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Franz Müntefering

© dpa

SPD-Wahlstrategien: Müntefering beschwört die Macht

Der SPD-Chef eröffnet den Wahlkampf mit Koalitionsplanspielen.

„Er hat seinen Camus wieder gelesen“, rufen Wohlmeinende Franz Müntefering dieser Tage hinterher. Wie heißt es da bei dem erklärten Lieblingsphilosophen des SPD-Chefs? „Die wahre Großzügigkeit der Zukunft gegenüber besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben“. Offensiv gibt Müntefering in einer großen Interviewoffensive die Wahlkampflinie der SPD für das kommende Jahr aus: Er sehe Koalitionsoptionen mit den Grünen oder in einer Ampel. „Die Liberalen werden sich nicht mehr wie 2005 einem solchen Dreierbündnis verweigern können“. Den SPD-Landespolitikern gibt er eine Carte blanche für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei – freilich nur auf Landesebene. Weniger Wohlmeinende haben dafür nur Spott übrig. „Es ist einfach nur lächerlich, dass Franz Müntefering mit der Linksfront machtpolitisch ein Zeichen setzen und gleichzeitig um die FDP werben will“, sagt etwa FDP-Generalsekretär Dirk Niebel – und weist die Avancen brüsk zurück. Wozu also die frühen Koalitions spielereien, wenn die Umworbenen gar nicht anbeißen? Und in einer Zeit, in der es der SPD einfach nicht gelingen will, trotz Finanzkrise aus dem Umfragetief herauszukommen?

„Es ist der Versuch, eine Machtperspektive für die SPD aufzuzeigen, die es eigentlich nicht mehr gibt“, erklärt der Medien- und Politikberater Michael Spreng. „Rot-Grün ist in weiter Ferne – und die Ampel ist für die FDP erklärtermaßen nicht erste Wahl“. Spreng, selbst Architekt des Unionswahlkampfes 2002, sieht in Münteferings Koalitionsspielereien deshalb vor allem interne Beweggründe. „Eine Partei verzagt, die keine Machtperspektive hat.“ Müntefering müsse um jeden Preis verhindern, „dass sich bei den Wählern ein Gefühl festsetzt, eine Neuauflage der großen Koalition sei unabwendbar. Das würde zu einer niedrigen Wahl beteiligung führen – und vor allem die eigenen Leute nicht mobilisieren“. Spreng malt für einen solchen Fall „österreichische Verhältnisse“ an die Wand – eine schrumpfende Wählerbasis der großen Koalition.

Von dem Plan der SPD-Spitze, die heiße Phase des Wahlkampfes erst zwei Monate vor der Bundestagswahl einzuläuten, hält Spreng dagegen nichts – gerade vor dem Hintergrund der SPD-Wahlkämpfe 2002 und 2005. „Gerhard Schröder war einer der besten Wahlkämpfer der Republik – Steinmeier ist das nicht. Die Idee, in einem kurzen Sommerwahlkampf Wähler zu mobilisieren, kann nicht funktionieren. Steinmeier hat innenpolitisch noch kein Profil. Das muss er erst noch entwickeln und schärfen. Dabei muss er auch auf Distanz zur Kanzlerin gehen.“

Ob das ausgerechnet über eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Linkspartei auf Landesebene geht, da ist nicht nur Spreng skeptisch. FDP-Generalsekretär Niebel wirft Müntefering vor, die Fehler von Kurt Beck zu wiederholen, indem er „die SPD der Linkspartei andient“. Beck hatte mit seinem Lavieren in der Frage der Zusammen arbeit mit der Linken das Debakel der Hessen-SPD um ihre Leitfigur Andrea Ypsilanti mit ausgelöst. In der Sache sei die SPD unter Müntefering deshalb „keinen Zentimeter vorangekommen“, meint Niebel. Franz Müntefering wisse genau, „welche Tür er öffnet, wenn er über Länderkoalitionen die bundespolitische Bedeutung der Linken ausweitet. Seine Botschaft lautet: Die SPD muss irgendwie regieren, egal mit wem und wozu“. Aus Niebels Sicht sind Münteferings „strategische Darbietungen“ deshalb vor allem eines: ein „später Sieg von Andrea Ypsilanti“.

Auch Spreng hält von Münteferings Werben wenig: „Die SPD kann sich nur auf kommunaler oder auf Länderebene regenerieren. Das nun jedoch ausgerechnet mit Rot-Rot erreichen zu wollen, ist gefährlich. Die Vorbehalte an der Basis gegen die Linkspartei bleiben groß – nicht nur in Hessen“, sagt der Politikberater. Wie also gegen eine übermächtige Union aus dem Umfragetief kommen? Indem die SPD auf Fehler der Kanzlerin vertraut?

„Angela Merkel muss in der Krise Führung zeigen und auch ihre Rolle als CDU-Vorsitzende spürbar wahrnehmen, wenn sich der Kanzlerbonus auf die Partei übertragen soll“ – ob sie das schafft, sei zwar nicht sicher, aber doch wahrscheinlich. Spreng rät der SPD deshalb zur totalen Rosskur: „Die SPD sollte sich bundespolitisch in der Opposition regenerieren. Sie hat sich 2005 zu Tode gesiegt: Die strukturellen Probleme der Partei kommen alle aus diesem Jahr. Neben einer starken Linkspartei in der großen Koalition auch noch an die Union mit Kanzlerbonus gekettet – nicht Opposition ist für die SPD Mist, sondern Regieren.“

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