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Gysi

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Stasivorwürfe: Herrschende Meinung

Gregor Gysi war Stasi-IM, sagen die Parlamentarier – die Söhne von DDR-Dissidenten loben seine Hilfe.

Er kam, sah, sprach und ging. Gregor Gysi hatte einen kurzen Auftritt am Mittwoch im Bundestag. Anberaumt war eine Aktuelle Stunde zu den jüngsten Stasi-Vorwürfen gegen ihn. Denn es gibt neue Dokumente aus Marianne Birthlers Unterlagenbehörde, die Gysi dem Verdacht aussetzen, er habe den verstorbenen DDR-Regimekritiker Robert Havemann als Anwalt an die Stasi verraten.

Gysi nennt den Termin „ein trauriges Schauspiel“. „Vom Leben in der DDR haben Sie keine Ahnung“, sagt er. „Sie werden keinen Abgeordneten finden, der sich so für Robert Havemann eingesetzt hat wie ich“. Gysi wirkt betroffen, er redet leise und temperamentlos. Der begabte Rhetoriker liest vom Blatt. Bezichtigt Birthler „im Zusammenspiel mit den anderen Parteien“ der Verschwörung. Seine Rolle zwischen Staatsmacht und Dissidenten sieht er so: „Ich war schon damals so souverän wie heute“. Es soll trotzig klingen, aber es wirkt hilflos und geht unter in empörten Zwischenrufen.

Den Gestus des Betroffenen, Leidenden nimmt ihm niemand ab. Vor und nach seiner Rede gibt es Saures für Gysi, der mit Oskar Lafontaine erst erschienen war, nachdem ihm die ersten Redner vorgeworfen hatten, er wolle kneifen. Stephan Hilsberg von der SPD nennt es „unerträglich, wie Gysi betrügt und täuscht.“ Wen Gysi alles für die Stasi bespitzelt habe, lese sich wie ein Who is Who der DDR-Opposition. „Gysi verhöhnt die Opfer“, sagt Stephan Mayer von der CSU. Der CDU-Abgeordnete Thomas Strobl ergänzt: „Wer solche Sauereien begangen hat, ist als Volksvertreter diskreditiert.“ Von Schande ist die Rede, vom „liederlichsten“ und „eklatanten Parteiverrat“ des früheren Dissidentenanwalts.

Die neuen Aktenfunde belegen für die Abgeordneten vor allem eines: Gysi hat wissentlich und willentlich mit der Stasi paktiert. So, wie es auch der Immunitätsausschuss des Bundestags vor Jahren festgestellt hat. So, wie es Marianne Birthler derzeit in allen Medien erklärt. Gysi bestreitet das, prozessiert und gewinnt öfter – nur zuletzt drohte womöglich eine folgenschwere Niederlage. Gysi hatte seine Berufung gegen ein Urteil der Berliner Verwaltungsgerichts zu den Havemann-Akten zurückgenommen, nachdem ein Zeuge aufgetaucht war, der sich an eine Autofahrt mit Gysi erinnern konnte. Über diese Autofahrt heißt es in den jetzt bekannt gewordenen Dokumenten, „der IM“, der inoffizielle Mitarbeiter also, habe den Zeugen mitgenommen. Ist er damit überführt? Das Berliner Urteil ist rechtskräftig; es legt nahe, dass Gysi über Havemann an die Stasi berichtet hat, aber trifft keine klare Aussage dazu. Indem er die Berufung zurückzog, könnte er schärfere Worte gegen sich vermieden haben. „Es ist völlig durchsichtig, wie Sie sich verhalten“, sagt der Grünen-Abgeordnete und Anwaltskollege Wolfgang Wieland an die Adresse Gysis.

Gysi klagt weiter; jetzt gegen das ZDF, das Marianne Birthler befragt hat. Jeder neue Prozess birgt für ihn die Gefahr, mit dem Verdikt „IM“ belastet zu werden. Weil es von ihm selbst keine unterschriebenen Erklärungen oder dergleichen gibt, konnte er das bislang verhindern. Wehrt er sich nicht, könnte dies als Geständnis gedeutet werden.

Die Aktuelle Stunde bleibt fast im Limit. „Nicht der IM-Titel ist wichtig, sondern die Frage, wie eng Gysis Verhältnis zu Stasi war“, sagt Stephan Hilsberg. „Ein Anwalt muss auch mit dem Teufel reden – aber im Interesse des Mandanten, nicht im Auftrag des Teufels“, meint Wolfgang Wieland. Und noch jemand meldet sich am Mittwoch zu Wort. Florian, Robert Havemanns Sohn. Gysi hat „im Sinne unseres Vaters gehandelt“, sagt er der „Mitteldeutschen Zeitung“. Und der Sohn des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro, Andrej, den Gysi ebenfalls verteidigt hatte, nennt die Debatte eine der schlechtesten Stunden der Demokratie. „Das war eine Tribunalveranstaltung“. (mit dpa)

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