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© dpa

Staatsrechtler Mathias Rohe: "Der Islam muss keine Kirche werden"

Staatsrechtler Mathias Rohe über den Erfolg von Schäubles Konferenz und verpasste Chancen im Kopftuch-Streit.

Herr Rohe, Sie waren Mitglied im Arbeitskreis der Deutschen Islamkonferenz, der sich mit der Integration des Islam ins deutsche Religionsverfassungsrecht beschäftigte. Hat das überhaupt etwas gebracht?



Es waren sich so ziemlich alle einig, dass der Haupterfolg die Herstellung einer islamischen Normalität in diesem Land ist – das sehe ich genauso. Daneben haben wir aber auch einiges für den islamischen Religionsunterricht ermöglicht.

Was meinen Sie? 

Wir haben zum Beispiel Begriffe präzisiert, die bisher eher unpräzise benutzt wurden. Was zum Beispiel ist eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes? Wir arbeiten da noch mit Definitionen aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, ganz einfach, weil da das Christentum das einzige Modell einer Religionsgemeinschaft war. Wir haben jetzt unterschieden: Was gehört notwendig zum Begriff der Religionsgemeinschaft, was sind historische Zufälligkeiten?

Nun hat die Islamkonferenz aber kein Mandat, Rechtsbegriffe neu zu definieren.

Das war vielleicht sogar gut so. Zuständig sind die Länder, deren Vertreter mit am Tisch saßen. Und es wurde während der Konferenz deutlich, dass die Länder keinen unnötigen Rechtsföderalismus im Religionsunterricht wollen. Ich finde es nicht überraschend, dass jetzt in mehreren Ländern – Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen – Zug in die Sache gekommen ist.

Innenminister Schäuble will die volle Gleichberechtigung des Islams in Deutschland. Was halten Sie davon?

Ich teile seine Ansicht. Die Gleichberechtigung der Religionen ist schließlich ein Postulat unserer Verfassung. Was aber einschließt, dass Nichtgleiches auch nicht gleich zu behandeln ist. Der Islam muss sich nicht verkirchlichen, aber die Verbände müssen zum Beispiel auskunftsfähig werden, wer bei ihnen Mitglied ist.

Das heißt, die Moscheegemeinden, die in einem Verband organisiert sind, müssten nachvollziehbar nachweisen, wer bei ihnen eingetragenes Mitglied ist?

Ja. Ein weiteres Kriterium für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft ist Rechtstreue. Wenn eine Ideologie verfolgt wird, die im Namen der Religion ein Gegenmodell zum säkularen Staat propagiert, dann kann keine Anerkennung erfolgen. Und natürlich dürfte eine Religionsgemeinschaft in Deutschland nicht Interessenvertretung einer ausländischen Macht sein.

Sie meinen die türkische Ditib?

Ich meine jeden Verband, der sich nicht hier in Deutschland maßgeblich selbst verwaltet.

Wie soll es aus Ihrer Sicht weitergehen mit der juristischen Integration des Islam?

Da gab es in der Islamkonferenz keinen Konsens. Die muslimischen Verbände dringen auf eine schnelle Gesamtlösung, die Länder zögern. Ich finde, man sollte Interimslösungen schaffen, die gleichzeitig eine realistische Perspektive für etwas Dauerhaftes entwickeln. Die Politik dürfte zu einem ganz großen Schritt noch nicht bereit sein, aber auch die islamische Selbstorganisation ist noch sehr im Fluss. Bayern könnte zum Beispiel Schule machen: Man versucht, von Modellversuchen zum Islamunterricht aus in die Fläche zu gehen, vorerst unter intensiver Mitwirkung des Staates, aber auch der Muslime. Dazu muss nicht völlig durchbuchstabiert sein, wer was darf.

Also die Methode: Mal gucken, was sich bewährt, oder schöner: Best practice?

Ja. Und das funktioniert schon. Bei einer regelmäßigen Kooperationstagung des Interdisziplinären Zentrums für islamische Religionslehre an der Uni Erlangen-Nürnberg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart treffen sich Praktiker seit geraumer Zeit zum Austausch.

Was ist mit dem Körperschaftsstatus, der den Kirchen erhebliche Rechte einräumt, etwa in Rundfunkräten, bei der Besteuerung? Juristenkollegen von Ihnen denken bereits über die Abschaffung dieser Rechtsform nach, weil sie für die Kirchen gemacht wurde und deswegen andere Religionen von vornherein diskriminiere.

Nicht zwingend. Auch der Zentralrat der Juden hat den Körperschaftsstatus. Es lohnt sich aber, immer einmal wieder zu prüfen, ob das Verhältnis von Kirche und Staat noch stimmt. Ich bin selbst engagierter evangelischer Christ und finde: Auch den Kirchen tut es gut, wenn wir Anfragen zu unserer öffentlichen Rolle bekommen. Man kann in einer ehrlichen Debatte dann auch zum Schluss kommen, dass man mit dem Status quo ganz gut fährt. Frankreich zum Beispiel mit seiner harten laicité denkt gerade um. Bis in den Obersten Gerichtshof hinein ist jetzt von einer laicité positive die Rede, die die Religionen bejaht. Letzten Endes ist die Debatte um den Islam auch eine Debatte um die Rolle der Religion im Staat.

Sind da die Antworten, die die Kopftuchgesetze der Bundesländer gegeben haben, aus Ihrer Sicht befriedigend?

Ich halte die Länder für weise, die keine erlassen haben, sondern erst einmal beobachten wollten. Anderswo wurde Symbolgesetzgebung gemacht; man meinte, man müsse endlich einmal das christlich-säkulare Abendland verteidigen. Leider hat man sich dafür einen sehr unglücklichen Gegenstand ausgesucht.

Was ist Ihre Prognose? 

Die Gesetze zurückzunehmen, wäre politisch nicht durchsetzbar. Aber man wird sie interpretieren müssen: Muss auch eine muslimische Religionslehrerin das Kopftuch im Unterricht ablegen? Ich halte es auch für denkbar, dass Karlsruhe noch einmal sprechen wird. Dass sämtliche religiösen Symbole überall in Deutschland aus den Schulen verbannt sind, wie von den Verfassungsrichtern verlangt, ist wohl so nicht Wirklichkeit. Übrigens haben die Richter auch den Weg geebnet, dass einmal über die tatsächliche Bedeutung des Kopftuchs debattiert werde. Das ist aber nicht geschehen, die Kopftuchgesetze lagen schon in den Schubladen.

Ist die Chance ganz vertan?

In letzter Zeit scheint es ein Umdenken in einem breiten politischen Spektrum zu geben.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

Mathias Rohe (50) ist Islamwissenschaftler, Jura-Professor an der Universität Erlangen- Nürnberg und Experte für islamisches Recht. Er war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.

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