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Politik: Sprungbrett nach Europa

Von Martin Gehlen

Mit dem Blutbad von Algier ist im Maghreb der Terror zurückgekehrt. Zwei Bombenanschläge im Zentrum der Hauptstadt, vier Selbstmordattentäter zuvor in Marokko sowie tagelange Gefechte zwischen Polizei und Dschihadisten Anfang des Jahres in Tunesien: Nordafrika – populäre Touristenregion und Gegenüber der europäischen Mittelmeerküste – sieht unruhigen Zeiten entgegen. Und auf dem alten Kontinent, vor allem in Spanien und Frankreich, wächst die Angst, diese Terrortaten könnten Vorboten sein von Anschlägen auf eigene Bevölkerungszentren.

Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Seit Monaten verdichten sich die Anzeichen, dass nach Jahren relativer Ruhe der internationale Dschihadismus in Tunesien, Algerien und Marokko wieder mobil macht und diese Staaten als Sprungbretter nach Europa nutzen will. Die 30-köpfige Islamistentruppe, die sich in einem Dorf nahe Tunis verschanzt hatte, plante Anschläge auf westliche Botschaften und Hotels. Die marokkanischen Selbstmordattentäter hatten Touristenzentren und Einkaufsmeilen im Visier – und träumten von einem Heiligen Krieg zur Wiedereroberung des spanischen Andalusiens. Die algerischen Al-Qaida-Verbündeten wiederum griffen nicht nur mitten in Algier den Sitz des Ministerpräsidenten an. Sie drohen auch offen per Internet mit Attacken auf französischem Boden während der Präsidentenwahl. Wie ernst zu nehmen diese Botschaften sind, zeigt der Blick in die Pariser Polizeistatistik: Allein im letzten Jahr nahmen die Sicherheitskräfte 139 mutmaßliche Terroristen oder deren Helfer fest.

Dem Netzwerk Al Qaida mangelt es nicht an Nachwuchs – und die westliche Gegenstrategie ist überall in die Defensive geraten. Als Drehscheibe der Terrorkrieger ist der Irak längst fest etabliert und zieht auch aus dem Maghreb zunehmend Freiwillige an – darunter vor allem die wegen ihrer extremen Brutalität gefürchteten Algerier. Die marokkanischen Behörden heben jeden Monat ein Rekrutierungsbüro für den Irak aus, ohne dieser Dschihadwelle wirklich Herr zu werden. Und ein Teil der internationalen Kämpfer reist später aus dem Irak weiter nach Afghanistan, Tschetschenien und Somalia – oder kehrt in seine nordafrikanische Heimat zurück und verstärkt das blutige Handwerk der lokalen Zellen.

Kein Wunder, dass die algerische Bevölkerung jetzt eine Rückkehr des Bürgerkriegs mit den Islamisten fürchtet, der in den neunziger Jahren mehr als 150 000 Menschen das Leben kostete. Die Aussöhnungspolitik von Präsident Bouteflika hat zwar die innere Lage in den vergangenen Jahren beruhigt, war aber nicht von sozialen und politischen Reformen begleitet. Bis heute zählt das Land wegen seiner Ölvorkommen zu den reichsten Staaten Afrikas. Trotzdem dominieren im Alltag Massenarbeitslosigkeit, Armut, Staatsversagen, Korruption und Perspektivlosigkeit.

Mit Marokko hat Spanien seit dem Anschlag von Madrid die Zusammenarbeit ausgebaut. Tunesien genießt langfristige Bindungen mit Frankreich, Italien und Deutschland. Dagegen liegt der geplante Kooperationsvertrag zwischen Paris und Algier nach wie vor auf Eis. Aus Berlin waren zwar jüngst Wirtschaftsminister Glos und einige Bundestagsabgeordnete zu Besuch. Mehr als ein kleiner Vertrag zur Wartung deutscher Kriegsschiffe ist dabei nicht herausgekommen. Gerade das gebeutelte Algerien jedoch bei seiner inneren Entwicklung stärker als bisher zu unterstützen, liegt im zentralen Interesse Europas.

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