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Im hessischen Hofheim wirbt die SPD-Spitze am Donnerstagabend für den schwarz-roten Koalitionsvertrag.

© dpa

SPD-Regionalkonferenz in Hofheim: Keine Angst vor der großen Koalition

Alle zehn Punkte, die der Parteikonvent vor wenigen Wochen aufgeschrieben hatte, habe er durchgesetzt: So wirbt Sigmar Gabriel am Donnerstagabend in Hofheim für den schwarz-roten Koalitionsvertrag. „Und das soll ich jetzt in einem Mitgliedervotum ablehnen?“

Von Hans Monath

Es ist die Angst vor der großen Koalition, die Angst vor einer vermeintlich übermächtigen CDU-Chefin, die Sigmar Gabriel seinen eigenen Leuten ausreden will. „Es ist doch Blödsinn, dass wir in Schwierigkeiten kommen, wenn wir in eine Koalition mit Frau Merkel gehen“, ruft der Parteichef in der Stadthalle von Hofheim am Taunus, einem Vorort von Frankfurt: „Wir kommen dann in Schwierigkeiten, wenn wir selber Blödsinn machen.“

Es ist Gabriels erster Auftritt vor einer Regionalkonferenz seiner Partei, seitdem er am Mittwoch gemeinsam mit Angela Merkel und Horst Seehofer den Koalitionsvertrag vorgestellt hat.

900 Delegierte sind gekommen, die Süd-Hessen galten in der Bundes-SPD lange als besonders linke Genossen. Am Eingang verteilt Sarah Schlitt von den Jusos einen Flyer („Nein zu Schwarz-Rot“), auf dem ein großer schwarzer Fisch mit riesigen scharfen Zähnen und der Aufschrift CDU einen winzigkleinen roten namens SPD frisst. „Ich bin dagegen, weil ich mit Ehre und Anstand weiter Sozialdemokrat sein will“, sagt die Jungsozialistin: „Und weil ich mir weiter morgens im Spiegel in die Augen schauen will.“

Die SPD-Zuversicht wächst sprunghaft

Es geht nicht nur um Sachfragen in diesen Tagen in der SPD, es geht um Gefühle und mit denen kann Gabriel umgehen wie nur wenige andere Redner. Aber in Hofheim trifft er nicht mehr auf ein grundskeptisches Publikum. Das zeigt sich schon an dem kräftigen Beifall, der ihn empfängt.

Seit am Mittwoch die Details der Vereinbarung bekannt gemacht wurden, ist die Zuversicht vieler SPD-Politiker sprunghaft gewachsen. Denn das Ergebnis der Verhandlungen übertrifft die Erwartungen der meisten bei weitem. „Ich höre nur positive Stimmen“, sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Christian Lange: „Wir haben, wie bei der Rente, Sachen rausverhandelt, die hatte ich gar nicht zu denken gewagt.“

Die Bundestagsfraktion billigte das Ergebnis am Dienstagabend einstimmig bei zwei Enthaltungen. Auch notorische Kritiker des Wegs hin zu einer großen Koalition unter den Abgeordneten stemmten sich nicht gegen die Entwicklung.

Doch nicht nur die Politiker und Funktionäre muss die Führung gewinnen, sondern auch jene unter den mehr als 473.000 Mitgliedern, die sich nicht im Ortsverein engagieren, nicht zu Parteitagen fahren und auch keine Regionalkonferenzen besuchen. Die SPD-Spitze setzt darauf, dass die rund 80 Prozent Nicht-Aktiven unter den Mitgliedern ähnlich denken wie die Durchschnittsdeutschen, von denen eine große Mehrheit die große Koalition will.

Sigmar Gabriel: „Das kann doch nicht unser Ernst sein, liebe Leute.“

Doch ob diese Hoffnung wirklich berechtigt ist, weiß niemand, solange noch keine Umfragen unter dieser „stillen Mehrheit“ der Genossen vorliegen. Zudem weiß auch die SPD-Spitze, dass Enttäuschung oder Zorn über die große Koalition ein starker Antrieb für eine Teilnahme am Votum sind, während Mitglieder, die mit der Entwicklung zufrieden sind, den Umschlag bis zur Deadline am 12. Dezember womöglich gar nicht zurückschicken. „Ein Drittel ist mit keinem Argument zu erreichen, die stimmen auf jeden Fall mit Nein“, sagt einer, der in der Partei lange wichtige Funktionen wahrgenommen hat: „Ein Drittel ist dafür, und das letzte Drittel müssen wir überzeugen, aber das wird harte Arbeit.“

Daran arbeitet Gabriel. In der Stadthalle Hofheim argumentiert er, dass er alle zehn Punkte durchgesetzt habe, die der Parteikonvent vor wenigen Wochen den eigenen Verhandlern aufgeschrieben hatte. Und er redet lange darüber, wie sehr die Gewerkschaften nun für das Erreichte kämpfen, für Mindestlohn und den Kampf gegen prekäre Beschäftigung. „Und das soll ich jetzt in einem Mitgliedervotum ablehnen?“, fragt der Parteichef rhetorisch und gibt selbst gleich die Antwort: „Das kann doch nicht unser Ernst sein, liebe Leute.“

Vor fünf Tagen bei seinem ersten Auftritt vor einer Regionalkonferenz hatte Gabriel einen Zusammenhang zwischen einem Scheitern des Mitgliedervotums und seiner politischen Zukunft hergestellt. „Jeder, der bei Verstand ist, muss doch wissen, was es heißt, wenn ein Vorsitzender in einer so entscheidenden Frage aufläuft“, warnte er die Zuhörer in Bruchsal. In Hofheim hat er es, nachdem der Koalitionsvertrag vorliegt, nicht mehr nötig, mit dieser Keule zu drohen.

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