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Politik: Stadt, Land – bald im Fluss?

Mit der Finanzreform könnte 2006 auch die Länderneugliederung zum Thema werden. Doch große Lösungen sind unwahrscheinlich

Das Thema kocht gerne hoch in nachrichtenarmen Zeiten: die Länderneugliederung. Unlängst machte der SPD-Chef in Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn, mit seiner Forderung der mitteldeutschen Fusion – Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt – von sich reden, jetzt pflichtete ihm der SPD-Chef in Niedersachsen, Wolfgang Jüttner, bei. Er rechnet auf mittlere Sicht auch mit der Bildung eines großen Nordstaats. Postwendend sagt der Kieler Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU), so eilig habe man es damit aber nicht. Zur Debatte tragen regelmäßig auch die Stadtstaatmusikanten bei: Erst forderte Thilo Sarrazin, Berlins Finanzsenator, das Ende des Bremer Eigenlebens, weil dort Misswirtschaft herrsche. Worauf Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen zurückkeilte, dass gerade Berlin wie kein anderes Land am Tropf der Solidargemeinschaft hänge. Meist meldet sich in diesem Dauerstreit dann noch der jeweilige Regierungschef von Baden-Württemberg zu Wort mit dem Hinweis, im Südwesten sei die Neugliederung vollauf gelungen, warum solle es also nicht anderswo klappen. Die FDP ist ohnehin dafür und hat vorgeschlagen, durch eine Verfassungsänderung die Neugliederung zu erleichtern. Die Regelung im Grundgesetz ist schon vor Jahrzehnten von dem Tübinger Politikwissenschaftler Theoder Eschenburg als „Länder-Neugliederungs-Verhinderungs-Artikel“ bezeichnet worden.

Doch 2006 könnte das Jahr werden, in dem aus der folgenlose Debatte politischer Ernst wird. Sollten die Gespräche über die Bund-Länder-Finanzreform über ein Klein-Klein hinauskommen und vor allem beim Thema Verschuldung Entscheidungen fallen, wird der Druck auf die Fusionskandidaten wachsen, die Neugliederung anzugehen. Denn ein Kernproblem der hohen Staatsverschuldung ist, dass die Länder sich relativ sorglos verschulden können, weil im Notfall der Bund einspringen muss. Zwar ist der Bund selbst der größte Schuldenmacher, aber auch die Länder tragen dazu bei, dass das Euro-Stabilitätskriterium einer Nettoneuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts seit Jahren nicht erreicht wird. Würde die Bundesgarantie aber eingeschränkt, müssten einige Länder mit gewaltigen Haushaltsproblemen rechnen. Das dürfte die Neigung zu Fusionen stärken. Auch die größeren Handlungsmöglichkeiten der Länder durch die Föderalismusreform könnte schwächeren Regionen bald deutlich machen, dass ein Zusammengehen mit stärkeren gut sein kann. Eine Verbindung Berlins, Hamburgs und Bremens mit den umliegenden Flächenstaaten – da sind sich die meisten Fachleute sicher – würde den Gesamtregionen wirtschaftlich nutzen.

Große Lösungen wie die Fusion der drei Südwest-Länder zu Baden-Württemberg 1952 gelten als unwahrscheinlich. Unter Wissenschaftlern wie Politikern gilt daher nur als möglich, dass Bremen Teil von Niedersachsen wird, Hamburg mit Schleswig-Holstein (und vielleicht Mecklenburg-Vorpommern) einen Nordstaat bildet und ein Land aus Berlin und Brandenburg entsteht (auch hier eventuell mit „Meckpomm“). Der Mainzer Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) ist offen für eine Fusion von Rheinland-Pfalz und Saarland, aber die Saarländer wehren sich tapfer. Theoretisch könnte eine solch umfassende Neugliederung vom Bundestag auf den Weg gebracht werden. In den betroffenen Ländern müssen allerdings Volksabstimmungen stattfinden.

Doch ob über die Reform der Finanzverfassung auch wirklich ein Ruck zur Neugliederung entsteht, ist nicht sicher. Denn die finanzschwachen Länder leben gut mit dem Status quo und können über den Bundesrat die Reform verhindern. „Die Zahl der armen Länder ist schon immer höher gewesen als die der reichen“, lautet die Erfahrung von Altbundespräsident Roman Herzog. „Das kann eigentlich nicht wahr sein. Die Linie ist falsch gezogen.“

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