereins, Friedhelm Heilbrock, sagt, sein Eindruck sei gewesen, dass Schwesig von Anfang an Berufspolitikerin werden wollte. In ihrem Ortsverein sind viele, die sie fördern. 2004 wird sie in den Stadtrat gewählt. Drei Jahre später stirbt Lea Sophie.

Der Fall erregt bundesweit Aufsehen. Stefan G. und Nicole T., 26 und 24 Jahre alt, lassen ihre fünfjährige Tochter verhungern. Dem Jugendamt lagen Hinweise auf Verwahrlosung vor, die Behörde griff aber nicht durch. In der Stadtvertretung stellt sich Schwesig an die Spitze der Aufklärer. Sie bringt alle Experten an einen Tisch, setzt auf Sachkompetenz statt Proporz. „Damals wurde das Parteipolitische überwunden“, sagt die grüne Schweriner Sozialpolitikern Silke Gajek. „Das hat sie hingekriegt.“ Der CDU-Oberbürgermeister gerät in Verdacht, die Aufklärung zu behindern. Schwesig greift ihn immer wieder öffentlich an, schließlich wird der Mann in einem Bürgerentscheid abgewählt. „Der CDU-Oberbürgermeister und die Fraktionsvorsitzenden waren eine Männerclique, die alles in der Stadt bestimmt hat. Die haben gedacht: Da haben die so eine unerfahrene junge Frau hingesetzt. Und am Ende wurde der Oberbürgermeister abgewählt. Die alten Männer sind auf der Strecke geblieben, um es jetzt mal drastisch auszudrücken“, sagt Schwesig.

"Das schönste Gesicht der SPD"

Ihr Kampfgeist fiel nun auch ein paar Etagen höher auf. Erwin Sellering macht Schwesig 2008 zur Ministerin. Auf die familienpolitische Programmatik der Bundespartei nimmt sie seit 2009 großen Einfluss. Nach dem Wahldebakel überarbeitet ein Beirat aus Parteipolitikern und Experten fast zwei Jahre lang unter ihrer Leitung die Familienpolitik. Aus Parteikreisen ist zu hören, auch für das aktuelle Programm habe sie hart gekämpft. Fragt man Schwesig, ob sie sich vorstellen könne, nach der Wahl Familienministerin zu sein, wiegelt sie ab. Sie sagt aber auch Sätze, die mit „Wenn ich darüber nachdenke, wie ich das Elterngeld weiterentwickeln könnte…“ beginnen.

In Mecklenburg-Vorpommern finden manche, der Spagat zwischen den vielen verschiedenen Aufgaben gelinge Schwesig nur bedingt. „Ich habe den Eindruck, dass sie lieber in Berlin ist und das schönste Gesicht der SPD in den Talkshows gibt“, sagt Peter Ritter von der Landtagsfraktion der Linken. In Wirklichkeit ist sie weniger häufig im Fernsehen, als sich die SPD das wünschen würde. Der Mediendienst „Meedia“ ermittelte für Schwesig 2012 nur zwei Auftritte in den großen Polittalkshows der Öffentlich-Rechtlichen, das entsprach Platz 75. Die häufigste Reaktion auf ihren Namen ist weiterhin: kenne ich nicht. Dass sie selten eingeladen wird, liegt vielleicht auch daran, dass Politikerinnen generell weniger in den Medien präsent sind. 2012 waren unter den Top 20 gerade einmal vier Frauen. Aber da ist noch etwas anderes: Schwesig verliert nie die Kontrolle, sie mag keinen Krawall, dafür aber Zahlen.

Neulich war sie bei Maybrit Illner. Mit dem Fernseh-Make-up sah ihr Gesicht aus, als wäre es aus Porzellan. 2,5 Millionen Menschen, rechnete Schwesig vor, bekommen weniger als sechs Euro Stundenlohn, sie müssten aber 45 Jahre lang mehr als neun Euro verdienen, um eine Rente auf Hartz-IV-Niveau zu erhalten. Alle in der Runde nicken dazu, selbst Michael Fuchs von der CDU. Ob sich jemand die Zahlen merkt? Und die Frau dazu? Manuela Schwesig sagt selbst, dass sie das Reiz-Reaktions-Schema der Hauptstadtpolitik nicht mag, dass zu schnell geschossen und zu schlecht gerechnet wird. „Dadurch werden die Entscheidungen nicht besser.“ Das Fernsehen aber liebt die Kubickis und Söders. Politiker, die nicht wie Porzellan aussehen. Aber gern mal welches zerschlagen.

Im Truderinger Wirtshaus aber funktioniert sie gut, die Deeskalation. Es geht um Hartz IV, da springt ein älterer Herr auf. „Sie haben“, ruft er, und damit meint er die SPD, „Sie haben die Leute beleidigt und erniedrigt.“ Mit einem Kugelschreiber sticht er Löcher in die Luft. An den Mieten in München sei die SPD auch schuld. Und 8,50 Euro Mindestlohn, das sei doch ein Witz. Einen Moment ist es still, alle Augen richten sich auf Schwesig, die keine Miene verzieht, sondern sich sofort daran macht, die Punkte abzuarbeiten wie Aufgaben in der Matheklausur. Dazu zeichnet sie wieder Handkantenlinien in die Luft, sanfter diesmal. Es sieht aus, als würde sie dem wütenden Alten aus der Ferne über den Kopf streicheln. Als sie bei Mieten ankommt, setzt sich der Rentner wieder auf seinen Stuhl. Beim Mindestlohn schiebt er den Kugelschreiber zurück in die Hemdtasche. Frieden.

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