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Auf dem Tahrir-Platz, auf dem die ägyptische Protestbewegung im Arabischen Frühling ihren Anfang nahm, demonstrieren heute Mursis Gegner.

© dapd

Update

Staatskrise in Ägypten: Mursi behält umstrittene Vollmachten

Das umstrittene Dekret soll trotz der massiven Proteste bestehen bleiben, betonte der ägyptische Präsident Mursi bei den Gesprächen am Montag. Am Abend sagten indessen zwei Gruppen ihre für Dienstag geplanten Proteste ab - "um Blutvergießen zu verhindern".

In einem vierstündigen Gespräch zwischen Mohamed Mursi und Vertretern des Hohen Richterrates ist es am Montagabend nicht gelungen, die gefährlich eskalierende Staatskrise in Ägypten zu entschärfen. Der Präsident versicherte der Juristen-Delegation mündlich, seine neuen Vollmachten bezögen sich allein auf so genannte „souveräne Belange“, das heißt die Verfassungsgebende Versammlung, das Oberhaus des Parlamentes sowie die Entlassung des Generalstaatsanwaltes. Alle übrigen Entscheidungen der Exekutive blieben weiterhin der regulären Kontrolle der Gerichte unterstellt. Zu einer offiziellen Präzisierung seiner Dekrete jedoch erklärte sich Mursi in dem Treffen nicht bereit, während die Führung der Muslimbruderschaft am Abend eine für Dienstag geplante Großkundgebung vor der Universität Kairo aus Angst vor blutigen Zusammenstößen absagte. Die säkulare Opposition hielt an ihrem Plan fest, sich morgen zum Protest auf dem Tahrir-Platz zu versammeln. Dort hatten am Montag mehrere tausend Menschen den Sarg eines jungen Aktivisten der „Demokratiebewegung 6. April“ geehrt, der vor sechs Tagen bei den Unruhen angeschossen wurde und in der Nacht zuvor gestorben war.

Seit Ägyptens Staatschef letzte Woche die Judikative per Dekret bis zur Neuwahl eines Parlaments faktisch entmachtet und die Gewaltenteilung aufgehoben hat, sehen sich die Muslimbrüder in zahlreichen Regionen des Landes heftigen Angriffen ausgesetzt. Insgesamt 13 ihrer Parteizentralen gingen in Flammen auf. Der Hohe Richterrat, die Spitzenvertretung von Ägyptens Richtern, hatte das Vorgehen Mursis zunächst als „einen beispiellosen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz“ gebrandmarkt, dann jedoch in Verhandlungen mit dem Präsidentenamt als Kompromiss vorgeschlagen, die Mursi-Dekrete durch eine präzisierende Zusatzformel auf so genannte „souveräne Belange“ einzugrenzen. Auf diese Weise wäre dem Kernanliegen Mursis, die Verfassungsgebende Versammlung vor einer Auflösung durch das Verfassungsgericht zu schützen, Rechnung getragen. Gleichzeitig wäre die Macht der übrigen Judikative in allen anderen Bereichen wieder hergestellt.

Mursi unterstrich noch einmal in einer Erklärung, seine Sondervollmachten seien zeitlich begrenzt und er habe nicht die Absicht „die Macht zu konzentrieren, sondern sie auf ein demokratisch gewähltes Parlament zu übertragen“. Der Präsident bekundete zudem die Bereitschaft, mit allen politischen Kräften des Landes den Dialog zu suchen, „um einen nationalen Konsens für die Verfassung zu erreichen, die der Grundstein für sämtliche moderne Institutionen Ägyptens sein wird“.

Ein Experte warnt, Ägypten könnte sich weiter destabilisieren.

Nach Meldungen der staatlichen Zeitung „Al Ahram“ will Mursi möglicherweise den säkularen Parteien und Kirchen anbieten, die Gesamtzahl der Mandatsträger in der 100-köpfigen Verfassungsgebenden Versammlung zu erhöhen und das Zustimmungsquorum für die einzelnen Artikel auf 67 Prozent fixieren. Das könnte die bislang massive Übermacht von Muslimbrüdern und Salafisten verringern sowie den Zwang zum Kompromiss erhöhen. Am Wochenende hatten nach den Vertretern der Kirchen, Gewerkschaften und liberalen Parteien auch die letzten nicht-islamistischen Repräsentanten ihr Mandat in der Versammlung aus Protest niedergelegt, so dass sich die Zahl der Zurückgetretenen jetzt auf 22 beläuft. Zur jüngsten Sitzung erschien nur noch knapp die Hälfte der 100 Mandatsträger, was das Plenum beschluss- und handlungsunfähig machte. Nach den neuen Dekreten Mursis muss die Versammlung bis spätestens Mitte Februar 2013 einen Verfassungsentwurf vorlegen, über den die Bevölkerung dann per Referendum abstimmt.

Der liberale Abgeordnete Amr Hamzawy, der viele Jahre in Berlin an der Freien Universität tätig war, warnte, Ägypten könne in eine Lage hineintaumeln, die sich nicht mehr stabilisieren lasse. Auch in der direkten Umgebung Mursis gibt es offenbar massive Bedenken gegen sein Vorgehen in den letzten Tagen. Am Wochenende waren bereits drei seiner Berater aus Protest zurückgetreten. Justizminister Ahmed Mekki räumte in einem Fernsehinterview ein, es sei ein Fehler gewesen, das Vorhaben nicht zuvor mit der Opposition abzustimmen. Der frühere Richter erklärte, er vertraue Mursi, seine Dekrete jedoch gingen viel zu weit. Er selbst hätte sie niemals unterschrieben, weil sie „meine Grundüberzeugungen verletzen“.

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