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Staatsbesuch: Schröder bekräftigt Perspektive für Türkei

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bei seinem Besuch in Ankara die "klare europäische Perspektive" für die Türkei bekräftigt. Voraussetzung für einen pünktlichen Beginn der Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober sei allerdings, dass die Reformen entschieden weitergehen.

Ankara (04.05.2005, 12:17 Uhr) - «Eine so wichtige strategische Entscheidung, die von so ungeheurer historischer Bedeutung ist, kann man nicht von wechselnden Meinungsumfragen abhängig machen», sagte Schröder am Mittwoch nach Gesprächen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara.

Zugleich ermahnte Schröder die Türkei, die Dynamik des Reformprozesses beizubehalten. Vor der Aufnahme der Verhandlungen seien «noch ein paar Dinge nötig». Hierzu gehöre eine «solide Umsetzung» der türkischen Reformen, die ungeachtet «gelegentlicher Rückschläge» gesellschaftliche Wirklichkeit werden müssten. Außerdem müsse die Türkei das Ankara-Protokoll unterzeichnen, mit dem die bestehende Zollunion auf die zehn neuen EU-Mitglieder ausgeweitet werden soll, darunter auf das bislang von der Türkei nicht anerkannte Zypern. Schröder sicherte zu, sich dafür einzusetzen, dass der türkische Norden der geteilten Mittelmeerinsel die zugesagten EU-Gelder von 250 Millionen Euro erhalte und «die ökonomische Förderung des Nordens in Gang kommt».

Schröder, auf dessen weiterem Programm ein Besuch beim griechisch-orthodoxen Patriarchen in Istanbul stand, betonte die Bedeutung der freien Religionsausübung. Auch dies sei «Teil der EU- Agenda». Der Patriarch gilt als Oberhaupt aller 350 Millionen orthodoxen Christen. Nach Auffassung der Türkei repräsentiert er allerdings nur die christlich-orthodoxe Minderheit im Land, die einige zehntausend Menschen umfasst. Indirekt forderte Schröder Ankara auf, das seit den 70er Jahren geschlossene Priesterseminar in Istanbul wieder zu eröffnen.

«Große Besorgnis» äußerte Erdogan über den in den Bundestag eingebrachten Antrag zum 90. Jahrestag der Vertreibung und der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich. Schröder befürwortete im Gegenzug den türkischen Vorschlag zur Einsetzung einer Historikerkommission auch mit internationalen Experten, damit die Ereignisse im Ersten Weltkrieg «fair aufgearbeitet» würden. Er hoffe, dass Armenien auf den Vorschlag eingehe. Berlin sei zur Unterstützung bereit. «Es gibt dafür in Deutschland auch hoch qualifizierte Leute.»

In der Doppelpass-Frage von Türken in Deutschland vereinbarte Schröder mit Erdogan, zusammen mit den Innenministern nach einer «schnellen, unkomplizierten und einfachen Lösung» zu suchen. Man können Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie die Gesetze nicht genau gekannt hätten, sagte Schröder. Hunderttausende Türken haben ihre deutsche Staatsangehörigkeit eingebüßt, weil sie nach 2000 wieder einen türkischen Pass beantragt hatten.

Nach der Verleihung einer Ehrendoktorwürde durch die Marmara- Universität in Istanbul wollte Schröder am Nachmittag zusammen mit Erdogan hochrangige Vertreter der Wirtschaft beider Länder sprechen und an einem deutsch-türkischen Wirtschaftskongress teilnehmen. (tso)

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