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Politik: Stasi-Akten: Vorläufig im Namen des Volkes

Lange Briefe sind eigentlich was Schönes. Doch Marianne Birthler dürfte sich nicht über den dicken Umschlag gefreut haben, der am Montag auf ihrem Schreibtisch landete.

Lange Briefe sind eigentlich was Schönes. Doch Marianne Birthler dürfte sich nicht über den dicken Umschlag gefreut haben, der am Montag auf ihrem Schreibtisch landete. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte geschrieben. Jenes Gericht, vor dem die Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen vor vier Wochen eine schwere Niederlage hinnehmen musste: das Urteil in Sachen Helmut Kohl. Und das lautete: die Stasi-Akte des Altkanzlers bleibt geschlossen. Und das bedeutete: Birthlers bisherige Herausgabe von Stasi-Unterlagen Prominenter ist rechtswidrig. Am Montag schickte das Gericht die schriftliche Begründung hinterher. Nun hat Birthler ihre Niederlage schwarz auf weiß.

Auf 45 Seiten erklärt Volker Markworth, Vorsitzender Richter der ersten Kammer, warum die Kohl-Akte nicht an Historiker und Journalisten weitergegeben werden darf. "Die Herausgabe derartiger Unterlagen ohne Einwilligung des Klägers würde ihn in seinen Rechten verletzen", steht da. Gemeint sind Kohls Persönlichkeitsrechte als Abhöropfer des DDR-Geheimdienstes. Sie wiegen nach Meinung des Gerichts schwerer als das öffentliche Interesse an der Stasi-Aufarbeitung. Eine Abwägungsfrage, vor der schon der Gesetzgeber stand, als er vor zehn Jahren das Stasi-Unterlagen-Gesetz formulierte. Darin ist die Offenlegung von Stasi-Akten Prominenter geregelt, "soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind". Da Kohl ein Betroffener, also ein Stasi-Opfer, oder zumindest ein Dritter, über den gezielt Informationen gesammelt wurden, sei, müsse seine Akte geschlossen bleiben. Soweit die Argumentation der Verwaltungsrichter.

In Birthlers Behörde sieht man die Sache freilich anders. "Das Urteil engt die Aufarbeitung stark ein, deshalb werden wir auf alle Fälle Rechtsmittel dagegen einlegen", kündigt Behördensprecher Christian Booß an. Birthler hat nun einen Monat Zeit, gegen den Richterspruch vorzugehen - und zwei Möglichkeiten. Entweder sie legt Berufung ein, dann wird der Fall vom Oberverwaltungsgericht behandelt. Um Zeit zu sparen, kann sie diese Instanz überspringen und gleich zum Bundesverwaltungsgericht gehen. Voraussetzung für diese Sprungrevision wäre allerdings die Zustimmung von Helmut Kohl. "Wir haben mit Herrn Kohl noch nicht darüber gesprochen", sagt sein Anwalt Thomas Hermes.

Gegner und Befürworter des Urteils würden eine schnelle Klärung der Grundsatzfrage begrüßen. Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), Birthlers politischer Gegenspieler, befürwortet diesen Weg. Nach Meinung von Rechtsexperten würde aber auch dieses Verfahren mindestens ein Jahr dauern. Und sollte Birthler dann Recht bekommen, stünde Kohl der Gang zum Bundesverfassungsgericht offen. Da bleibt noch viel Zeit, lange Schriftsätze auszutauschen.

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