Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, sie habe vom amerikanischen Spähprogramm Prism erst aus der Zeitung erfahren. Kritiker werfen ihr und anderen Politikern Heuchelei vor. Würden Sie zustimmen?
Das kann man schon so formulieren. Natürlich weiß die Regierung und die Opposition – die in großen Teilen ja auch mal in der Regierung war –, dass Nachrichtendienste den internationalen Fernmeldeverkehr seit Jahren abgreifen. Wir wissen das seit dem Jahr 2001, seitdem das Europäische Parlament seine Echelon-Untersuchungen veröffentlicht hat. Damals haben wir erstmals zweifelsfrei nachgewiesen, dass es ein globales Abhörsystem unter der Federführung der USA gibt, das Daten nach dem „Staubsauger“-Prinzip abfängt.

Unsere Indizienkette war lückenlos, da half auch kein Leugnen, sie hätte vor jedem Schwurgericht Bestand gehabt. Die deutsche Regierung sollte deshalb jetzt sagen, was Sache ist: Wenn unsere Kommunikation auf dem internationalen Highway unterwegs ist, können wir die Deutschen mit dem deutschen Grundgesetz nicht schützen. Zu dieser einfachen und den Tatsachen entsprechenden Aussage ist in Berlin aber momentan keiner bereit.
Was ist die neue Qualität von Prism gegenüber Echelon?
Die neue Qualität besteht nicht im Angriff auf die Privatsphäre – der war schon damals gegeben –, sondern im technischen Niveau. Der amerikanische Geheimdienst NSA hat heute direkten Zugriff auf die Server der Provider in den USA. Die Datenpakete von E-Mails zum Beispiel laufen oft über verschiedene Glasfaserkabel und werden erst beim Provider wieder zusammengesetzt.
Dort können sie als Ganzes abgeschöpft werden. Früher konnten die Dienste nur Kabel anzapfen und würden heute bei den Unmengen an Glasfaserkabeln den Überblick verlieren. Außerdem können die Dienste heute zahllose Personen nicht nur in Echtzeit überwachen, sondern das auch mit einer nachgelagerten Suchmaschine kombinieren. Alles wird automatisch gefiltert und durchsucht, so können sehr viel mehr Menschen mit einer sehr viel geringeren Anzahl an Auswertern überwacht werden. Früher musste da – bildlich gesprochen – überall jemand mit Kopfhörern sitzen und zuhören.
Welche Rolle spielen soziale Netzwerke bei der Überwachung?
Sie sind bestens geeignet, um Profile zu erstellen. Wer Daten bei Facebook abgreift, hat auch gleichzeitig Zugriff auf die Netzwerke von „Freunden“. Das heißt, die NSA bekommt auch gleich noch die Informationen über die Umgebung mitgeliefert. Das System ist also noch mächtiger als 2001 – doch von der Herangehensweise und im Angriff auf die Privatsphäre dasselbe.
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