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Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen.

© imago/Jens Schicke

Steuerschätzung: Die zusätzlichen Steuermilliarden hat Olaf Scholz bereits verplant

Der Staat wird bis 2022 wohl gut 60 Milliarden Euro mehr einnehmen als bisher geschätzt. Das Plus für den Bund hat der Finanzminister aber schon weitgehend im Etat berücksichtigt.

Die schwarz-rote Koalition darf weiterhin mit deutlich wachsenden Steuereinnahmen rechnen. Angesichts der günstigen Wachstumsprognosen für dieses Jahr und auch 2019 wird der seit Montag in Mainz tagende Kreis der Steuerschätzer seine Prognose wohl abermals erhöhen und damit Bund, Ländern und Kommunen höhere Zuflüsse in Aussicht stellen. Glaubt man den vorab vom „Handelsblatt“ gemeldeten Zahlen, dann wird die frohe Botschaft an diesem Mittwoch lauten, dass der Staat bis 2022 mit immerhin bis zu 64 Milliarden mehr kalkulieren kann als noch in der Steuerschätzung im November angenommen wurde.

Vor einem halben Jahr ging die Expertenrunde – Beamte der Finanzministerien, ergänzt um einige Fachleute aus Verbände und Wirtschaftsinstituten – von einem Einnahmenwachstum von 764 Milliarden (2018) auf 890 Milliarden Euro im Jahr 2020 aus. Das ist ein Plus von etwa 16 Prozent. Nun sollen es noch mehr werden: Die Gesamteinnahmen liegen nach der neuen Schätzung bei knapp 771 Milliarden Euro in diesem Jahr und steigen auf gut 906 Milliarden Euro im Jahr 2022. Das Plus läge, sollte sich die Prognose bewahrheiten, dann bei etwa 18 Prozent.

Gestiegene Wachstumserwartungen verheißen Mehreinnahmen

Dass die Steuerschätzung binnen sechs Monaten eine deutliche Mehreinnahme verheißt, hängt mit den gestiegenen Wachstumserwartungen zusammen. Denn der Mai-Prognose liegt im Wesentlichen stets eine Zahl zugrunde: das von der Bundesregierung in ihrer Frühjahrsprojektion genannte Wachstum für das laufende Jahr. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte vor zwei Wochen für 2018 ein Wachstum von 2,3 Prozent angenommen (ein Zehntelpunkt weniger als die 2,4 Prozent, die noch im Januar von seinem Vorgänger Sigmar Gabriel von der SPD genannt worden waren).

Für 2019 ging Altmaier von einem Wachstum von 2,1 Prozent aus. Eine gute Basis also für wachsende Einnahmen. Auf der errechnen die Steuerschätzer sodann ihre Vorhersage für die kommenden fünf Jahre. Künftige steuerpolitische Änderungen sind nur erfasst, wenn sie bereits Gesetz sind. Keine Rolle spielen auch mögliche Wachstumsbremsen, die sich zum Beispiel ergeben können, sollte der amerikanische Präsident Donald Trump tatsächlich einen globalen Handelskrieg riskieren.

Verteilt auf fünf Jahre

Die Gesamtsumme von mehr als 60 Milliarden Mehreinnahmen klingt zwar zunächst üppig, verteilt sich allerdings auf fünf Jahre – und auf die drei staatlichen Ebenen. Legt man die Faustregel an, dass Bund und Länder jeweils etwa 40 Prozent vom Steuerkuchen bekommen und die Kommunen den Rest, würde das ein Plus von jeweils gut 25 Milliarden Euro beim Bund und den Ländern bedeuten und von knapp 13 Milliarden bei den Kommunen. Pro Jahr wären das im Schnitt für den Bundeshaushalt also etwa fünf Milliarden Euro – oder 1,6 Prozent des für 2018 eingestellten Etatvolumens. Und dieses Plus ist zum großen Teil längst verplant.

Denn seinem Etatentwurf für 2018 und der Finanzplanung bis 2022, welche am vorigen Mittwoch vom Kabinett beschlossen worden sind, hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) eben jene leicht bessere Prognose vom Januar zugrunde gelegt. Entsprechend lagen die Einnahmeerwartungen schon deutlich über den Prognosen der Steuerschätzer vom November. Die aktuelle Steuerschätzung dürfte Scholzens Plan daher bestätigen, möglicherweise sogar etwas dämpfen – denn die Rechnung der Experten geht ja von der leicht geringeren Wachstumsprognose vom April aus. „Wir rechnen nicht mit nennenswerten neuen Spielräumen“, sagte SPD-Chefin Andrea Nahles daher schon am Montag vor Beginn der Fraktionsklausur von CDU, CSU und der SPD auf der Zugspitze.

Forderungen nach Entlastung

Aber natürlich wird ein 60-Milliarden-Plus das Forderungskarussell antreiben, auch wenn nur ein kleiner Teil der Summe tatsächlich frei zur Verfügung steht. Die Fraktionsspitzen der großen Koalition haben dafür offenbar eine weitere Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ins Auge gefasst. „Wir sind ein starkes Land und freuen uns, wenn wir sehen, dass es möglicherweise zusätzliche Spielräume bei den Sozialabgaben gibt, ganz konkret bei der Arbeitslosenversicherung“, sagte Nahles. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) äußerte sich entsprechend. Die Koalitionspartner seien sich aber einig, dass zunächst die im Koalitionsvertrag verankerte Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte umgesetzt werden solle.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, daher werde nicht jetzt, aber zu einem „gegebenen Zeitpunkt über eine Anpassung“ gesprochen. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer brachte eine finanzielle Entlastung der „Mitte unserer Leistungsträger“ ins Gespräch. Allerdings verwies sie auch auf „notwendige Investitionen“, vor allem bei der Bundeswehr.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte in der vorigen Woche mit Nachdruck zusätzliche Mittel für ihr Ressort verlangt – obwohl der Wehretat bereits seit einigen Jahren überproportional wächst. Nach den Planzahlen von Scholz bekommt die Bundeswehr in diesem Jahr fast 39 Milliarden Euro, nach 37 Milliarden im vorigen Jahr und 33 Milliarden im Jahr 2013, als Schwarz-Rot an die Regierung kam. 2019 soll von der Leyen dann gut 42 Milliarden Euro bekommen, danach aber wird der Zuwachs nach der Planung von Scholz langsamer. 2021 nämlich will die Koalition mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags beginnen, was zwangsläufig Zuwächse bei den Ausgaben dämpft.

"Keine Ausreden mehr"

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag fordert angesichts der zu erwartenden Zusatzeinnahmen bei Bund und Ländern weitere Entlastungen für Unternehmer und Bürger. „Es gibt jetzt keine Ausrede mehr, Bürgern und Unternehmen steuerliche Entlastungen zu verwehren“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der „Bild“- Zeitung (Mittwoch). „Angesichts der Überschüsse und der wirtschaftlichen Herausforderungen kann für Steuersenkungen nur gelten: Wenn nicht jetzt, wann dann?“, erklärte Schweitzer weiter. Auch die FDP fordert Steuersenkungen. „Während die Einnahmen des Staates ein gigantisches Ausmaß annehmen, werden die Menschen mit steigender Steuerquote immer stärker belastet“, kritisierte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. Tatsächlich steigt der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt nach der Steuerschätzung wohl an, aber da die „Soli“-Senkung gesetzlich noch nicht beschlossen ist, kommt sie in den Prognosen auch nicht vor.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, bezifferte den tatsächlichen zusätzlichen Spielraum auf "rund zehn Milliarden Euro". Auch er verlangte Entlastungen. Den Wehretat weiter aufzustocken nannte er in der "Passauer Neuen Presse" ein "völlig falsches Vorgehen". (mit dpa/AFP)

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