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Politik: Sprachbarrieren

In Belgien streiten Flamen und Frankophone über politische und kulturelle Rechte ihrer Ethnien

Mauern waren schon immer ein Zeichen von Abgrenzungswünschen – einst von Seiten der DDR-Führung gegen den kapitalistischen Westen. Heutzutage ziehen sich Mauern durch Israel und die Palästinensergebiete oder entlang der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko, um illegale Einwanderer abzuwehren. Auch in dem belgischen Städtchen Linkebeek wurde kürzlich eine Mauer errichtet. Sie war zwar nur zwei Meter breit und etwa genauso hoch, aber auch sie hatte eine klare politische Aussage: Radikale Flamen hatten mit Betonklötzen den Eingang des Gemeindehauses von Linkebeek, das im Süden der belgischen Hauptstadt Brüssel liegt, verbaut. Ihre Botschaft: „Schluss mit dem Zirkus!“

Mit dem Zirkus meint die Vereinigung Taal Aktie Komitee – was übersetzt so viel heißt wie „Komitee Aktion Sprache“ – die Ausnahmeregeln für frankophone Einwohner in Linkebeek und anderen Gemeinden, die zwar nah am zweisprachigen Brüssel, aber doch auf flämischem Gebiet liegen. Die sogenannten Facilités gehen den Flamen auf die Nerven, und die Frankophonen kämpfen für ihren Erhalt. Der Streit könnte die belgische Regierung unter der Führung des Flamen Yves Leterme zum Aufgeben zwingen.

Nach den Parlamentswahlen im Juni 2007 hatten sich die Koalitionsverhandlungen zwischen Flamen und Frankophonen über Monate hingezogen. Sie konnten sich nicht auf eine Staatsreform einigen. Die Flamen wollen mehr Autonomie für ihre Region, die Frankophonen lehnen dies ab. Erst seit Ende März gibt es nun eine Regierung aus Frankophonen und Flamen, die gemeinsam an der Staatsreform arbeiten soll. Doch das Projekt ist erneut gefährdet. Daran schuld ist nicht nur der Streit um die Facilités, sondern vor allem der Wahlbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV), zu dem auch die Gemeinde Linkebeek zählt. Bisher dürfen in diesem Gebiet Frankophone, obwohl sie auf flämischem Gebiet wohnen, bei Wahlen auch für frankophone Politiker stimmen. Die Flamen wollen schon seit Jahren eine Aufspaltung des Bezirks. Das würde bedeuten, dass die Ausnahmeregel nur noch in Brüssel, nicht aber für die angrenzenden Gemeinden gelten würde. Für die Frankophonen ist das inakzeptabel.

Die Flamen wollen nun mit ihrer Mehrheit im Parlament die Änderung durchdrücken – die Frankophonen drohen mit der Aufkündigung der Regierungskoalition. Jetzt versucht der Premierminister Yves Leterme, doch noch eine Lösung zu finden. Aber viel Hoffnung scheint auch er nicht mehr zu haben. „Das Land erlebt eine sehr schwierige Zeit“, sagte er nach den Verhandlungen über BHV im Parlament am vergangenen Donnerstag.

Heute könnte das Thema bei den Abgeordneten wieder zur Sprache kommen. Vorerst sind die Verhandlungen aber blockiert. Die frankophonen Parteien haben die Prozedur des „Interessenkonflikts“ eröffnet, die die Sprachenminderheit vor einseitigen Entscheidungen der Flamen schützen soll. Wie es weitergeht, ist offen.

Dass der Streit um die Sprache mehr ist als eine belgische Laune, zeigt auch der Besuch einer Delegation des Europarates aus Straßburg in Belgien. Seit Dienstag sind die Vertreter der Organisation, die sich die Verteidigung der Menschenrechte auf die Fahnen schreibt, im Land unterwegs, um sich anzuschauen, ob es zum Beispiel demokratisch und rechtens ist, dass Damien Thiéry in Linkebeek und zwei weitere frankophone Bürgermeister auch Monate nach ihrer Wahl noch immer nicht offiziell von der flämischen Regionalregierung ernannt worden sind. Die Lokalpolitiker hatten ihr Wahlprogramm an die frankophonen Wähler in französischer Sprache verschickt – ein Affront gegen die flämischen Regeln. „Bei uns wird eine Sprache gesprochen und das ist flämisch. Ich kann keine Bürgermeister ernennen, die das Gesetz brechen“, sagt der für Integration zuständige Minister Flanderns, Marino Keulen. Heute will der Europarat einen Bericht vorlegen, in dem er erklärt, wie er die Sache sieht. Das Papier hat zwar keine rechtliche Bindung, es dürfte aber im Land zu Aufregung führen.

Ruth Reichstein[Brüssel]

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