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Steuersenkung: Heiße Debatte um kalte Progression

Die Forderungen nach Abschaffung der kalten Progression bei der Einkommenssteuer sind hartnäckig. Die CDU ist dafür, SPD-Chef Sigmar Gabriel war es am Montag auch - und bekommt jetzt Ärger mit den Genossen.

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Die Einführung eines Mindestlohnes, die Rente mit 63, eine Frauenquote für die Spitzen der Wirtschaft, eine Mietpreisbremse und kein Fortkommen bei der Vorratsdatenspeicherung: Für die Abgeordneten der CDU und CSU im Bundestag ist das erste halbe Regierungsjahr voller Zumutungen. Zwar setzt der sozialdemokratische Koalitionspartner nur um, was auch die Union im Koalitionsvertrag unterschrieben hat. Von einer christdemokratischen Handschrift im Regierungshandeln ist allerdings seit Ende 2013 kaum noch etwas zu spüren.

Der Abbau der so genannten kalten Progression im Steuerrecht könnte ein Ventil sein, um diesen Unmut abzubauen. Schließlich würden von einer solchen Maßnahmen Kernwähler der Union profitieren: Mittelständler und Mittelschichtler. SPD-Chef Sigmar Gabriel würde dabei sogar mitmachen, hatte er am Montag signalisiert - und dabei eine der zentralen SPD-Forderungen aus dem Wahlkampf dezent ignoriert. Das nimmt ihm die Partei jetzt übel.

Warum geht es beim Abbau der kalten Progression einfach nicht vorwärts?

Die kalte Progression ist ein systembedingtes Ergebnis des deutschen Steuerrechts. Sie tritt ein, weil ein Arbeitnehmer wegen des progressiven Steuerverlaufs bei einer Gehaltserhöhung mehr Steuern zahlen muss, die Inflation aber zugleich einen Teil des Lohnanstiegs entwertet. Das real verfügbare Einkommen kann durch den Effekt sogar sinken. Weil derzeit die Lohnanhebungen deutlich sind und die Inflation gering ist, ist der Effekt für den Einzelnen kaum spürbar. Bereits unter Schwarz-Gelb wollte die Union die kalte Progression abmildern und hatte sie als „schleichende Steuererhöhung“ bezeichnet. Die SPD hatte das Vorhaben allerdings mit Hinweis auf die klammen Kassen in den Kommunen im Bundesrat gestoppt und darauf bestanden, dass eine Abmilderung der kalten Progression mit ihr nur zu haben sei, wenn im Gegenzug der Spitzensteuersatz angehoben wird.

Am Montag hatte nun SPD-Chef Sigmar Gabriel in einer Kehrtwende signalisiert, dies sei jetzt so nicht mehr notwendig. Doch in der eigenen Partei bekommt er nun Gegenwind für den Vorstoß, die „kalte Progression“ auch ohne Gegenfinanzierung durch höhere Steuern für Spitzenverdiener abzubauen. „Ich bin skeptisch, wie das zustande kommen kann“, sagte Parteivize Ralf Stegner der „Süddeutschen Zeitung“. „Wenn Schiffe voller Gold die Spree entlang fahren, können wir über alles reden. Aber mir fehlt gegenwärtig die Fantasie, wie ein Abbau der kalten Progression auf einem Weg zustande kommen kann, den die SPD akzeptieren kann.“

Gabriel hatte zuvor zum Abbau der schleichenden Steuererhöhungen gesagt: „Das muss aufgrund der hohen Steuereinnahmen in dieser Legislaturperiode auch ohne Steuererhöhungen und auch ohne soziale Kürzungen möglich sein.“ Daran werden auch in der SPD-Bundestagsfraktion Zweifel laut. „Von dem Vorschlag, man könnte das aus den laufenden Einnahmen bezahlen, halte ich ganz und gar nichts“, sagte der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Carsten Sieling. Die hohen Steuereinnahmen seien positive konjunkturelle Effekte. „Wenn die entfallen, ist auch das Geld weg“, so Sieling. „Stattdessen brauchen wir eine vernünftige Finanzierungsbasis.“ Nötig seien Steuererhöhungen oder der Abbau von Subventionen, die hohe Einkommen und Vermögen bevorteilen.

Wie sieht das Konzept der Union dafür aus?

Die Union steckt in einem Dilemma. Sie hat den Wählern versprochen, die Haushalte zu konsolidieren und auf Steuererhöhungen zu verzichten. Einen Abbau der kalten Progression könnte man damit nur noch gegenfinanzieren, wenn die Steuereinnahmen stärker steigen als geplant. Das allerdings setzt voraus, dass Kommunen und Länder auf die Mindereinnahmen aus einer Abmilderung der kalten Progression verzichten, was angesichts der Verpflichtung, ab 2020 ohne neue Schulden auszukommen, kaum realistisch ist. Der Bund muss also für die Ausfälle bei den Ländern aufkommen. Ob die Union ein überzeugendes Konzept dafür vorlegen kann, ist allerdings ungewiss. Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert hatte unlängst darauf hingewiesen, dass man 2016 oder 2017 darüber sprechen könne, Unionsfraktionschef Volker Kauder will sich erst im nächsten Jahr wieder über Machbarkeiten unterhalten. Allerdings wächst die Unzufriedenheit der Unionspolitiker und die Sorge, dass die SPD nach all den sozialen Wohltaten der vergangenen Monate nun auch noch die Senkung von Steuern für Arbeitnehmer als sozialdemokratische Marke reklamiert. Weshalb Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon mal darauf hingewiesen hat, dass das „Copyright“ für den Abbau der kalten Progression bei der Union liegt.

In der CDU gibt es offenbar Vorstellungen, die kalte Progression in zwei Stufen, zum 1. Januar 2016 und zum 1. Januar 2018, abzumildern. Dabei soll der Steuertarif jährlich an die Inflationsrate angepasst werden. Das gewerkschaftsnahe Forschungsinstitut IMK warnte unterdessen vor Steuerentlastungen, die „gegenwärtig kaum zu rechtfertigen“ seien. Im übrigen seien die fiskalisch teuren Steuerentlastungen bei der Lohnsteuer in der Vergangenheit so stark gewesen, „dass sie den Effekt der kalten Progression überkompensiert haben“, wie es in einer Einschätzung des IMK vom Montag heißt.

In der CDU gibt es Unmut über das eigene Profil. Wie äußert er sich?

Vor allem eine Reihe jüngerer CDU-Politiker sorgt sich um das Erscheinungsbild der Partei. Eine Gruppe rund um den Bundestagsabgeordneten Jens Spahn fordert in einem Thesenpapier eine Agenda 2020 – und kritisiert darin auch die SPD. „Anstatt sich zu den Erfolgen der Agenda 2010 zu bekennen, will die SPD sie nun in Teilen verschämt zurückdrehen. Wir müssen aber in einer Agenda 2020 das Richtige tun, damit es uns auch noch in vier, acht oder in zehn Jahren gut geht“, fordern die Autoren. „Es geht uns darum, dass die CDU auch in Zeiten der großen Koalition als Partei der Wirtschaftskompetenz erkennbar bleibt“, sagte Spahn dem Tagesspiegel. „Wir dürfen uns nicht ausruhen auf den Reformen der Vergangenheit, nur weil es Deutschland gerade gut geht.“

Das Papier ist auch als Aufforderung an CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verstehen, die Interessen der jüngeren Generation stärker zu berücksichtigen. Die Gruppe, die sich „CDU 2017“ nennt, hatte schon nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen von SPD und Union deutliche Kritik an der Rente mit 63 geübt. Dem Kreis gehören neben Spahn auch Bundestagsabgeordnete wie Philipp Mißfelder und Nadine Schön an. Den Appell haben aber auch Landespolitiker unterzeichnet, etwa der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja. Zu den Sympathisanten gehört außerdem der neue CDU-Generalsekretär Peter Tauber. In ihren zehn Thesen kritisieren die Autoren unter anderem die geplante Rente mit 63 als „das völlig falsche Signal“ und befinden sich damit auf einer Linie mit dem Wirtschaftsflügel derPartei. Sie fordern außerdem, bei der Rente stärker auf private Vorsorge zu setzen. Die kapitalgedeckte Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung müsse „für jeden obligatorisch werden“.

In der Haushaltspolitik setzen sie sich dafür ein, dass der ausgeglichene Bundeshaushalt für 2015 keine Ausnahme sein dürfe, sondern die Regel werden müsse. „Keine neuen Schulden mehr, das ist unser Versprechen an künftige Generationen“, heißt es. Statt Sozialleistungen auszubauen, müsse mehr in die Infrastruktur investiert werden. Und auch sie setzen sich dafür ein, dass in der Einkommensbesteuerung die kalte Progression abgeschafft oder abgemildert wird – sobald es den finanziellen Spielraum dazu gibt.

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