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Spion hinter Gittern: Igor Sutjagin

© AFP

Spionage-Affäre: Zehn gegen vier Agenten

Der Agentenaustausch zwischen Russland und den USA ist angelaufen. Die zehn in den USA festgenommenen Agenten befinden sich auf dem Weg nach Russland. Im Gegenzug begnadigte Kremlchef Dmitri Medwedew vier Russen, die für den Westen spioniert haben sollen.

Für das Foto in seinem neuen Auslandspass bekam Igor Sutjagin von der Leitung des Moskauer Untersuchungsgefängnisses Lefortowo am Donnerstagmorgen ein reines weißes Hemd ausgehändigt. Rasierklingen wurden ihm verweigert. Am Dienstag war der wegen Spionage zu 15 Jahren Haft verurteilte Physiker aus dem Hochsicherheitstrakt einer Strafkolonie bei Archangelsk am Eismeer nach Moskau gebracht worden, tags darauf hatte ein General des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR ihm eröffnet, er werde über Wien nach Großbritannien ausgeflogen und gegen US-Bürger ausgetauscht, die sich seit Ende Juni wegen Spionage für Russland verantworten müssen. Voraussetzung: Er bekenne sich schuldig.

Offenbar unterzeichnete der im Jahr 2004 als CIA-Spion verurteilte russische Wissenschaftler tatsächlich ein Schuldeingeständnis und machte damit den Weg frei für eine Überstellung an die USA. Nach Angaben von Menschenrechtlern ist Sutjagin schon am Donnerstag in Wien eingetroffen. Wie das US-Justizministerium bestätigte, werden für Sutjagin und drei weitere in Russland inhaftierte Spione zehn in den USA enttarnte mutmaßliche Agenten nach Moskau zurückkehren. Die Agenten werden nach Angaben der Behörde mit sofortiger Wirkung ausgewiesen, sie dürften nie mehr in die USA zurückkehren.

Wegen Weitergabe von Informationen zu Kernwaffen und Atom-U-Booten an ein britisches Consultingunternehmen, das angeblich für die CIA arbeitet, war der damals 35-jährige Sutjagin 2000 verhaftet und 2004 verurteilt worden. Ein entlastendes Gutachten, aus dem hervorgeht, dass er für seine Recherchen frei zugängliches Material verwendete, wies das Gericht ab. Ebenso sein Gesuch auf Erlass des letzten Drittels seiner Strafe, worauf er bei guter Führung laut Gesetz Anspruch hat. Amnesty International führt ihn daher als politischen Häftling, seit sechs Jahren befasst sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seinem Fall.

Ihr Mandant habe der Vereinbarung nur zugestimmt, weil er keine andere Wahl gesehen habe, sagte die Star-Anwältin Anna Stawizkaja bei einer Pressekonferenz in Moskau. Washington habe die Übergabe der aufgeflogenen russischen Agenten an Moskau davon abhängig gemacht, dass im Gegenzug mehrere in Russland Inhaftierte frei kommen, die auf dem US-Wunschzettel stehen, sagte sie. Dabei soll es unter anderem um die in Russland als Doppelagenten verurteilten Alexander Saporoschski und Alexander Sypatschow gehen. Es wäre der größte Agentenaustausch seit Ende des Kalten Krieges. Spekulationen russischer Medien, auch Ex-Jukos-Chef Michail Chodorkowski würde auf der Liste stehen, wurden von dessen Anwälten dementiert.

Der Austausch, so berichtete die russische Online-Zeitung „gaseta.ru“, werde unter größtmöglicher Geheimhaltung über die Bühne gehen. Auf amerikanischer Seite geht es um zehn Frauen und Männer, gegen die gleich nach dem Besuch von Präsident Dmitri Medwedew bei seinem Amtskollegen Barack Obama Ende Juni wegen Spionageverdacht Anklage erhoben wurde. Nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft in New York stimmten auch sie am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) einem Schuldeingeständnis zu.

Die meisten der in den USA inhaftierten mutmaßlichen Agenten stammen aus Russland und wurden von Moskau nach Ende des Kalten Krieges eingeschleust. Finanziell gut ausgestattet, sollten sie sich in den USA zunächst ein normales Leben aufbauen, danach gezielt Kontakte zu Top-Beamten im Weißen Haus und im State Department aufbauen und diese abschöpfen. Die Exilrussin Anna Chapman soll sich dafür sogar um intime Kontakte zum einstigen Klassenfeind bemüht haben. Wegen ihrer Model-Maße firmiert sie in der russischen Boulevardpresse inzwischen als „Agentin 90-60-90“.

Bisher wird Chapman offiziell aber nur versuchte Geldwäsche vorgehalten. Russische Experten erklären dies neben einer eher dürftigen Beweislage vor allem damit, das beide Seiten kein Interesse daran hätten, den mühsam auf den Weg gebrachten Neustart der Beziehungen zu gefährden. Bei der Suche nach einer „eleganten Lösung“ hätten Diplomaten daher für eine Neuauflage des Agenten-Austauschs optiert, wie ihn die Sowjetunion und die USA zu Zeiten des Kalten Krieges praktizierten. mit dpa

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