zum Hauptinhalt
Pittoresk und einladend - die Görlitzer Altstadt.

© Tobias Schwarz/AFP

Stichwahl mit Anti-AfD-Bündnis: Görlitz wird zum Versuchslabor für die deutsche Politik

Zur Stichwahl am Sonntag findet sich ein Bündnis eigentlich konkurrierender Parteien gegen die AfD zusammen. Ist das demokratisch? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Das kleine Görlitz ist nicht das große Sachsen, aber an diesem Sonntag wird die Europastadt an der Neiße gleich in mehrfacher Weise Versuchslabor. In der Stichwahl für das Oberbürgermeisteramt tritt, erstens, ein AfD-Kandidat gegen einen CDU-Bewerber an. Der AfD-Mann hat die erste Runde klar gewonnen, dafür geht der CDU-Mann mit einer – teils verdeckten, teils offenen – Wahlempfehlung von Grünen und Linken ins Rennen. Damit aber entsteht, zweitens, eine Situation, die sich bei der Landtagswahl am 1. September im Kern wiederholen könnte: Alle gegen einen. So wie die Umfragen stehen, ist für eine Regierung ohne AfD in Dresden demnächst eine ganz, ganz große Koalition nötig.

In Frankreich war es ein taktisches Votum – gegen Le Pen

Für Deutschland ist dieser Dualismus ungewohnt, seit sich selbst die CSU nicht mehr „Freiheit oder Sozialismus“ zu plakatieren traut. Dass sie erfolgreich sein kann, hat Emmanuel Macron in Frankreich gezeigt. Dort ist aber auch eine Kehrseite zu besichtigen: Seine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Stichwahl gegen die Nationalistin Marine Le Pen erwies sich als stark taktisches Votum. Le Pen – non! Doch der positive Rückhalt für die Politik des Präsidenten war weitaus kleiner.

Stichwahlen stehen hierzulande oberhalb der Kommunalebene nicht an. Bei der Europawahl hätte sich eine vergleichbare Frontstellung allerdings inhaltlich angeboten: „Wir gegen die Populisten.“ Doch die anderen Parteien haben diese Karte nicht gezogen. Einerseits, weil sich jede mehr davon versprach, für sich zu werben. Wichtiger war das Argument: Wer einen Zweikampf führt, hebt den Gegner auf Augenhöhe, stärkt ihn. Die Rechnung ging für CDU und SPD nicht auf. Immerhin scheint das schwache AfD-Ergebnis wenigstens für die Konfliktvermeidungsstrategie zu sprechen.

In der deutschen Demokratie werden Kompromisse belohnt

Nun kommt in Sachsen erschwerend hinzu, dass die AfD schon mindestens auf Augenhöhe ist. Paradoxerweise verleiht gerade diese Stärke ihrer Opfererzählung einen Schein von Legitimität: Man verfolgt uns nicht nur, schluchz, ungerechterweise – man betrügt uns um die Macht! Das ist natürlich Unsinn.

In der deutschen Demokratie steht die (geteilte) Macht dem zu, der ein Mehrheitsbündnis schmieden kann. Das System belohnt Kompromissfähigkeit. Kein Zufall, dass die Kompromisslosen von rechts wie links gerade sie oft lautstark als „Geschachere“ diffamieren. Auch das ist meistens Unsinn. Demokratie gleicht Interessen aus, die jedes für sich legitim sind. Sie liefert nicht immer die beste, aber oft die erträglichste Lösung.

Trotzdem verfangen Opfermythen. Nicht jeder Wähler ist fit in politischer Theorienlehre. Deshalb kam in Görlitz das Anti-AfD-Bündnis lieber leise daher. Nur die Linke rief offen dazu auf, den AfD-Mann zu verhindern – nur so war ihren Anhängern der CDU-Mann zu vermitteln. Der beließ es wie grüne und liberale Wahlhelfer bei Anspielungen: Für eine „freundliche“, „offene“ Stadt, also – das musste der Wähler sich aber selber denken – gegen neue Grenzen.

Ob der Verhinderungsbund funktioniert oder eher Trotz- und Mitleidseffekte auslöst: Das Labor Görlitz liefert Sonntagabend ein Ergebnis, auf das Wahlkämpfer in der ganzen Republik schauen werden, auch in Brandenburg. Aber das Experiment muss nicht eindeutig enden. Es könnte sehr knapp ausgehen. Dann stünden wieder alle ratlos vor der Frage: War das jetzt zu viel „Alle gegen einen“ – oder zu wenig?

Zur Startseite