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Spezialeinsatz: US-Regierung korrigiert sich - Bin Laden war unbewaffnet

Eine Kugel über dem linken Auge hat den gefürchtetsten Terroristen der Welt ausgeschaltet und die Jagd auf Al-Qaida-Chef beendet. Bin Laden soll beim Einsatz der US-Spezialkräfte Widerstand geleistet haben - allerdings ohne Waffengewalt.

Montag, 2. Mai 2011, kurz nach 1 Uhr morgens, Abbottabad: Ein bärtiger Mann in weißer Tunika liegt am Boden. Tödlich getroffen von einer amerikanischen Kugel. Ein Soldat der Navy Seals macht ein schnelles Foto, nimmt eine DNA-Probe. Dann packt man den 1,93 Meter großen Körper ein, hetzt durch die mondlose Nacht in den bereitstehenden Helikopter. Wenige Minuten nach ihrer Landung heben die Truppen wieder ab.

Gleichzeitig im Weißen Haus, Washington, DC: Gute 13 000 Kilometer westlich verfolgt man den wichtigsten Einsatz amerikanischer Truppen seit Jahren am Bildschirm. 79 Elite-Soldaten gegen Osama bin Laden. Live dabei im „Situation Room“ sind US-Präsident Barack Obama, sein Vize Joe Biden und Außenministerin Hillary Clinton. Mit versteinerter Miene schauen sie auf eine große Videowand. CIA-Chef Leon Pannetta erklärt Schritt für Schritt, was sich am Boden abspielt.

Irgendwann sagt Pannetta: „Sie haben das Ziel erreicht.“ Die Truppen sind gelandet. Jetzt zählt jede Minute. Die Anspannung wächst. „Minuten vergingen wie Tage“, beschreibt Antiterror-Chef John Brennan die Lage. Dann heißt es: „Wir haben Sichtkontakt zu Geronimo“ – das war der Tarnname für Osama bin Laden. Wenig später tönt es blechern: „Geronimo EKIA“. Das heißt „Enemy killed in action“, Feind im Einsatz getötet.

Eine Kugel über dem linken Auge hat den gefürchtetsten Terroristen der Welt ausgeschaltet und die fast zehnjährige Jagd auf den Kopf von Al Qaida beendet. Dem Erfolg der amerikanischen Elite-Einheit Navy Seals gingen acht Monate intensive Ermittlungen der CIA voraus. Nur wenige Insider waren über den Einsatz und die Ermittlungen informiert.

Ein amerikanisches Trauma ist überwunden. Die stolze Weltmacht litt schwer darunter, dass sie auch mit dem mächtigsten Geheimdienst und der besten Armee den größten Feind nicht fassen konnte, obwohl der schlecht ausgerüstet und krank in einer Höhle im afghanischen oder pakistanischen Gebirge vermutet wurde. Die Amerikaner wollten sich nicht damit abfinden, dass die Anschläge des 11. September 2001, bei denen in New York, Washington und Pennsylvania fast 3000 Menschen starben, ungesühnt bleiben sollten.

Die Wende kam im August letzten Jahres, als CIA-Agenten in der pakistanischen Stadt Peshawar ein weißer Suzuki auffiel. Sie notierten die Autonummer und ermittelten als Fahrer einen Mann, dessen Name in Verhören im Militärgefängnis von Guantanamo immer wieder gefallen war: Es handelte sich um bin Ladens Kurier, einen der ganz wenigen, dem der Führer der Al Qaida vertraute und über den er Kontakt zur Außenwelt hielt.

Viele Gefangene in Guantanamo schienen den Mann zu kennen, nur zwei wollten noch nie von ihm gehört haben: der Chef-Planer des 11. September, Khalid Scheich Mohammed, und der Chef-Stratege der Al Qaida, Abu Faraj al Libi. Das ließ die Ermittler aufhorchen. Sie hefteten sich an die Fersen des Mannes, beschatteten sein Umfeld, hörten sein Telefon ab. Einen Monat lang verfolgten sie ihn bei Fahrten durch Pakistan. Bis der weiße Suzuki eines Tages zu einem ungewöhnlich großen und gut gesicherten Anwesen in einer wohlhabenden Nachbarschaft in der Stadt Abbottabat führte.

Mehrere Wochen lang beobachteten CIA-Spezialisten das Gelände via Satellit, immer auf der Suche nach Hinweisen auf die Bewohner. Dass es sich um einen hochrangigen Terroristen handelte, war bald klar. Dass sich hinter den vier Meter hohen Mauern und dem Stacheldraht tatsächlich Osama bin Laden versteckte, bestätigte sich erst nach Beratungen mit den Verbündeten. Deren Geheimdienste hatten ebenfalls Abbottabat im Visier.

Das reichte dem Präsidenten, um seine Top-Militärs ins Weiße Haus zu bestellen. In fünf Sitzungen berieten sie über das weitere Vorgehen. Nach Informationen der „New York Times“ ging die Runde keineswegs leichtfertig vor. Es sei, heißt es aus CIA-Kreisen, keine Sitzung vergangen, in der nicht irgendjemand „Black Hawk Down“ erwähnt habe, die Schlacht von Mogadischu, bei der 1993 unter dem Kommando von Präsident Bill Clinton 18 amerikanische Soldaten fielen. Auch die gescheiterte Befreiung amerikanischer Geiseln in Teheran 1980 sei diskutiert worden. Für die Planer kam ein überstürzter Einsatz nicht in Frage.

Ein gewisses Risiko musste man jedoch eingehen, nachdem man ein Bombardement des Geländes ausgeschlossen hatte. „Wir hätten 32 Bomben mit jeweils einer Tonne Sprengkraft gebraucht“, zitiert die „New-York-Times“ einen CIA-Mitarbeiter. „Wir hätten einen gewaltigen Krater gehabt und keine Leiche.“

Neue Einzelheiten zum Einsatz vor Ort

Ein Angriff per Hubschrauber war letztlich das bevorzugte Manöver. Einsatzkräfte der Navy Seals wurden in zwei Trainings-Camps in den USA vorbereitet. Dort wurde das Gelände von Abbottabat detailliert nachgebaut. Wen man darin vermutete, wussten die Soldaten bis zuletzt nicht. Vor rund einer Woche war das Einsatzkommando dann bereit. Am Donnerstag trafen sich die Chefs von Militär und Geheimdienst erneut im Weißen Haus. Es war Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Ganze 16 Stunden wartete Obama, schlief eine Nacht, dann gab er den Einsatzbefehl für die „Operation Geronimo“. Die sollte zunächst am Samstag stattfinden, wurde wegen schlechter Witterungsverhältnisse aber auf Sonntag verschoben.

Dann war es Zeit für das ganz große Kino. Ein Helfer hatte in einem Supermarkt Verpflegung besorgt – Puten-Wrap, Krabben und Kartoffelchips – und bald meldete Leon Pannetta, dass die Truppen das Einsatzgebiet erreicht hätten. Die Hubschrauber flogen niedrig, landeten rasch und setzten auf das Überraschungsmoment. Im Erdgeschoss trafen sie auf bin Ladens Sohn Hamza, den Suzuki-Kurier und dessen Bruder. Alle drei starben in einem kurzen Feuergefecht. Bin Laden selbst fanden die Soldaten im dritten Stock, entgegen früherer Angaben der US-Regierung, unbewaffnet.

Jay Carney, Sprecher des Weißen Hauses blieb dennoch dabei, dass sich der Al-Kaida-Chef widersetzt habe. „Widerstand zu leisten erfordert keine Feuerwaffe“, sagte er wörtlich. Der Sprecher teilte weiter mit, dass sich eine Ehefrau bei Bin Laden befand, als das Sonderkommando in den Raum stürmte. Auch sie sei unbewaffnet gewesen, habe aber versucht, einen der US-Soldaten anzugreifen. Sie sei dann ins Bein geschossen worden und habe überlebt.

Im ersten Stockwerk habe das Kommando zwei bereits zuvor als Kuriere des Terroristenchefs identifizierte Männer erschossen, eine Frau sei im Kreuzfeuer getroffen und ebenfalls getötet worden. Während der gesamten Aktion habe es intensive Feuergefechte gegeben, so Carney. Er sprach von einer „sehr explosiven Situation“.

Wie Carney weiter sagte, hat das Weiße Haus noch nicht entschieden, ob Fotos von der Leiche des Terroristenchefs veröffentlicht werden sollen. Die Bilder seien zweifellos „grausig“. Vor diesem Hintergrund werde geprüft, ob es nötig sei, sie zu veröffentlichen. Bin Laden soll zwei Mal getroffen worden sein, einmal direkt über dem linken Auge. Als ihn der Schuss traf, war es in Washington totenstill. „Wir haben ihn“, stellte Präsident Obama schließlich trocken fest. (mit dpa)

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