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Winken ja - Aber Deutsche werden, wird für Menschen mit Migrationsgeschichte bald schwieriger.

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Update

Staatsbürgerschaftsrecht wird geändert: Juristen kritisieren neue Hürden auf dem Weg zum deutschen Pass

Die große Koalition ändert noch vor der Sommerpause das Staatsbürgerschaftsrecht. Fachleute aller Lager sehen die Reform kritisch.

Die Koalitionsfraktionen haben sich am Dienstag abschließend auf eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts geeinigt, die die Möglichkeiten, Deutsche oder Deutscher zu werden oder zu bleiben, deutlich einschränkt – am morgigen Donnerstag soll das Vorhaben durchs Parlament. Wer Mitglied in einer als terroristisch angesehenen ausländischen Miliz ist, verliert demnächst seinen deutschen Pass, wer mehrfach verheiratet ist oder dessen Identität aus Sicht der Behörden nicht ausreichend geklärt ist, darf erst gar nicht eingebürgert werden. Eine Härtefallregelung für Menschen aus Ländern, in denen ein Identitätsnachweis nach deutschen Regeln nicht möglich ist, sieht der Gesetzentwurf nicht vor.

Außerdem wird, so wörtlich, eine "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ demnächst von jeder und jedem künftigen Deutschen gefordert – bisher galt das nicht für sogenannte Anspruchseinbürgerungen, also für Ausländerinnen und Ausländer, die durch lange Aufenthaltsdauer, Deutschkenntnisse und gesicherten Lebensunterhalt ein Recht darauf hatten, eingebürgert zu werden. Das genügt in Zukunft nicht mehr, sie müssen jetzt auch diese Zusatzanforderung erfüllen.

Jurist sieht "Rollback im Staatsangehörigkeitsrecht"

Am Tag vor der Verabschiedung Im Innenausschuss des Bundestags hatte es während einer Anhörung mit Fachleuten, Juristen und Migrationsexperten, vor allem an dieser weiteren Hürde teils scharfe Kritik gegeben. Selbst Sachverständige, die nicht die Ansicht teilten, damit werde ein Gummiparagraf geschaffen, der „zusätzlichen Anforderungen Tor und Tür“ öffne – so der Vertreter des Deutschen Anwaltsvereins – und das seit Jahren umstrittene Leitkulturprinzip durch die Hintertür festklopfe, warnten: Es schade der dringend nötigen Diskussion über den Zusammenhalt im Einwanderungsland, wenn der Gesetzgeber Probleme wie die Mehrehe, von der es nur wenige Fälle gebe, zu etwas „aufbauscht, das die Gesellschaft spaltet und diskursiv die gleiche Freiheit aller Deutscher untergräbt, indem bestimmte Personengruppen zu ‚Bürgern zweiter Klasse‘ erstarken“, heißt es in der Stellungnahme des Konstanzer Jura-Professors und Fachmanns für Migrationsrecht, Daniel Thym.

Grundsätzlicher urteilte Tarik Tabbara, Professor für öffentliches Recht an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht: Er sprach von einem „restaurativen Rollback im Staatsangehörigkeitsrecht“, einem „Rückschritt in die Zeit des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913“, das bis zur rot-grünen Reform im Jahr 2000 auch das Staatsangehörigkeitsrecht der Bundesrepublik bestimmt habe. Schon die Einbürgerungsrichtlinien aus den 1970er Jahren hätten die Formel von der "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" für eine restriktive und undemokratische Einbürgerungspraxis genutzt.

Komme die Reform, werde das Recht, deutsch zu werden, unter einen „Kulturvorbehalt“ gestellt. Der sei außerdem völlig unbestimmt und weit auslegbar. Wenn Neubürgerinnen jetzt sogar eine „innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland“ beweisen müssten, bedeute das eine Abkehr davon, was beleg- und überprüfbar sei, nämlich Rechtstreue, die Jahre des Aufenthalts in Deutschland, Sprachkenntnisse, gesicherter Lebensunterhalt und ein Bekenntnis zur deutschen Demokratie. „Letztlich würde Einbürgerung künftig eine kulturelle Konversion voraussetzen“, schreibt Tabbara. „Von dem demokratisch fundierten Konzept eines Anspruches auf Einbürgerung bliebe damit jedenfalls nichts mehr übrig.“  

Neue Deutsche Organisationen sehen "Leitkultur-Paragrafen"

Massive Kritik am Vorhaben der Koalition hatten zuvor die „Neuen deutschen Organisationen“ (NdO) geäußert, der Dachverband der Vertretungen von Medienleuten, Soldaten und anderer Berufsverbände und Vereine mit Einwanderungshintergrund. In ihrem Aufruf an den Bundestag, dem geänderten Staatsbürgerschaftsrecht nicht zuzustimmen, heißt es zur „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“: "Durch diesen willkürlichen Leitkultur-Paragraphen wird den Behörden ein Spielraum bei der Einbürgerung eingeräumt, der das Staatsangehörigkeitsrecht in die achtziger Jahre zurückkatapultiert. Bestimmte Gruppen von Deutschen werden zu Staatsangehörigen zweiter Klasse und zu Staatsbürger*innen auf Widerruf.“ Das passiere, so die NdO, unter anderem durch die ebenfalls neue Bestimmung, dass die Behörden eine Einbürgerung noch zehn Jahre lang zurücknehmen können, wenn sie herausfinden, dass ihr falsche oder unvollständige Angaben zugrundelagen. Bisher galt eine Frist von fünf Jahren. Auch die AG Migration und Vielfalt der mitregierenden Sozialdemokraten protestierte: Die SPD-Abgeordneten im Bundestag müssten diese Reform "unverzüglich stoppen", da sie mit sozialdemokratischer Politik nicht vereinbar sei und "Erfolge beim Staatsangehörigkeitsrechts unter Rot-Grün konterkarieren" würde. Eine "Rolle rückwärts" dürfe es nicht geben, erklärte der wiedergewählte Vorsitzende der AG, Aziz Bozkurt.

 Einbürgerung auf Probe?

Die vom Innenausschuss geladenen Fachleute, auch die von den Regierungsfraktionen beauftragten, äußerten sich mehrheitlich kritisch auch zum Passus über „Terrormilizen“. Es sei nicht klar genug, wie solche Milizen von Befreiungsbewegungen unterschieden werden könnten, in vielen Gegenden der Welt sei von Deutschland aus ohnehin nicht überprüfbar, wer gegen wen kämpfe und mit welchen Mitteln und Zielen. Das Vorhaben der Koalition sei zwar „insbesondere aus sicherheitspolitischen Gründen zu begrüßen“, heißt es in der Stellungnahme der Leiterin des Ausländerrechtsreferats im Düsseldorfer Integrationsministerium, Charlotte Hinsen. Sie lässt aber Skepsis erkennen, „den ‚automatischen‘ Wegfall der deutschen Staatsbürgerschaft kraft Gesetzes an ein Kriterium zu knüpfen, das derartig stark der Bewertung unterliegt“. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisierte, dass Deutschland auf die Bekämpfung schwerer Menschenrechtsverbrechen verzichte, wenn es die Täter ausbürgere, statt sie hier vor Gericht zu bringen.

Philipp Wittmann, Karlsruher Verwaltungsrichter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht, sieht zwar keinen Leitkulturparagrafen – eine allzu weite Auslegung würden in konkreten Verfahren schon die Gerichte verhindern – kritisierte aber ebenfalls den unklaren Terrormiliz-Begriff und warnte auch vor einer Art Einbürgerung auf Probe, wenn der deutsche Pass zehn Jahre lang entzogen werden könne: Staatsbürgerschaft sei die „verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit“. Diese Verlässlichkeit sei für die Einzelnen wie für die Gesellschaft wichtig. Sie dürfe nicht durch „Aufspaltung  in Zugehörigkeitsverhältnisse  besserer  und  minderer  Güte“ beeinträchtigt werden. Das habe auch das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont. 

 Konservativer Widerstand gegen migrantische Deutsche

Dass die Koalition auf diese Bedenken eingeht, ist nicht mehr zu erwarten. Am Donnerstag soll die Reform abschließend beraten und verabschiedet werden. „Auf den letzten Metern vor der Sommerpause rüttelt die GroKo an den Grundfesten des Staatsangehörigkeitsrechts“, erklärte dazu Filiz Polat, die Migrationsfachfrau der Grünen im Bundestag. Auch sie sieht ein Zurück zum Stand vor 2000: „Wir erleben diese Woche die Wiederkehr des Geistes des alten Staatsangehörigkeitsrechts."

Das war unter der 1999 bis 2005 regierenden rot-grünen Regierung Schröder gründlich reformiert worden - gegen den massiven Widerstand der Union. Er hat sich offenbar erhalten. Der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zum Beispiel, der seit dem Verlust seines Amts den konservativen Flügel von CDU/CSU, die "Werteunion", verstärkt, klagte 2011, ein Jahr vor seiner Berufung ins Kölner Amt, bereits, dass das Staatsangehörigkeitsrecht "wenig Handlungsspielraum“ biete, um es zur Terrorabwehr zu nutzen. Es wäre "hilfreich“, die Vorschriften, wann jemand eingebürgert werden müsse, so „zuzuschneiden, dass der typische Personenkreis des islamistischen Personenpotenzials herausfiele“. An anderer Stelle des Aufsatzes bezeichnet er eingebürgerte Deutsche als „nominell deutsche Staatsangehörige“.

Polat beklagte die Eile der Koalition, die schon vor zwei Wochen ein migrationspolitisches Großpaket durchs Parlament jagte, mit dem Abschiebungen erneut erleichtert, Asylsuchende zu langen Zeiten in Gemeinschaftsunterkünften gezwungen und ein neuer Aufenthaltsstatus mit minderen Rechten geschaffen wird. Man habe, so Polat, nicht einmal bis zur Innenausschusssitzung die Argumente der Fachleute aus der Anhörung auswerten können: „Das hat nichts mit einem geordneten und der Sache adäquaten Parlamentarismus zu tun.“ 

Update: Dank Ihrer Kommentare, liebe Userinnen und User, habe ich bemerkt, dass ich am Beginn des Artikels missverständlich formuliert hatte: Mutmaßliche Terrormilizionäre, die Deutsche sind, verlieren die deutsche Staatsbürgerschaft, bei ihnen geht es nicht um Einbürgerung. Das ist jetzt korrigiert, an wenigen anderen Stellen habe ich außerdem mehr Erläuterung eingefügt - danke und pardon! Andrea Dernbach

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