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Politik: Sticker und Stullen

Dem Kreml war eine ausreichend hohe Wahlbeteiligung wichtig – und er tat alles, damit sie zu Stande kam

Der Herr meint es sichtbar gut mit seinem Knecht Putin. Strahlende Sonne und laues Frühlingswetter sorgten für eine für russische Verhältnisse gute Wahlbeteiligung bei der Präsidentenwahl. Der Sieger stand ohnehin fest, spannend war nur, wie viel Prozentpunkte Amtsinhaber Wladimir Putin einsammeln würde. Nach den Hochrechnungen waren es zwischen 67 und 69 Prozent.

Zwar waren bis zum Abend nur die Stimmen in den eher dünn besiedelten fernöstlichen Regionen ausgezählt, wo die Wahllokale wegen des Zeitunterschiedes schlossen, als die Abstimmung im bevölkerungsreichen europäischen Teil Russlands erst begann. Doch am Sieg Putins gab es, schon angesichts der Konkurrenz, keine Zweifel. Ein vorläufiges Gesamtergebnis will Russlands oberster Wahlleiter Alexander Weschnjakow erst am Montagmittag vorstellen.

Das Ergebnis ist ab 50 Prozent Beteiligung gültig. Schon zwei Stunden vor Schluss der Abstimmung meldete Weschnjakow eine Beteiligung von fast 58 Prozent. Acht Prozent mehr als zwei Stunden vor Schluss der Parlamentswahlen. Aber zwei Prozent weniger als zum gleichen Zeitpunkt bei den Präsidentenwahlen vor vier Jahren. Und so sind die rund 70 Prozent für Putin relativ. De facto haben ihm nur an die 40 Prozent aller Wahlberechtigten ihr Vertrauen geschenkt.

Um die Gültigkeit der Wahl zu sichern und eine einigermaßen gute Beteiligung zu erreichen, brachte der Kreml beizeiten die berühmt-berüchtigte „administrative Ressource“ in Stellung, bei der Vorgaben der Staatsführung mit massivem Druck an die jeweils untere Befehlsebene durchgestellt werden – bis hin zum letzten Dorfpolizisten. So nahmen Krankenhäuser seit Anfang März nur noch Patienten mit einem Schein auf, der sie berechtigt, abzustimmen, wo sie sich im Wahltag gerade aufhalten. Mit eben diesem Schein marschierten auch sämtliche Beamten und Angestellten in Wladiwostok geschlossen in das der jeweiligen Behörde am nächsten gelegene Wahllokal. In St. Petersburg weigerte sich sogar die Leitung einer U-Haftanstalt, dringend Verdächtigte ohne Schein wegzuschließen. Und in mehreren Regionen mussten Staatsdiener schriftlich und mit Angabe konkreter Zeiten ihre Beteiligung an der Wahl geloben. Vorgesetzte drohten mit Nachprüfung und Wortbrüchigen mit Streichung von Prämien.

So gab es einige Regionen mit hoher Beteiligung. Tschukotka im äußersten Nordosten, wo der Milliardär und Besitzer des englischen Fußballclubs Chelsea, Roman Abramowitsch, regiert, glänzte mit 80 Prozent, die Nachbarrepublik Jakutien mit immerhin 70. Und die Pazifikregion, sonst permanent Schlusslicht, verzeichnete schon in den ersten vier Stunden das Doppelte der sonst üblichen Beteiligung und schloss mit fast 64 Prozent. In Moskau fiedelten Volksmusikgruppen vor den Wahllokalen. Es gab belegte Brote zu Tiefstpreisen und für die ersten hundert Wähler einen Sticker. Aufschrift: „Ich habe den Präsidenten der Russischen Föderation gewählt.“

Mit vor Stolz geschwellter Brust ratterte Weschnjakow die Siegesmeldungen im Staatsfernsehen herunter. Keine Spur mehr von Hektik und Zerfahrenheit, die in den letzten Tagen verhinderten, dass Presse und internationale Beobachter von dem notorischen Nervenbündel Weschnjakow auch nur einen zusammenhängenden Satz zu hören bekamen. Mission erfüllt, rapportierte der Chef der Wahlkommission denn auch bereits nach oben.

Russlands Verfassung kennt die Institution der Wahlpflicht nicht und baut allein auf die politische Reife und das Bewusstsein der Bürger. Bei Wahlen wie der am Sonntag, bei der Wladimir Putin als Sieger mangels Alternative lange vor dem Urnengang als Sieger feststand, ist das eine mehr als unsichere Bank. Doch schon bei den Wahlen Anfang Dezember, als sich immerhin noch sechs Parteien unterschiedlichster Couleur reale Hoffnungen auf den Einzug in die Duma machen konnten, verzeichnete Russland mit knapp 56 Prozent die bisher niedrigste Wahlbeteiligung nach dem Ende des Kommunismus. Dieses Desaster sollte sich aus Sicht des Kremls am Sonntag auf keinen Fall wiederholen.

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