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Politik: Springen, nicht tänzeln

Von Hermann Rudolph

Ein merkwürdiger Frieden hängt über dem Land. Hätte man je gedacht, dass Angela Merkel uns in allen Medien in so freundlichen Bildern anblickt? Dass die rot-grüne Politik, gerade vor einem halben Jahr zu Ende gegangen, uns wie eine Geschichte aus uralten Zeiten erscheint? Dass selbst die Wähler die schöne Stimmung nicht stören wollen und akkurat so abstimmen, dass die Berliner Koalition nicht gefährdet ist? Zugleich versichern alle, dass es nun endlich losgehen muss mit der Arbeit an den Problemen. Ist der Zustand, in dem wir uns befinden, ein fauler Friede?

Die Agenda liegt vor aller Augen. Schlag auf Schlag beginnt mit dieser Woche der Ernst des Koalitions-Lebens: Heute der Kampf mit dem Haushalt, einer schmerzhaften Zangengeburt, Mittwoch der Gesundheitsgipfel, der Unvereinbares vereinbar machen muss, Donnerstag der Föderalismus, ein quälendes Endlos-Thema. Und so weiter – und fast überall droht vermintes Gelände, schürzen sich die parteipolitischen Knoten, führen die Themen selbst auf schweres Terrain. Dabei bleibt unbestritten, dass die Koalitionäre aus einer Verbindung, die keiner wollte, immerhin eine funktionierende Regierung gezimmert haben. Das ist eine Leistung, Gestaltung, nicht nur Moderation – man muss sich nur an die Prognosen erinnern, die dem Vorhaben seinerzeit gestellt wurden –, aber es ist auch wahr, dass es nur um den Preis des Ruhigstellens und Ausklammerns gelungen ist. Nun steht dieser Preis zur Begleichung an.

Andererseits gibt es eine erstaunliche Bereitschaft, dieser Koalition einen Bonus einzuräumen. Das hat etwas mit der geänderten Konstellation auf Bundesebene zu tun. Aber es spiegelt auch ein Umdenken wieder, ja, vielleicht eine mentale Wende. Dieses Bündnis ist zwar arithmetisch gezeugt, vom größtmöglichen Unfall eines Bundestagswahlergebnisses – keine andere Koalition mehr möglich –, aber mitgeboren hat es das verbreitete Unbehagen an einer Politik, die immer nur scharf an der Kante entlangsteuerte, die es an Augenmaß und manchmal auch an Ernsthaftigkeit fehlen ließ. Die gelittene, ja, irgendwie sogar geschätzte große Koalition ist auch ein Signal dafür, dass die Leute einer feuerwerkelnden Politik müde sind.

Aber von dieser neuen Nüchternheit geht auch ein nicht zu unterschätzender Druck aus. Es ist die Erwartung von Ergebnissen, die die positive Gestimmtheit der Öffentlichkeit gegenüber der Koalition aufrechterhält. Bleiben sie aus, ja, lassen auch nur zu lange auf sich warten, droht diese Stimmung zusammenzubrechen. Dann würde das Feld frei für die Profilierungskämpfe der Parteien und ihrer Flügel. Die Abwendung der Bürger von der Politik, das weitere Anwachsen der Verdrossenheit wäre die Folge – die hohe Zahl der Nichtwähler, dieser neuen außerparlamentarischen Opposition, zeigt menetekelhaft, wie eng gezogen die Wirkungsgrenzen der großen Koalition sind.

Das heißt auch, dass die kleinen Schritte, mit denen Angela Merkel und die Koalition bisher so gut vorangekommen sind, nicht mehr ausreichen werden. Man kann die Probleme, die jetzt vor der Koalition stehen, nicht nur mit niedrigem Profil angehen. Diese Koalition braucht eine Botschaft, die ihre Partner motiviert und die Wähler mobilisiert. Morgen steht der Kanzleretat auf der Tagesordnung der Haushaltsdebatte, der klassische Ort der politischen Generalaussprache: Es wäre der richtige Zeitpunkt für ein richtungweisendes Wort.

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