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Harald Schumann

© Kitty Kleist-Heinrich

Steuern und Finanzen: Macht euch ehrlich

Würden die Regierenden ihre erklärten Ziele auch in der Steuerpolitik umsetzen, könnten die Bildungsausgaben erhöht und die Katastrophe für die öffentlichen Haushalte vermieden werden. Aber die Steuerlast wird steigen.

Die Kanzlerin war mal wieder empört. Als Karl-Gerhard Eick, der Kurzzeitchef des Pleitekonzerns Arcandor, kürzlich 15 Millionen Euro Salär für sechs Monate Arbeit kassierte, mochte Angela Merkel nicht schweigen. „Dafür habe ich absolut kein Verständnis“, rief sie einem Reporter des Bayerischen Rundfunks zu. Leider ist dort der kritische Umgang mit Politikern der Christenunion nicht üblich. Darum verpasste er eine spannende Frage: Warum, Frau Merkel, finden Sie es richtig, dass fünf der 15 Millionen Euro für Herrn Eick vom Steuerzahler bezahlt werden müssen? Denn genau das war es, was die Unionsfraktion mit Billigung der Kanzlerin nur drei Monate zuvor gegen ihre Koalitionspartner von der SPD durchgesetzt hatte. Die hatten vorgeschlagen, dass alle Vergütungen für Manager ab einer Million Euro im Jahr bei den Unternehmen nicht mehr als Kosten angerechnet werden sollten, die den steuerpflichtigen Gewinn mindern. Aber die Union lehnte ab. Wäre der Vorschlag Gesetz geworden, hätten die Eigentümer der Oppenheim-Bank, dem Hauptaktionär von Arcandor und Vertragspartner von Eick, die ganze Summe direkt von ihrem Gewinn zahlen müssen.

Gewiss, auch das würde überzogene Gehälter oder Abfindungen nicht zwingend verhindern. Doch wenn die Fantasiegehälter künftig direkt auf Kosten der Dividenden gingen, würden die Aktionäre auf geringere Vorstandsgehälter drängen, es ginge schließlich um ihr Geld. Wäre es der Kanzlerin also mit ihrer Forderung nach Maßhalten in den Vorständen wirklich ernst, hätte sie per Steuerrecht eine Menge dafür tun können. Und das gilt nicht nur für die Managergehälter. Würden die Regierenden Steuerehrlichkeit nicht nur von den Bürgern fordern, sondern auch auf die eigene Politik anwenden, die Konsequenzen wären gewaltig.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering etwa wettert seit Jahr und Tag gegen das Wirken der „Heuschrecken“, jener Finanzinvestoren, die Unternehmen auf Kredit kaufen und nach kurzfristiger Optimierung mit Gewinn weiterreichen. In der Regel kostet das viele Arbeitnehmer ihren Job. Dass dieses Geschäftsmodell in Deutschland überhaupt funktioniert, verdanken diese Investoren jedoch gerade der SPD. Deren Finanzminister waren es, die im Jahr 2000 den Gewinn aus dem Verkauf von Unternehmen steuerfrei stellten und sich später weigerten, diesen Irrtum zu korrigieren, obwohl die Union das in den Koalitionsverhandlungen angeboten hatte. Und wenn die Investoren die Gewinne der gekauften Unternehmen in Zinszahlungen an ausländische Kreditgeber verwandeln, indem sie die Kredite für den Kaufpreis ihren Opfern aufladen, sind auch diese Erlöse weitgehend steuerfrei. „Heuschrecken werden steuerlich angelockt“, urteilt daher Lorenz Jarass, Experte für Unternehmenssteuerrecht, und fordert die Streichung der Privilegien. Doch so ernst war die Heuschrecken-Kampagne wohl nie gemeint.

Das trifft auch auf eine weitere Parole zu, die bei der SPD hoch im Kurs steht: Die „Chancengerechtigkeit“. Nicht mehr bei den Einkommen, aber doch wenigstens bei den Chancen, durch eigene Leistung aufzusteigen, soll es fair zugehen. Erbschaften in Millionen- und Milliardenhöhe erzeugen naturgemäß das Gegenteil. Reiche Erben haben ohne eigene Leistung weit bessere Chancen als junge Leute ohne Erbschaft. Dringt die SPD also auf hohe Erbschaftsteuern, die das Privileg einschränken? Mitnichten, sie vollzog das Gegenteil. Auf Drängen der Unternehmerlobby sind die Erben von Betrieben seit vergangenem Jahr sogar von der Erbschaftsteuer befreit. Reichtum per Geburtsrecht ist nun wieder garantiert. Zur Begründung hieß es, die Erbschaftsteuer gefährde Arbeitsplätze.

Tatsächlich aber gibt es kein einziges Unternehmen, für das ein solcher Jobverlust nachgewiesen werden konnte. Würden die Erbschaftsteuern dagegen nur auf das Niveau unserer französischen Nachbarn angehoben, könnte der Fiskus ohne wirtschaftlichen Schaden sechs Milliarden Euro jährlich zusätzlich einnehmen. Was für die SPD die Chancen, das sind für die Union die Familien. Mit christdemokratischen Preisungen der Keimzellen der Gesellschaft ließen sich Bibliotheken füllen. Aber auch da gibt es hässliche steuerpolitische Widersprüche. An die 20 Milliarden Euro kostet den Fiskus etwa die Förderung der Ehe in Form des Ehegattensplittings. Das begünstigt verheiratete Paare mit einem Gutverdiener, gleich ob sie Kinder haben oder nicht. Unverheiratete und Alleinerziehende gehen leer aus. Würde die gleiche Summe dagegen in die Kinderbetreuung und Grundschulen investiert, könnte Deutschland auf einen Schlag das schlimmste Defizit seines Bildungswesens ausgleichen. Mütter könnten leichter wieder Arbeit finden, Kinder ohne häusliche Vorbildung gefördert und die Lage vieler überforderter Eltern verbessert werden. Doch die „Förderung der Ehe“ ist den Unionisten heilig. Das Splitting steht nicht zur Disposition.

Keine dieser politischen Steuersünden sind Thema dieses Wahlkampfs. Stattdessen trumpfen die beiden großen Kontrahenten mit einem absurden Versprechen auf: Sie sage „Nein“ zu Steuererhöhungen, erklärte die Kanzlerin. Er trete keineswegs als „Steuererhöhungskandidat“ an, versicherte auch SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier. Beides ist unhaltbar. Der Haushaltsentwurf für 2010 weist ein Defizit von 86 Milliarden Euro aus. Und dabei wird es gewiss nicht bleiben, weil die Zahl der Arbeitslosen und mit ihnen die Ausfälle bei den Steuerzahlungen und Sozialabgaben weit stärker wachsen werden als angenommen. Soll die Verschuldung nicht völlig aus dem Ruder laufen, dann werden auf Jahre hinaus mindestens 50 Milliarden Euro Mehreinnahmen gebraucht. Das ist so viel, wie alle deutschen Schulen im Jahr kosten – und doch leichter zu beschaffen als gedacht. Würde nur die Besteuerung von Vermögen auf das Niveau angehoben, das im Durchschnitt der OECD-Staaten üblich ist, würden dem Fiskus 25 Milliarden Euro mehr im Jahr zufließen.

Daneben gäbe es schließlich noch einen weiteren Schatz zu heben: An die 100 Milliarden Euro privater Gewinn- und Vermögenseinkommen, so ermittelte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, werden bisher in Deutschland steuerlich gar nicht erfasst. Ursache dafür ist die groteske Unterausstattung der Finanzämter. Selbst gemessen an den offiziellen Bedarfsrechnungen fehlen in Deutschland 3000 Betriebsprüfer, 2700 Beamte im Innendienst und 300 Steuerfahnder. Darum werden die meisten Betriebe nur alle 20 Jahre geprüft, viele Selbstständige nie. Dabei erzielt jeder Betriebsprüfer im Schnitt eine Million Euro zusätzlicher Einnahmen im Jahr. „Die Steuererklärungen werden nur noch im Schnellverfahren bearbeitet“, klagte der Präsident des Bundesrechnungshofes schon 2006. Darum sei der „gesetzmäßige Vollzug der Steuergesetze nicht gewährleistet“.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück inszeniert sich gern als wackerer Kämpfer gegen die Steuerflucht in die Schweiz. Doch mit der Stilllegung der Steueroase Deutschland wäre mindestens genauso viel zu gewinnen. Würden also sowohl die Regierenden als auch die Bürger steuerehrlich, die drohende Katastrophe für die öffentlichen Haushalte könnte noch abgewendet werden.

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