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Statistik: Mehr Todesopfer durch rechte Gewalt als bekannt

Landeskriminalämter von Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt melden vier Fälle nach – sie ereigneten sich bereits in den 90er Jahren.

Von Frank Jansen

Berlin - Die rechtsextremen Täter brachten ihre Opfer brutal um: massive Prügel, Messerstiche, Schüsse. Die vier Fälle aus den neunziger Jahren sind fast vergessen, zumal die Polizei trotz Hinweisen auf den politischen Hintergrund der Verbrechen kein rechtsextremes Motiv erkennen konnte. Doch jetzt gibt es eine späte Wende. Die Landeskriminalämter von Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt haben die vier Tötungsdelikte nun doch als „politisch rechts motivierte Gewalttaten“ eingestuft. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage hervor, die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und ihre Linksfraktion gestellt hatten.

Demnach sind von der Wiedervereinigung bis Ende 2008 insgesamt 46 Menschen bei 40 rechten Tötungsdelikten gestorben. In die neue Bilanz wurde zudem eine Tat vom August 2008 aufgenommen. In Magdeburg hatte ein Neonazi einen Studenten zu Tode getreten.

Im Januar 2009 hatte die Regierung noch, gestützt auf die Angaben der Länder, „nur“ 41 Opfer von 35 Tötungsdelikten gemeldet. Allerdings erscheint auch die neue Zahl viel zu niedrig. Im Jahr 2000 hatten Tagesspiegel und „Frankfurter Rundschau“ gemeinsam bereits 93 Todesopfer rechter Gewalt aufgelistet – einschließlich der vier Fälle, die erst jetzt von den Länderpolizeien als rechtsextrem definiert werden, obwohl das Bundeskriminalamt (BKA) schon nach dem Bericht der zwei Zeitungen die Länder zu bis dahin ungenannten Fällen befragt hatte.

Bei den Delikten aus den neunziger Jahren handelt es sich um drei Verbrechen, die in Nordrhein-Westfalen verübt wurden, und um eines in Sachsen-Anhalt. Im Detail: Im Juli 1993 verletzte ein Skinhead in Marl einen Obdachlosen so schwer, dass der Mann drei Monate später starb. Schon dieser Fall zeigt, dass die Behörden rechte Tötungsverbrechen manchmal widersprüchlich bewerten. Die Polizei meldete den Fall zunächst als rechtes Delikt, entsprechend nannte die Bundesregierung die Tat auch 1999 in einer Antwort auf eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke. Doch bei späteren Anfragen erwähnte die Regierung den Tod des Obdachlosen nicht mehr. Erst jetzt taucht der Fall wieder auf. Einen Grund nennt das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen nicht.

Fälle zwei und drei: Der Neonazi Thomas Lemke erstach im Februar 1996 in Bergisch-Gladbach eine Frau, weil sie einen Aufnäher „Nazis raus“ getragen hatte. Sechs Wochen später erschoss Lemke in Dorsten einen 26-Jährigen, der die rechte Szene verlassen hatte. Das Landgericht Essen verurteilte Lemke, der schon 1995 eine Frau getötet hatte, zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Morde in Bergisch-Gladbach und Dorsten seien nun dem BKA nachgemeldet worden, weil die Polizei des Landes aufgrund der Großen Anfrage der Linksfraktion „einen Abgleich zwischen eigenen Erkenntnissen und denen der Justiz“ gemacht habe, sagte der Sprecher des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen, Ludger Harmeier. Warum so spät, bleibt offen.

Im vierten Fall geht es um den gewaltsamen Tod des Punks Frank Böttcher, den Rechtsextremisten im Februar 1997 in Magdeburg überfallen hatten. Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt sagte, der Totschlag sei erst jetzt als rechte Tat gewertet worden, weil die polizeiliche Definition solcher Delikte im Jahr 2001 bundesweit erweitert wurde.

Die Polizei ermittelte zu den 40 Delikten 149 Täter oder Tatverdächtige. Nur ein Verbrechen wurde nicht aufgeklärt. Es handelt sich um einen Brandanschlag vom September 1991 auf eine Unterkunft von Flüchtlingen in Saarlouis (Saarland). Bei dem Angriff starb ein Ghanaer.

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