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Politik: Stasi aus dem Sack

Per Hand dauert es etwa 400 Jahre – doch jetzt könnten Computer Mielkes zerrissene Akten in fünf Jahren zusammenfügen

Von Matthias Schlegel

Es ist ein Riesen-Puzzle mit brisantem Inhalt: Das Ministerium für Staatssicherheit hat nicht nur 180 Kilometer Akten, sondern auch rund 16 000 Säcke mit Schnipseln von Unterlagen des Repressionsapparates hinterlassen. Als in den letzten Tagen der Stasi die Reißwölfe heiß gelaufen waren, hatten die Mitarbeiter die Dokumente mit der Hand zerrissen. Für die endgültige Vernichtung reichte die Zeit nicht mehr. Nun könnte auch dieses Stasi-Erbe schneller zugänglich gemacht werden. Eine Software, mit der im Scanverfahren die Einzelteile am Computer sortiert, aufbereitet und zusammengesetzt werden, haben Wissenschaftler des Berliner Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) gemeinsam mit dem Unternehmen Lufthansa Systems entwickelt.

Seit 1995 versuchen im bayerischen Zirndorf knapp 15 Männer und Frauen in mühevoller Kleinarbeit, die Schnipsel mit der Hand zusammenzufügen. Den Inhalt von 250 Säcken, rund 500 000 Seiten, haben sie bisher rekonstruieren können. Nach dieser Methode würde es rund 400 Jahre dauern, bis auch das letzte Blatt seine Geheimnisse preisgibt. Mit der computergestützten Rekonstruktion nach dem gestern in Berlin vorgestellten Verfahren würde das bereits in fünf Jahren zu schaffen sein.

Mit der generalstabsmäßig organisierten Aktenvernichtung sollten kurz vor dem Ende des Stasi-Apparates die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) geschützt, die internen Repressionen gegen Regimegegner verheimlicht und die Arbeit im „ Operationsgebiet“, also auf dem Territorium der Bundesrepublik, verschleiert werden. Das spricht nach den Worten von Günter Bormann, Referatsleiter bei der Stasi-Unterlagenbehörde, „eine klare Sprache, was von der Erschließung dieser Unterlagen zu erwarten ist“.

Es ist selbst für die Computer eine Sisyphusarbeit, bei der enorme Datenmengen bewältigt werden müssen. Die Schnipsel werden in Folie eingeschweißt und beidseitig in Farbe gescannt. Alle relevanten Daten wie Papierstruktur und -färbung, Schriftart, Form und Linierung werden registriert. Durch Vergleich der Merkmale kann der Computer dann die Schriftstücke zusammenfügen.

IPK und Lufthansa Systems hatten mit ihrem Angebot eine entsprechende Ausschreibung der Stasi-Unterlagenbehörde gewonnen. Nun geht es darum, im Bundeshaushalt das Geld für die Realisierung lockerzumachen. Mit der vorgelegten Machbarkeitsstudie müssen sich jetzt Innenminister und Bundestags-Innenausschuss befassen. Die Kosten sollen sich jährlich auf eine „einstellige Millionensumme“ belaufen, so Christian Booß, Sprecher der Stasi-Unterlagenbehörde.

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