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Die Haltung von SPD-Chefin Andrea Nahles zur Flüchtlingsfrage ist in der Partei umstritten.

© Michael Kappeler/dpa

SPD-Rhetorik: Andrea Nahles wirbt für einen neuen Flüchtlingskurs

„Realismus ohne Ressentiments“ lautet das neue Leitwort der Parteichefin. Doch manche Abgeordnete zweifeln, dass die versprochene Erneuerung auch kommt.

Von Hans Monath

Von ihren Berliner Genossen will sich Andrea Nahles nicht vorschreiben lassen, was sie denken und sprechen darf. „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen“, hat die SPD-Partei- und Fraktionschefin kürzlich erklärt. Der Berliner Landesparteitag beschloss am Wochenende prompt einen Antrag, der ihr „rechte Rhetorik“ im Umgang mit Flüchtlingen vorwirft und stattdessen eine solidarische Migrationspolitik verlangt.

Wird Nahles nun also ihre Rhetorik ändern, an der sich die Berliner so reiben? „Nein, das werde ich nicht“, kündigte sie am Montag nach der zweitägigen Klausur der Bundestagsfraktion kühl und entschlossen an. In der Debatte hinter verschlossenen Türen sei ihr Zitat zuvor zumindest erwähnt worden, teilte sie mit.

Gerechtigkeitsdefizit entdeckt

Die Flüchtlingsfrage war ein Thema des Abgeordnetentreffens, auf dem es auch um die Stellung der SPD in einem veränderten Parteiensystem, ihre Haltung zur AfD und das Arbeitsprogramm der Fraktion ging. Die Meinungsforscherin Rita Müller-Hirmer gab eine Vorlage für die Debatte. Sie machte bei der Partei, die sie eingeladen hatte, ein deutliches Gerechtigkeitsdefizit aus und kam zu dem Schluss, die Bürger könnten keine Haltung der SPD zur Flüchtlingsfrage erkennen, weil die sich nicht positioniere.

Nahles hat schon längst das Ziel ausgerufen, widersprüchliche Positionen in der Partei zu klären. Sie wirbt seit Monaten für eine härtere Linie in der Flüchtlingspolitik. Das Zitat („Wir können nicht alle bei uns aufnehmen“) dürfte da nur Mittel zum Zweck sein.

Glaubt man Teilnehmern, gab es in der Fraktion nur wenige kritische Fragen an Nahles zu ihrem Zitat. Die verteidigte ihre Position mit einem „starken Auftritt“, wie ihr hinterher sogar eine Kritikerin attestierte. Die Mehrheit der Rednerinnen und Redner zum Thema, so hieß es, habe sich ausdrücklich hinter Nahles’ Aufruf zum Realismus gestellt. Einige Abgeordnete berichteten aus ihren Wahlkreisen, dass dort das Nahles-Zitat bei potenziellen Wählern gut angekommen sei.

Genossen verlieren Glauben an Erneuerung

Das Leitwort der Parteichefin zum Thema lautet: „Wir brauchen Realismus ohne Ressentiments.“ Sogar die Pläne des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der den Abschiebedruck erhöhen und sein Land bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern zum Vorreiter machen will, würdigte Nahles. Sie finde es gut, dass sich Söder für eine besserer Rückführung ausgesprochen habe, sagte sie.

Zum Hintergrund der Debatte der SPD-Abgeordneten gehört auch der Umstand, dass viele Sozialdemokraten Wochen nach der Aufnahme der Regierungsarbeit angesichts unverändert niedriger Umfragewerte von rund 17 Prozent den Glauben an die versprochene Erneuerung verlieren. Die großen Debattenthemen bestimmen CDU- und CSU-Politiker mit provokativen Äußerungen zur Migrations- oder Innenpolitik. „Wir haben schon so viel versucht, aber wir sehen kein Land“, beschreibt ein Parlamentarier die düstere Stimmung.

Der Seeheimer Kreis trifft sich zur Spargelfahrt

Immerhin: Das Ja der Berliner SPD zu einem solidarischen Grundeinkommen nannte Nahles „einen wichtigen Hinweis“, über den zu reden sein werde. Mit dem Berliner Landeschef Michael Müller trafen sich am Sonntag auch wichtige Vertreter des linken Parteiflügels. In einem Papier fordern sie eine Abkehr vom Hartz-IV-System. Nötig sei eine neue Sozialstaatsdebatte, erklärten Parteivize Ralf Stegner, Juso-Chef Kevin Kühnert sowie Matthias Miersch (Parlamentarische Linke) und Hilde Mattheis (DL 21).

An diesem Dienstag treffen sich wichtige Politiker aus Fraktion und Partei, Minister, Staatssekretäre und die Vertreter der Parteiflügel zur traditionellen Spargelfahrt des Seeheimer Kreises auf dem Wannsee. Da der Dampfer vor Ende der Veranstaltung zuletzt höchstens einen Zwischenstopp machte, gibt es an Bord vor den vielen Problemen der SPD so gut wie kein Entkommen.

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