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Statistikstreit: Regierung zählt nur 40 Tote durch rechte Gewalt

Jeder einzelne Fall ist einer zu viel, doch wie viele Todesopfer politisch rechts motivierter Gewalt gibt es seit der Wiedervereinigung? Der Streit um die Statistik dauert an.

Von Frank Jansen

Berlin - Die Zahl ist schon schlimm genug, dennoch erscheint fraglich, ob sie der Realität entspricht: Von der Wiedervereinigung bis Ende 2007 haben die Polizeien der Länder dem Bundeskriminalamt „insgesamt 40 Todesopfer politisch rechts motivierter Gewalt gemeldet“, wie das Bundesinnenministerium in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und ihrer Linksfraktion berichtet. Das vom Parlamentarischen Staatssekretär Peter Altmaier unterzeichnete Schreiben liegt dem Tagesspiegel vor. Die Antwort weckt allerdings Zweifel. Das BKA hatte vor drei Jahren eine etwas höhere Zahl genannt. Damals waren es 41 Todesopfer rechter Gewalt. Außerdem ergaben schon 2003 gemeinsame Recherchen des Tagesspiegels und der „Frankfurter Rundschau“, dass seit Oktober 1990 rechts motivierte Täter mindestens 99 Menschen getötet haben.

Es gebe einen „eklatanten und zunehmenden Widerspruch“ zwischen den Zahlen, die Journalisten und Initiativen ermittelt haben, und den Zahlen des Bundesinnenministeriums, sagte Pau am Mittwoch. Außerdem sei „auf wundersame Weise“ aus der amtlichen Statistik ein Tötungsdelikt verschwunden, das 2005 noch registriert war. Dass die Bundesländer lediglich 40 Tote melden, sei „vollkommen unverständlich“, sagte Dominique John, Mitarbeiter des Potsdamer Vereins Opferperspektive und ehemaliger Koordinator der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in Berlin und den neuen Ländern. Die Zahl mache ihn „sprachlos“. Er schätze, dass seit Oktober 1990 „deutlich mehr als 120 Menschen“ bei Angriffen rechts motivierter Täter ums Leben gekommen sind. Und John ist sich mit Pau einig: Um die Realität zu dokumentieren, sei eine „unabhängige Beobachtungsstelle“ notwendig, die sich mit Rechtsextremismus bis hin zur einschlägigen Kriminalität befasst.

Welches Tötungsverbrechen aus der Statistik herausgefallen ist, war am Mittwoch offiziell nicht zu erfahren. Vermutlich handelt es sich um den Fall des im März 2005 in Dortmund von einem Skinhead erstochenen Punks. Das Landgericht hatte im November 2005 im Urteil gegen den Täter einen politischen Hintergrund des Angriffs verneint.

Die Linksfraktion hatte in ihrer Anfrage auch vier Tötungsverbrechen aus diesem Jahr erwähnt. Es ging um zwei Fälle in Sachsen-Anhalt und je eine Tat in Berlin und Brandenburg. Bei den Beschuldigten gibt es Indizien für eine rechtsextreme oder, im Berliner Fall, zumindest rassistische Gesinnung. Die vier Taten haben die Landeskriminalämter nicht als rechts motiviert gemeldet. Die strafrechtlichen Verfahren sind noch im Gange.

Das Bundesinnenministerium verweist bei Kritik an den gemeldeten Zahlen zu Todesopfern rechter Gewalt an die Länder. Dort liege die „Bewertungshoheit“, sagte Altmeier im September im Bundestag auf eine Frage von Pau.

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