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SPD-Parteitag: Kandidatencasting in Berlin

Auf ihrem Parteitag will die SPD keinen Kanzlerkandidaten küren. Trotzdem gilt er als Bewährungsprobe für die drei Hoffnungsträger Gabriel, Steinmeier und Steinbrück. Wer hat die besten Chancen?

Manchmal wirken Politiker-Worte regelrecht putzig. Die Generalssekretärin der SPD, Andrea Nahles, hat dafür gerade ein schönes Beispiel geliefert. An diesem Sonntag versammeln sich die Sozialdemokraten in den Hallen des früheren Postbahnhofes in Kreuzberg zu ihrem Bundesparteitag. Drei Tage lange wollen 480 Delegierte in der „Station Berlin“ über den Kurs bis zur Bundestagswahl 2013 beraten. Mit Beschlüssen unter anderem zur Finanz- und Steuerpolitik sollen die Weichen für den Machtwechsel im Bund gestellt werden. „Die SPD ist gerüstet“ – das ist die Botschaft, mit der sich die Genossen nach Nahles Worten in die Weihnachtsferien verabschieden wollen. Keinesfalls soll der Kreuzberger Konvent hingegen als dreitägiges Schaulaufen der drei möglichen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel wahrgenommen werden. Nahles: „Wir werden uns nicht hineintreiben lassen in die K-Debatte.“ Hineintreiben lassen? Das ist schon deshalb eine putzige Betrachtungsweise, weil die SPD-Spitze den Ablauf des Parteitages selbst so festgesetzt hat, dass an einem Vergleich der Aspiranten weder Medien noch Delegierte vorbeikommen werden, selbst wenn sie wollten. Am Sonntag, nach einer einleitenden Rede des beliebtesten deutschen Altkanzlers Helmut Schmidt, spricht der Fraktionsvorsitzende Steinmeier zur Krise Europas. Am Montag dann hält Parteichef Gabriel seine Grundsatzrede. Am Dienstag schließlich, wenn es um das Finanz-und Steuerkonzept geht, hat Ex-Finanzminister Steinbrück das Wort. Und ein jeder in dieser Troika weiß genau, dass der Platz am Rednerpult ein Prüfstand ist.

Mit welchen Voraussetzungen geht Frank- Walter Steinmeier ins SPD-Kandidaten-Casting?
Anders als Gabriel und oftmals auch Steinbrück ist der Fraktionschef kein begnadeter Redner. Auch sein Thema, die Krise Europas und des Euro, eignet sich wenig, um Begeisterungsstürme zu entfachen. Steinmeier ist außerdem ein viel zu ernsthafter Politiker, um bei Fragen von dieser Tragweite auf Zuspruch zu schielen. Aber womöglich erwarten die Delegierten von ihm auch keine besonders mitreißende, sondern eine besonders kluge, eine wegweisende Rede. Auch das ist keine leichte Aufgabe. Insbesondere dann nicht, wenn erst der Weltökonom Helmut Schmidt spricht.

Dafür ist Steinmeiers Ausgangslage im Rennen um die SPD-Kanzlerkandidatur besser als die Gabriels und ebenso gut wie die Steinbrücks – jedenfalls wenn man die Umfragen zugrunde legt. Dem ARD-„Deutschlandtrend“ zufolge führen Steinmeier und Steinbrück die Beliebtheitsskala deutscher Politiker mit einem Zustimmungswert von 57 Prozent an. Außerdem würden viele Genossen vom linken Flügel Steinmeier derzeit den Vorzug vor Steinbrück geben. Sie glauben, dass der Fraktionschef seine Zusagen im Gegensatz zu Steinbrück auch als Kanzler einhalten würde. Überhaupt meinen fast alle in der SPD, dass Steinmeier ein hervorragender Regierungschef wäre. Die Skepsis gilt vielmehr seinen Fähigkeiten als Wahlkämpfer. „Er wäre der richtige, die Frage ist nur, wie wir ihn ins Kanzleramt hineinkriegen sollen“, seufzt ein führender Sozialdemokrat.

Wie hoch liegt die Latte für Gabriel?

Nach der 23-Prozent-Niederlage der SPD im Bund 2009 hatte Gabriel auf dem Dresdner Parteitag eine große Rede gehalten und war daraufhin mit einem Ergebnis von 94 Prozent zum Vorsitzenden gewählt worden. Nun stellt er sich in Kreuzberg zur Wiederwahl. Schneidet er deutlich unter 90 Prozent ab, dürfte es schwerer für ihn werden, den Anspruch auf die Kanzlerkandidatur aufrecht zu erhalten. Dass er ein solches Ergebnis erreicht, gilt in der SPD-Spitze inzwischen als wahrscheinlich – sicher ist es nicht. Zwar kann Gabriel für sich beanspruchen, die Partei nach dem Wahldebakel 2009 geschlossen gehalten und eine völlige Abkehr vom Kurs der Regierungsjahre verhindert zu haben. Seinen Führungsstil aber haben etliche Genossen als unbequem empfunden. Zu sprunghaft, zu aufbrausend, am Ende kaum berechenbar, lautet ihr Urteil. Es korrespondiert mit dem Bild, das sich die Wähler offenbar von Gabriel gemacht haben. Glaubt man den Umfragen, dann hätte er gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) keine Chance. Dennoch sind führende Genossen überzeugt, dass der Vorsitzende den Traum vom Kanzleramt noch nicht begraben hat. Bis zur Entscheidung über die Kanzlerkandidatur Ende 2012/Anfang 2013 werde er versuchen, sein Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren, um seine Chancen zu steigern. Gelingt dies nicht, werde Gabriel zugunsten von Steinbrück oder Steinmeier auf sein Recht des ersten Zugriffs verzichten. Schon jetzt übt sich Gabriel in der Rolle des selbstlosen Kanzlermachers, der eigene Ambitionen im Zweifel zum Wohle der Partei zurückstellt. „Man muss auch dienen können – und das kann ich“, gab er jüngst zu Protokoll.

Worin besteht die Prüfung für Steinbrück?
Für Steinbrück, den renommiertesten Finanzfachmann der SPD, geht es auf dem Parteitag vor allem darum, sich in glaubwürdiger Art und Weise als echter Sozialdemokrat zu präsentieren. Steinbrück dürfe diesmal keine „Besserwisser-Rede“ halten, heißt es dazu aus Parteikreisen. Tatsächlich zeichneten sich seine bisherigen Ansprachen und Äußerungen nicht nur durch intellektuelle Schärfe aus. Gern würzte der Abgeordnete und Buchautor („Unterm Strich“) seine Vorträge mit Genossen-Schelte. Auch die Schmähung der Partei als „Heulsuse“ ist manchem noch in unguter Erinnerung.
Andererseits hat es Steinbrück außerhalb der angestammten SPD-Anhängerschaft auf diese Weise zu einiger Beliebtheit gebracht. Seine Erfolgsaussichten bei Wählern der Mitte könnte die SPD deshalb veranlassen, über Steinbrücks Eigenheiten hinweg zu sehen. Zum Beispiel darüber, dass in seinen Augen der größte Fehler an der Agenda 2010 bis heute darin besteht, dass die Genossen sie nicht entschlossen genug verteidigt haben. Oder darüber, dass Steinbrück seit Monaten eine Kampagne in eigener Sache führt und sich kürzlich von seinem großen Vorbild Helmut Schmidt zum Besten aller möglichen Kandidaten hat ausrufen lassen. Oder darüber, dass er bei Gesprächspartnern den Eindruck erweckt, die K-Frage entscheide sich allein zwischen ihm und Steinmeier. Das alles fällt aber nur dann nicht ins Gewicht, wenn Steinbrück seine Position als derzeit aussichtsreichster Merkel-Gegner halten kann. Genau daran zweifeln aber etliche Genossen, und zwar nicht nur auf dem linken Flügel.

Kann auf dem Parteitag eine Vorentscheidung in der K-Frage fallen?
Die Anträge der SPD-Linken zur Rente und zur Steuerpolitik haben es in sich. Weder Steinmeier noch Steinbrück könnten in den Bundestagswahlkampf als glaubwürdige Kandidaten für eine SPD ziehen, die den Bruch mit der Rentenpolitik der Regierungsjahre beschlossen hat. Genau das aber will die Parteilinke durchsetzen, wenn sie fordert, das Rentenniveau auf heutigem Stand festzuschreiben, anstatt es wie geplant bis 2030 auf 43 Prozent zu senken. Ebensowenig könnten Steinmeier und Steinbrück die Einführung einer Reichensteuer vertreten, auf die Teile des linken Flügels pochen. Sowohl die „Stones“, aber auch Gabriel haben schon vor dem Parteitag klar gemacht, dass eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes über das von ihnen vorgeschlagene Maß hinaus die sichere Wahlniederlage bedeutet. Es gilt in der SPD denn auch als unwahrscheinlich, dass der linke Flügel sich gegen die SPD-Troika durchsetzen kann. Käme es doch so, dann wäre nicht mehr von Kandidaten-Casting die Rede, sondern von Putsch.

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