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Politik: Sprechen ohne Unterbrechungen

Stotterer-Verband wirbt für Änderung der Schuleingangsuntersuchungen

Berlin - Matthias Kremer denkt nicht gerne an seine Schulzeit zurück: „Ich bin jeden Tag mit Angst in die Schule gegangen.“ Als Schüler stotterte Kremer und war oft das Ziel von Hänseleien. Das Stottern hat der 44 Jahre alte Ingenieur bis heute nicht ablegen können. „Die traumatischen Erlebnisse haben bei mir einen Einfluss auf die fortschreitende Entwicklung des Stotterns gehabt“, sagt er.

Kremer ist einer von etwa 800 000 erwachsenen Deutschen, die an einer Störung des Sprechablaufs leiden, wie Stottern medizinisch bezeichnet wird. Als Betroffener engagiert Kremer sich für stotternde Menschen: Er ist Vorsitzender der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe (BVSS). Zum Welttag des Stotterns, der an diesem Mittwoch zum elften Mal stattfindet, wirbt die BVSS dafür, Stottern so früh wie möglich zu diagnostizieren, und fordert dafür eine Erweiterung der Schuleingangsuntersuchungen.

Die Einschulungsuntersuchungen sind in den Schulgesetzen der Bundesländer geregelt. Kinderärzte der kommunalen Gesundheitsämter untersuchen die Vorschüler anhand dieser Kriterien. Dabei verwenden die Ärzte einen Test, der unter anderem das Ergänzen von Wörtern oder das Nachsprechen von Sätzen umfasst. Doch dieser Test sieht nicht das spontane Sprechen vor. Damit ist er nicht geeignet, Stotterer zu erkennen. „Die Diagnostik beruht auf der Beobachtung der spontanen Sprache“, sagt Hartmut Zückner, Logopäde am Uniklinikum Aachen. Logopäden spielen zum Beispiel mit den Kindern, um sie zum freien Reden zu bringen. Das nordrhein-westfälische Landesinstitut für Gesundheit bestätigt, dass im bevölkerungsreichsten Bundesland bisher nicht explizit auf Stottern getestet wird. In der Regel fielen den Ärzten stotternde Kinder aber auf, heißt es.

Dass das nicht immer der Fall ist, machen Zahlen aus dem Saarland deutlich. Unter 8000 Vorschülern des Jahrgang 2008 sind mit der bisherigen Untersuchung 20 stotternde Kinder entdeckt worden – eine Quote von 0,25 Prozent. Mehrere Studien belegen aber, dass generell rund fünf Prozent aller Vorschulkinder stottern. Das bedeutet, dass bei gut 300 saarländischen Erstklässlern das Stottern nicht erkannt worden ist.

Das saarländische Gesundheitsministerium hat reagiert und angekündigt, die Stotterdiagnostik einzuführen. Die anderen Bundesländer werden vorerst mit der alten Methodik weitertesten. BVSS-Präsident Matthias Kremer hofft, dass weitere Bundesländer bald nachziehen. „Mir wäre einiges erspart geblieben, wenn man mein Stottern früher behandelt hätte“, sagt Kremer.

Martin Gropp

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