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Ein Schild auf einer Pro-BDS-Demo 2018 in New York.

© imago/Pacific Press Agency

Stadthallen-Verbot für Anti-Israel-Bewegung: Warum die BDS-Kampagne diskussionswürdig bleiben muss

Münchens Oberbürgermeister hat „kein Verständnis“, weshalb sein Verbot vor Gericht gekippt wurde. Sollte er aber, denn es geht um Meinungsfreiheit. Ein Kommentar

Alles, was auf deutschem Boden wirksam gegen Antisemitismus unternommen werden kann, ist richtig. Es ist uneingeschränkt zu begrüßen, wie gerade Politikerinnen und Politiker sich diesen Auftrag zu Herzen nehmen. Nur entbindet es nicht von zwei Überlegungen. Die erste: Ist das, was ich bekämpfe, Antisemitismus? Die zweite: Handele ich im Rahmen des Rechts?

Womit die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung in den Blick gerät, kurz BDS. Die Anhänger der transnationalen Kampagne schlagen seit Jahren eine politische Schlacht gegen den Staat Israel, der aus ihrer Sicht mit seiner Siedlungspolitik Völker- und Menschenrechte verletzt. BDS ruft zum Boykott von allem auf, was aus Israel stammt: Waren, Sport, Kunst, Kultur. Durchaus mit ökonomischen Folgen. Deutsche Verfassungsschützer sehen extremistische Bestrebungen und werfen der Kampagne Antisemitismus vor. Jüdinnen und Juden in Deutschland weisen immer wieder auf die Methode des politischen Protests, die sie an die Nazi-Boykottaufrufe „Kauft nicht bei Juden“ erinnere.

Noch fällt es in den Schutzbereich eines Grundrechts, sich extremistisch zu äußern

Vorausgesetzt, dies alles rechtfertigt es, die Bewegung als antisemitisch einzuordnen – was folgt daraus? Es fällt bisher noch in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, sich extremistisch, antisemitisch oder rassistisch zu äußern. Das heißt nicht, dass es erlaubt wäre. Doch wenn keine Strafgesetze verletzt, keine Drohungen ausgestoßen, keine den öffentlichen Frieden gefährdende Hetze verbreitet wird, ist es schwer, jegliche Meinungsäußerung aus diesem Spektrum zu unterbinden.

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Das neue Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema BDS ist deshalb keine Überraschung. Die Stadt München hatte im Jahr 2017 per Stadtratsbeschluss die Nutzung öffentlicher Hallen für BDS-Veranstaltungen ausgeschlossen. Schon die bloße inhaltliche Befassung mit BDS war untersagt, um jegliche Umgehung des Thementabus unmöglich zu machen. Ein Münchner Bürger wollte nun genau jenen Stadtratsbeschluss und seine Bedeutung für die Meinungsfreiheit in einem Saal der Stadt in einer Podiumsdiskussion kritisch erörtern lassen. Es wurde ihm verweigert, also klagte er.

Solche Töne aus der Exekutive entwerten die Demokratie

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Ratsbeschluss für rechtswidrig erklärt (Az.: 8 C 35.20). Er verletzt den Kläger in seiner Meinungsfreiheit. Schon die Vorinstanz, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, hatte festgestellt, dass von der geplanten Diskussion keine Gefahren für den öffentlichen Frieden ausgehen. Im Prozess vor dem Bundesgericht in Leipzig verteidigten sich die Vertreter der Stadt damit, sie hätten eben schon vorbeugend tätig werden wollen. Aber welchen Risiken ist vorzubeugen, wenn ein Stadtratsbeschluss in einer Stadthalle erörtert wird, die zudem nicht zuletzt dem Zweck gewidmet ist, kommunalpolitische Angelegenheiten zu diskutieren?

Es fällt auf, wie Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) es unterlässt, in seiner öffentlichen Reaktion auf das Urteil diesen Rechtsrahmen anzuerkennen. Stattdessen redet er davon, wie ihm dadurch „die Hände gebunden“ würden, wie er „kein Verständnis“ dafür habe, dass der Schutz von Minderheiten hier nicht stärker berücksichtigt worden sei. Solche Töne gibt es an den Spitzen der Exekutive immer häufiger zu hören, wenn ihnen die Justiz ein Stoppschild setzt. Sie entwerten die gewaltengeteilte Demokratie. Auch dieses Diskussionsthema hätte eine Stadthalle verdient.

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