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Politik: Sprachkurs-Pflicht: Ein Gefühl der Bevormundung

Mit Enttäuschung und Empörung haben Vertreter der in Deutschland lebenden Türken auf Pläne reagiert, wonach Ausländer künftig zur Teilnahme an Sprachkursen verpflichtet werden sollen. "So kann man nicht mit uns umgehen", übte Yasar Bilgin, Vorsitzender des Rats der türkischen Staatsbürger, heftige Kritik.

Mit Enttäuschung und Empörung haben Vertreter der in Deutschland lebenden Türken auf Pläne reagiert, wonach Ausländer künftig zur Teilnahme an Sprachkursen verpflichtet werden sollen. "So kann man nicht mit uns umgehen", übte Yasar Bilgin, Vorsitzender des Rats der türkischen Staatsbürger, heftige Kritik. Ihn erinnere die Androhung von Sanktionen an das Vorgehen totalitärer Regime. Nordrhein-Westfalens Innenminister Fritz Behrens (SPD) hatte angeregt, Deutschkurse für Ausländer verpflichtend vorzuschreiben und andernfalls mit dem Entzug von Sozialleistungen zu drohen.

Bilgin sagte dem Tagesspiegel, bei Türken habe sich in den vergangenen Tagen ein "Gefühl der Bevormundung" eingestellt. Mit Kindern könne man so verfahren, mit den 2,1 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Türken aber nicht. Er wandte sich gleichzeitig gegen den Vorschlag, nicht mit Zwang zu drohen und stattdessen Anreize zu schaffen und Aufenthaltsgenehmigungen schneller zu erteilen: "Wir brauchen keinen Bonus, keine Almosen." Um Türken zum Erlernen der Sprache zu bewegen und besser zu integrieren, müsse sich auch an der Mentalität der Deutschen etwas ändern. Deutsche blieben meist unter sich und erschwerten türkischen Nachbarn die Eingliederung.

Nach Ansicht des Verbandes der türkischen Gemeinden in Deutschland (TGD) vertuscht die Diskussion um Pflichtkurse zu Teilen alte Versäumnisse der Politik. Zu Wirtschaftswunder-Zeiten habe man Arbeitskräfte aus dem Ausland gerufen, und Menschen seien gekommen, bedient sich TGD-Vorsitzender Hakki Keskin eines Zitats des Schriftstellers Max Frisch. Umfangreiche Fördermaßnahmen hätten bereits vor Jahrzehnten Not getan. "Heute zeigen viele mit den Finger auf ältere Türken, drohen ihnen Strafen an - inakzeptabel", sagt Keskin. Wolle man Menschen für Deutschkurse gewinnen, dürften Verweigerer nicht bestraft werden. Über eine Kostenbeteiligung, wie von Berlins Innensenator Werthebach (CDU) vorgeschlagen, könne man reden.

Türkische Eltern sollten motiviert werden, ihre Kinder vom dritten Lebensjahr an in Kindergärten zu schicken. Ferner regte Keskin an, nach dem Vorbild Schwedens Unternehmen zu verpflichten, ausländische Arbeitskräfte innerhalb der ersten drei Beschäftigungsjahre für Sprachkurse freizustellen. Staat und Firmen sollten sich die Kosten teilen und im Unterricht überdies demokratische Werte vermitteln.

So glauben die türkischen Gemeinden, dass verloren gegangenes Terrain zurückerobert werden kann. Ihnen hat die Diskussion um Pflichtkurse stark zugesetzt: "Wie lässt sich jetzt noch Loyalität zu diesem Staat einfordern?", fragt Yasar Bilgin. Türken seien sehr verletzlich. Die Debatte habe alle aus heiterem Himmel getroffen, nie sei zuvor darüber gesprochen worden. Nach langer Funkstille hoffen die türkischen Interessenverbände nun auf offene Ohren der Politiker.

Rüdiger Strauch

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