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Stanley McChrystal: Der Präsident entlässt seinen General

Alle Welt kann es nachlesen: Wie abschätzig McChrystal über Obama denkt. Das Drama provozierte einen Showdown zwischen zwei Männern, die durch das Interesse an einem Kriegserfolg lange aneinandergekettet waren. Der General verlor.

Das Rücktrittsgesuch hatte General Stanley McChrystal in der Tasche, als er am Mittwoch das Weiße Haus betrat. 48 Stunden zuvor hatte er noch nicht einmal vorgehabt, nach Washington zu fliegen. Zu der für 11 Uhr 35 angesetzten Lagebesprechung zu Afghanistan und Pakistan sollte der Nato-Oberbefehlshaber aus Kabul ursprünglich per verschlüsselter Videokonferenztechnik aus Kabul zugeschaltet werden.

Die Entscheidungen über seine Zukunft lagen da schon längst nicht mehr in seiner Hand – nicht nur die über die Terminpläne der nächsten Tage, sondern über seine Karriere, sein weiteres Leben. Die hatte er aus der Hand gegeben, als er sich Monate zuvor entschied, einem Journalisten des Musikfachblatts „Rolling Stone“ mehrfach Zugang zum engsten Mitarbeiterkreis zu geben und selbst freimütig Auskunft zu darüber erteilen, wie ein Militär denkt, der einen verfahrenen Krieg wenden soll.

Das Ergebnis war eine Story über den Frust von Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben riskieren, über Besserwisser im sicheren Washington, viele tausend Kilometer entfernt, über politische Grabenkämpfe, monatelange Lageanalysen und Strategiedebatten, während am Hindukusch die Zahl der Bombenanschläge und der Gefallenen wöchentlich steigt. Es war auch eine Story voller verbaler Breitseiten gegen das politische Team des Präsidenten – und eine mit Folgen: Der General wurde entlassen.

Am Mittwochnachmittag trat Barack Obama imRosengarten des Weißen Hauses ans Mikrofon und bedauerte, dass der Schritt nötig geworden sei. Er habe großen Respekt vor McChrystals militärischen Leistungen. Doch mit den abfälligen Bemerkungen über die politischen Vorgesetzten habe der General die Standards für militärische Führer verletzt und das Vertrauen gebrochen. Neben Obama stand bereits der Nachfolger: General David Petraeus. Als Oberbefehlshaber des Central Command war er McChrystals Vorgesetzter und ist mit der Afghanistan-Strategie vertraut.

Währenddessen rätselte Amerika noch immer, was McChrystal bewogen hatte, seine Mitarbeiter in Anwesenheit eines Journalisten so ungeschützt die höchsten Kreise der Politik attackieren zu lassen. Gewiss, Soldaten gebrauchen eine andere Sprache: voller Kraftausdrücke und böser Urteile über die Welt der Zivilisten. Laut „Rolling Stone“ nennen McChrystal-Vertraute den Sicherheitsberater des Präsidenten einen „Clown“. Der Name des Vizepräsidenten hält für ein derbes Wortspiel her. „Biden? Sie meinen Bite-Me?“ („Leck mich?“).

Lästereien über Vorgesetzte gibt es vielleicht in vielen Büros der Welt. Sie bleiben folgenlos, solange sie nicht amtlich werden. Weil nun jedoch die ganze Welt lesen konnte, wie die Umgebung des Oberbefehlshabers in Afghanistan über den Präsidenten der USA, ihren „Commander in Chief“, und dessen Führungsmannschaft denkt, wurde daraus ein Drama von enormer Tragweite. Angesichts der Meinungsverschiedenheiten über die richtige Strategie und persönlichen Animositäten, die da zu Tage traten, stand plötzlich das Schicksal dieses Kriegs in Frage. Und damit zugleich die Wiederwahl des Präsidenten. Er hat Afghanistan zu einem Schlüsselthema seiner Präsidentschaft gemacht.

Barack Obama hatte den Artikel bereits am späten Montagabend von seinem Pressesprecher Robert Gibbs erhalten. „Wütend“ sei der Präsident gewesen über das, was er da lesen musste, sagte Gibbs am Dienstag beim Pressebriefing.

Das Weiße Haus hatte bis dahin gerne verbreitet, Obama habe diesen McChrystal im Frühjahr 2009 höchstpersönlich ausgesucht für den Oberbefehl in Afghanistan. Seinem Vorgänger George W. Bush warf er vor, der habe den richtigen und unvermeidbaren Krieg am Hindukusch vernachlässigt, weil er die Truppen für den falschen Krieg im Irak benötigte. Obama versprach eine Korrektur. McChrystal war sein Mann für den Job.

Doch nun musste Obama lesen, bei seinem ersten Treffen mit führenden Militärs im Pentagon im Februar 2009, habe er auf McChrystal „unbehaglich und eingeschüchtert“ durch die vielen Uniformträger gewirkt. Ihr persönliches Gespräch zur künftigen Afghanistanstrategie im Oval Office wenig später fand der General „enttäuschend“.

Obama habe wenig über ihn gewusst – ein Widerspruch zur These, er habe McChrystal persönlich ausgesucht. Im Sommer und Herbst ließ Obama die Strategie nochmals drei Monate überprüfen. „Schmerzhaft lang“ moniert McChrystal. Am Ende entschied er sich für die vom General geforderte Truppenverstärkung – von anfänglich 32 000 auf demnächst 100 000 US-Soldaten – und gegen die von Vizepräsident Biden favorisierte Variante; der wollte die Afghanen durch politische Partnerschaft und zivile Aufbauhilfe gewinnen und die militärische Rolle auf die reine Terroristenjagd beschränken, wofür viel weniger Truppen erforderlich wären.

Und nun das: Beleidigungen und Attacken des Generals gegen Biden, gegen den US-Botschafter in Kabul, Karl Eickenberry, gegen den Sondervermittler des Präsidenten für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke. Und gegen Nato-Verbündete zu einem Zeitpunkt, da der Krieg überall unpopulär geworden ist. Kanada und die Niederlande haben bereits den Abzug angekündigt. Wird daraus eine Massenflucht der Alliierten? Über ein Dinner mit einem französischen Minister, zu dem McChrystal gehen sollte, um Frankreich bei Laune zu halten, liest Obama: „Ich würde mir lieber von einem Raum voll Leuten in den Arsch treten lassen, als zu dem Essen zu gehen. Nur leider darf das keiner der Anwesenden tun.“ Am Dienstagmorgen sind die markigsten Zitate längst im Umlauf. Dabei erscheint das Musik-Magazin „Rolling Stone“ offiziell erst kommenden Freitag an den Kiosken. Auch das gehört zu den neuen Arbeitsbedingungen in der Internetgesellschaft: Politiker und Kommentatoren sollen Äußerungen bewerten, deren Kontext sie oft nicht kennen. Der Artikel liest sich wie ein Sittengemälde aus der Soldatenwelt im Kriegseinsatz; in dieser Atmosphäre klingen die Zitate ruppig, aber nicht unbedingt skandalös. Doch in Washington schlagen die losgelösten Äußerungen wie eine Bombe ein. Sie erzwingen den Showdown zwischen zwei Männern, die durch das existenzielle Interesse am gemeinsamen Erfolg in Afghanistan aneinander gekettet – aber sehr unterschiedlich geprägt sind.

Obama hat nie gedient. Das Militär war ihm fremd, als er ins Präsidentenamt kam und oberster Befehlshaber wurde. Die Mutter war Entwicklungshelferin in Indonesien. Den 55-jährigen Soldatensohn McChrystal hätte man früher einen Haudegen genannt. Ein Soldat, der rücksichtslos mit sich umgeht und deshalb den Respekt Untergebener genießt. Er komme mit vier Stunden Schlaf aus, jogge jeden Morgen mehr als zehn Kilometer, schreibt der „Rolling Stone“, sei ein harter Knochen, der für seinen engsten Mitarbeiterstab „Killer, Spione, Patrioten und Besessene“ auswähle. Als Kommandeur für Spezialeinsätze im Irak hat er den dortigen Al-Qaida-Chef Abu Musab Al-Zarkawi zur Strecke gebracht. Man sagt ihm nach, dass er keine Angst habe, seine Meinung zu sagen. So etwas gefällt Obama. Er will sich nicht mit Ja-Sagern umgeben. Eher treibt ihn die Sorge, dass er im Weißen Haus abgeschottet werden könne von den schlechten Nachrichten – ob auf dem Arbeitsmarkt in den USA oder in den Kampfzonen Afghanistans.

Der Eklat um McChrystal konnte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Militärisch läuft es nicht gut in Afghanistan. Laut Plan hätte die Großoffensive im Raum Kandahar längst beginnen sollen. Doch der Probelauf in Marjah im Frühjahr war nicht so erfolgreich wie erhofft. Ausgerechnet jetzt den Oberbefehlshaber austauschen? Würde das nicht bedeuten, den Erfolg der Afghanistanstrategie aufs Spiel zu setzen? Das waren die Überlegungen, die durchs Land geisterten, bis zur Entscheidung, die am Ende eines halbstündigen Gesprächs zwischen Obama und McChrystal stand.

McChrystal ist erkennbar kein Medienprofi wie Obama. Es ist nicht das erste Mal, dass er dem Präsidenten Obama mit öffentlichen Stellungnahmen in die Parade fährt. Als der sich im Herbst bemühte, den neuen Kurs in Afghanistan auf gesichtswahrende Weise für alle Beteiligten zur neuen Strategie zu erklären, preschte McChrystal mit einem Memorandum vor, das in fordernder Sprache eine schnelle Verstärkung verlangte. Auch damals bestellte Obama ihn zum persönlichen Gespräch – in sein Dienstflugzeug „Airforce One“ während seiner Europareise.

Am Dienstag erweckte Obama zunächst den Anschein, als suche er nach einem Weg, den Eklat zu bereinigen, ohne McChrystal zu feuern. Zunächst musste der General sich entschuldigen für „meinen Fehler und mein schlechtes Urteilsvermögen“. Diese Einsicht zitierten später zuerst Verteidigungsminister Gates und nachmittags auch der Präsident. Er gebe McChrystal die Chance zu einem persönlichen Gespräche, ehe er sich entscheide. Es änderte nichts mehr. Eine Unbotmäßigkeit lässt Obama durchgehen. Eine zweite nicht. Diese Regel hat sich bereits mehrfach in seiner Amtszeit bestätigt.

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