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Die SPD macht dem Verteidigungsminister de Maizière Druck: Er soll bereits bei einem Redaktionsbesuch beim "Donau-Kurier" ein Scheitern des Euro-Hawk-Projektes für wahrscheinlich erklärt haben.

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SPD-Vorwürfe: Thomas de Maizière sagt nicht die Wahrheit

Die SPD macht dem Verteidigungsminister de Maizière Druck: Er soll bereits bei einem Redaktionsbesuch beim "Donau-Kurier" ein Scheitern des Euro-Hawk-Projektes für wahrscheinlich erklärt haben.

Von Robert Birnbaum

Es gibt Dinge, die ein Politiker in Bedrängnis auf gar keinen Fall tun darf. Er darf zum Beispiel Parlament und Öffentlichkeit nicht belügen. So weit sich das im Moment sagen lässt, hat Thomas de Maizière sich dieser Todsünde wohl nicht schuldig gemacht. Etwas anderes aber steht seit Donnerstag außer Frage: Der Bundesminister der Verteidigung hat in seiner Darstellung der Ereignisse um das Ende der Drohne „Euro Hawk“ zumindest billigend in Kauf genommen, dass man ihn für weitaus ahnungsloser halten konnte, als er war.

Öffentlich gemacht hat das der „Donau-Kurier“, eine altehrwürdige Zeitung, die in Ingolstadt erscheint. Am 7. Mai diesen Jahres hatte man dort den Verteidigungsminister zu Besuch. Die Redaktion interessierte sich sehr für die Zukunft des „Euro Hawk“, aus buchstäblich nahe liegenden Gründen: Der Militärflughafen Manching, von dem aus der Prototyp der Aufklärungsdrohne auch am Donnerstag wieder zum Testflug aufstieg, liegt direkt vor den Toren der Stadt an der Donau.

De Maizière also wurde gefragt, ob es denn etwas werde mit dem Kauf von insgesamt vier der Riesendrohnen. Und er gab offen Auskunft: „Im Moment sieht es nicht so aus. Aber wir sind noch in der Prüfung.“ Die Zeitung berichtete darüber anderntags, was ihr einen Rüffel aus dem Ministerium eintrug. Redaktionsgespräche sind üblicherweise vertraulich, das Zitat war ein Bruch der Regeln. Kreise zog der Bericht aber nicht. Davon, dass der Super-Vogel vor dem Absturz stand, hatten in Berlin bis dahin nur wenige Fachjournalisten Wind bekommen.

Doch im Nachhinein droht die Plauderei in der Redaktion sich zum Bumerang zu entwickeln. Denn als de Maizière am Mittwoch in Berlin seinen Bericht über das Drohnenprojekt vorlegte und dazu seine eigene Bewertung vortrug, entstand vor Abgeordneten und Fernsehzuschauern das Bild eines Ministers, der sozusagen erst im letzten Moment erfahren hat, dass es mit dem „Euro Hawk“ ernste Probleme gab.

Am 13. Mai erst sei er „in Kenntnis gesetzt“ worden, dass seine Staatssekretäre Rüdiger Wolf und Stéphane Beemelmans schon fünf respektive drei Tage davor entschieden hatten, das Drohnenprojekt über die Entwicklungsphase hinaus nicht weiter zu verfolgen, berichtete de Maizière „über meine Befassung“, und weiter: „Es gab zuvor keine Vorlage an den Minister mit einer Beschreibung der Zulassungsprobleme oder überhaupt zum Gesamtproblem.“ Von Zulassungsproblemen habe er „erstmals“ bei einer Rüstungsbesprechung ein Jahr vorher am 1. März 2012 erfahren; man habe damals diese Probleme als lösbar bezeichnet.

Das war’s, und das klang zusammengenommen so, als sei dem Minister bis zum letzten Tag nicht klar gewesen, wie gefährdet das Projekt war. Der Eindruck wurde noch verstärkt durch allgemeine Sätze wie: „Ich wurde unzureichend eingebunden.“ Wer nicht haarfein hinhörte, kam zu dem Schluss, dass ein argloser Minister von den eigenen Mitarbeitern bis hinauf zu den Staatssekretären erst von der Drohnen-Krise informiert wurde, als alles schon vorbei war.

Liest man dies jetzt noch einmal ganz genau, wird erkennbar: So hat das de Maizière gar nicht gesagt. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums weist darauf denn auch hin: Das „Donau-Kurier“-Zitat „widerspricht nicht dem, was der Minister in seiner Bewertung gesagt hat“, betont Stefan Paris.

Auf die Wort-Goldwaage gelegt, stimmt das. Dort finden sich dann Worte wie „Vorgang“ oder „erstmals“. Aber der Bumerang aus Ingolstadt macht auf einen Schlag klar: Sie sind nichts wert. Dass es keinen ausführlichen, schriftlichen „Vorgang“ auf dem Ministertisch gab, schließt überhaupt nicht aus, dass der Hausherr sehr wohl mündlich oder per kürzerer Notiz im Bilde war. Dass er „erstmals“ im März vor einem Jahr von Problemen erfuhr – also kurz nachdem zum ersten Mal eine Alarmmeldung die Staatssekretäre erreicht hatte –, bedeutet gerade nicht, dass er danach nie mehr davon hörte. In Ingolstadt wusste er im Gegenteil ja recht gut Bescheid über den bedenklichen Sachstand. Dass seine Worte so gefallen sind, bestreitet übrigens niemand. Die Zeitung hat einen Mitschnitt-Schnipsel ins Internet gestellt.

Damit aber liegen auf einmal all die Fragen wieder auf dem Tisch, die mit de Maizières Auftritt als Ahnungslosem erledigt schienen. Auf einmal sind wieder Zweifel möglich, Vorwürfe, Verdächtigungen gegen den Drohnen-Thomas, der so eifrig für die neue Waffentechnik wirbt: Wie viel hat er erfahren, und wann? Was hat er womöglich mündlich entschieden und was nicht? Wem hat er Probleme verschwiegen, der davon dringend hätte wissen müssen?

Für die Opposition ist das Zitat von Ingolstadt ein unverhofftes Geschenk. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagt, dass er dem Minister jetzt gar nichts mehr glaubt. Selbst dass der wirklich erst am 13. Mai vom Drohnen-Stopp erfahren haben soll – „eine Schutzbehauptung“ sei das, mutmaßt der Sozialdemokrat im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Der Minister sagt in diesem Punkt nicht die Wahrheit.“ Sein Kieler Kollege Hans-Peter Bartels erklärt sogar norddeutsch- knapp: „Der Minister lügt!“

Doch selbst wenn dieser Verdacht sich als falsch und übertrieben erweisen sollte – die Berichte, die de Maizière erstattet hat, waren nicht vollständig. Seine 40 Mann starke „Ad hoc-Arbeitsgruppe“ hat zwar akribisch den jahrelangen Gang des verunglückten Projekts durch die deutsche Bürokratie und die transatlantischen Wirrungen nachgezeichnet. Der Minister selbst ist dort nur ein einziges Mal erwähnt – als jemand, der zu informieren sei, dass das Vorhaben endgültig gescheitert ist.

Vielleicht findet sich in den Archiven sonst von de Maizières Wirken tatsächlich keine Aktenspur. Wenn doch, wird es schwer, das zu erklären. Denn er hat jetzt ein sehr ernstes Problem. Und es ist doppelt ernst, weil er ja den Ruf des etwas trocken wirkenden, aber aufrechten Preußen hat. Der Mann, sagt Arnold, habe versucht, trickreich seine eigene Rolle zu verschleiern, und dabei sei er nun ertappt: „Seine Glaubwürdigkeit ist voll zerstört.“ Am Montag muss sich der Minister erneut dem Verteidigungsausschuss stellen. Der Termin erschien bisher als eher hilfloses Manöver einer Opposition, die ihr Ziel nicht zu fassen kriegt, auf Zeit spielt und im Kleingedruckten kleinlich nach Widersprüchen wühlt. Jetzt kann er das Zeug zum Standgericht bekommen.

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