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Gedenken an die Opfer auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo. Foto: imago

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Politik: Spur nach Inguschetien

Festnahmen nach Anschlag auf Moskauer Flughafen – Zweifel an Ermittlungen

Eile bei der Spurensicherung sei gut, mit gleichem Tempo aus vermutlichen Indizien auch Schlüsse zu ziehen, dagegen schlecht. Das, sagt Viktor Pljuchin in einem Interview für Radio Liberty, habe er seinen Untergebenen immer wieder eingebläut, als er zu Sowjetzeiten Chef der Obersten Ermittlungsbehörde war. Heute sitzt Pljuchin in der Duma und fuhr mit seinem alten Leitspruch seinen Nachfolgern in die Parade, als diese am Dienstag auf einer nicht öffentlichen Sitzung über den Fortgang der Ermittlungen zum Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo Ende Januar Bericht erstatteten. Ein Selbstmordattentäter hatte 36 Menschen mit in den Tod gerissen, mehr als hundert wurden verletzt.

Zwar kündigten Präsident Dmitri Medwedew und Premier Wladimir Putin in markigen Sprüchen an, derartiges würde sich nicht wiederholen, gegen die Schuldigen das Gesetz mit aller Strenge angewendet. Doch Ähnliches hörte die Nation bisher nach jedem Terroranschlag – und um die Schuldigen zu bestrafen, müssen sie erst einmal gefunden werden. Genau damit aber hapert es noch immer. Auch Tatmotive und Hintergründe sind weiter unklar. Kritische Experten wie Pljuchin sind sich nicht einmal sicher, ob es wirklich Terrorismus war und ob die Spuren tatsächlich in den Nordkaukasus führen. Sie schließen nicht aus, dass es bei dem Anschlag darum ging, die Besitzverhältnisse in der Betreibergesellschaft des Flughafens neu zu ordnen. Deren Gewinn liegt im zweistelligen Milliardenbereich.

Offiziell allerdings – so viel sickerte, obwohl die Ermittler die Volksvertreter zum Schweigen verdonnert hatten, schon einen Tag nach der Anhörung in der Duma durch – führt die derzeit heißeste Spur in die Teilrepublik Inguschetien. In das Hochgebirgsdorf Ali Yurt. Dort sind der vermutliche Selbstmordattentäter Magomed Jewlojew und seine Helfer zu Hause: Schwester, Bruder und ein Freund. Diese drei sind bereits festgenommen worden. Sie sollen ihre Terroristen-Ausbildung in einer Sondereinheit von Doku Umarow, dem Chef der tschetschenischen Untergrundkämpfer, erhalten haben.

Dieser hatte sich in der Tat – wenn auch mit etlicher Verspätung – zu dem Blutbad in Domodedowo wie zuvor schon zu allen größeren Anschlägen bekannt. Damit wolle er im Gespräch bleiben, vermuten Experten. Denn im letzten Jahr kündigten ihm gleich mehrere Unterhäuptlinge. Sie operieren seither auf eigene Faust, sind daher aber, wie Kenner der Materie glauben, zu Terrorakten dieses Kalibers derzeit so wenig in der Lage wie ihr einstiger Anführer.

Stutzig macht Beobachter zudem, dass Menschenrechtler in Inguschetien ebenso wie Bewohner des Heimatdorfes der mutmaßlichen Terroristen die Verhaftungen als willkürlich bezeichneten. Jewlojew und dessen Angehörige seien einfache Leute, arbeitsam und hätten mit Extremisten und radikalem Islam nichts zu tun gehabt.

Kritische Medien sehen in der Familie ein Bauernopfer, mit dem der Öffentlichkeit ein Erfolg vorgegaukelt werden soll, der von dem Chaos zu Beginn der Ermittlungen ablenkt. Denn die Versionen zu Tathergang, zu den Motiven und zum ethnischen und religiösem Hintergrund möglicher Täter wechselten anfänglich im Stundentakt.

Blogger empören sich zudem über die Halbherzigkeit personeller Konsequenzen, wie sie der Kreml und die Regierung wegen der Sicherheitslücken in Domodedowo zunächst ebenfalls angedroht hatten. Zwar gab es personelle Konsequenzen auf der mittleren Ebene. Zwei Generäle fingen sich einen Tadel weg, blieben aber im Amt. Und über Forderungen nach einem Rücktritt von Innenminister Raschid Nurgalijew und Geheimdienstchef Alexander Bortnikow geht die Macht ohne mit der Wimper zu zucken hinweg. Denn erhoben wurden sie in dieser Woche von gerade mal einem halben Hundert unverzagter Regimekritiker.

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