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Politik: Sprunghafte Wähler

Die Prognosen der Demoskopen kamen dem Ergebnis nur zum Teil nahe – die politische Stimmung war wechselhaft wie nie zuvor

Von Albert Funk

und Matthias Meisner

Es war angeblich die „letzte geheime Umfrage“. Gleichauf bei 37 Prozent würden SPD und Union liegen, zitierte die „Bild am Sonntag“ aus einer „unveröffentlichten Umfrage“ von Infratest dimap. Grüne und FDP kämen auf je acht Prozent, die PDS war raus. Infratest-Geschäftsführer Reinhard Schlinkert versichert, solche Zahlen habe sein Institut nie gehabt. Doch die Botschaft der „BamS“ schien den Leuten von der ARD, die mit Infratest kooperieren, klar: Unionswähler sollten aufgerüttelt werden – nach dem Motto, alles sei noch drin. Es galt zu verhindern, dass sich unentschlossene Wähler ins Lager der mutmaßlichen Sieger schlagen.

Noch nie sind vor einer Wahl so viele Umfragen veröffentlicht worden, selten zuvor gab es solche Sprünge bei den Ergebnissen und solche Zweifel an der Demoskopie. Doch zeigt sich, dass die Meinungsforscher zum Schluss so schlecht nicht lagen. Immerhin vier der fünf großen Institute sagten eine rot-grüne Mehrheit voraus, das Scheitern der PDS vorausgesetzt. Am nächsten am Ergebnis lag Forsa. Geirrt haben sich alle nur beim Abschneiden der kleinen Parteien: Die FDP wurde in den letzten Erhebungen vor den Grünen gesehen, am Sonntag kam es umgekehrt. Allensbach war das einzige Institut, das einen Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb prognostizierte. Allensbach-Sprecher Edgar Piel erklärt das damit, dass „wirklich im letzten Moment“ Wähler von der FDP abgewandert seien, wegen der Debatte um Möllemann und des erwarteten „Fotofinishs“ zwischen Union und SPD.

In einem sind sich alle Institute einig: Die „Rohdaten“, also die tatsächlichen Antworten, geben die Wirklichkeit nicht genau wieder. Die politische Stimmung, das zeigen die Zahlen, ist ein Halm im Wind. So ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen – sie veröffentlicht als einziges Institut neben einer gewichteten Prognose auch die tatsächlichen Daten – Ende Juli 43 Prozent für die Union, 35 Prozent für die SPD. Sieben Wochen später war die Stimmung gekippt: 45 zu 35 zu Gunsten der SPD. Die FDP schwankte in den Monaten vor der Wahl zwischen 7 und 12 Prozent. Da werden Prognosen schwer.

Roland Schatz vom Bonner Institut Medientenor, der vor der Wahl an den Regierungswechsel glaubte, sagt heute, Gerhard Schröders Sieg sei „mediengemacht“. Das Thema Job-Krise sei verdrängt worden, stattdessen ging es fast nur um die Flutkatastrophe: „Die Berichterstattung über die Flut hat Deutschland in ein Koma geführt.“

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