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Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD).

© Imago Images/Photothek/Ronny Hartmann

SPD-Streit um Identitätspolitik: Thierse sieht „überwältigende Zustimmung“ für seine Kritik

Wolfgang Thierse ist weiter überzeugt: Er liege im Streit mit der SPD-Spitze um den angemessenen Dialog mit sexuellen und anderen Minderheiten richtig.

Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) erlebt im Streit mit der Parteispitze um den richtigen Dialog mit sexuellen und anderen Minderheiten nach eigenen Worten „überwältigende Zustimmung“. In einem Interview des Magazins „Cicero“ bekräftigte er zugleich Kritik an der Gesprächs- und Debattenkultur einer sogenannten Identitätspolitik, weil diese nicht auf Versöhnung und konkrete Fortschritte ziele.

„Ich halte die Verlagerung ins Identitätspolitische für problematisch, zum Beispiel finde ich wichtiger als Sprachänderung, dass wir am Gender-Pay-Gap arbeiten. Gerade wurde Deutschland bescheinigt, dass die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau größer ist als anderswo“, sagte Thierse. „Der SPD wurde attestiert, dass sie ihre türkischstämmigen Wähler zum größeren Teil verloren hat an die CDU. Einen Teil der Arbeiterschaft haben wir bereits verloren. Das muss uns doch beschäftigen als Partei!“

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Wer in der Gesellschaft um Anerkennung und Gleichheit kämpfe, habe die Sozialdemokratie an seiner Seite, so Thierse. „Uns Sozialdemokraten muss es um die Bündelung von Interessen gehen und um die Formulierung von Gemeinsamkeiten“, sagte er und warnte: „Die Absolutsetzung des eigenen Betroffenseins, die Vorstellung, ich empfinde mich als Opfer, also habe ich recht, ist mörderisch für eine demokratische Gesprächskultur. Denn es gibt ja andere Betroffenheiten und da könnten andere sagen: Ich bin auch Opfer, ich meine das genaue Gegenteil.“

„Mit mir müssen Sie in der alten deutschen Sprache reden“

Ein zentraler Begriff in der Gesellschaft sei für ihn „Respekt“, nicht aber die Kontrolle des Sprachgebrauchs. „Mit mir müssen Sie in der alten deutschen Sprache reden. Sonst verstehe ich Sie nicht“, sagte der 77-Jährige. Er sei dabei auch „leicht störrisch“. „Ich möchte mich nicht immerfort dem Sprachgebrauch anderer unterwerfen müssen. Wir haben eine sich gewiss verändernde, verbindende Sprache, der ich mich gerne bediene.“

Thierse machte deutlich, dass eine öffentliche Distanzierung von SPD-Chefin Saskia Esken und Parteivize Kevin Kühnert nur ihm gegolten habe könne, da sich sonst aktuell niemand aus der Partei öffentlich zu Fragen geäußert hat. Die Kritik sei zudem „unangemessen“. „Ich hab nicht mit meinem Austritt gedroht. Ich stehe ja nicht nur für mich, wie die Reaktionen gezeigt haben“, so Thierse. „Ich kann mich seit der Veröffentlichung dieses Essays kaum vor E-Mails retten. Ich hab zwischen 500 und 1000 Mails bekommen – neben dem Shitstorm. Es war eine überwältigende Zustimmung, nicht nur aus der eigenen Partei.“

Thierse: Nehme Eskens Distanzierung von mir ernst

Er nehme die Äußerungen von Esken ernst, so Thierse weiter. „Ich fand es immer ganz selbstverständlich, dass man mich und meine Äußerungen ernst nehmen sollte. So halte ich es auch mit Saskia Esken. Ich nehme ihre Distanzierung von mir ernst“, sagte Thierse. „Ich bitte sie öffentlich darum, zu sagen, ob mein Bleiben in der Partei schädlich oder nützlich ist.“

Thierse warnte auch davor, die Begriff und Realität von Nation als erledigt zu betrachten. „Schaut Euch um in der Welt! Nation ist eine Realität. Wir erfahren sie gerade wieder in der Pandemie. Der nationale Sozialstaat rettet uns. Es ist elitäre Dummheit, das nicht sehen zu wollen.“ (dpa, epd)

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