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Politik: Stiefkind Pflege

Die Branche fühlt sich von der Politik übergangen

Berlin - Eigentlich war Marion Caspers- Merk nur schnell mal für ihre Ministerin eingesprungen, nun bekam die Gesundheitsstaatssekretärin die Prügel ab. Von „Verrat an den Bürgerinnen und Bürgern“ war die Rede, von „tiefer Enttäuschung“ und der Notwendigkeit einer „schnellen Schmerztherapie“ für eine übergangene Branche, die immerhin 1,2 Millionen professionell Beschäftigte umfasst. Die Pflegekräfte in Deutschland, so machte die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Marie-Luise Müller, bei einem Pflegekongress in Berlin mit drastischen Worten deutlich, fühlen sich von der Politik allein gelassen – auch und gerade durch die Gesundheitsreform.

Da half der Staatssekretärin auch nicht der Hinweis auf die im Sommer anstehende Pflegereform und bereits angegangene Verbesserungen: Das Reformgesetz nennt die Pflege bereits ausdrücklich einen eigenständigen Partner der integrierten Versorgung. Dennoch bleibe man nur „leidvollesAnhängsel eines medizinorientierten Systems“, schimpfte die Pflegeratschefin. Das laufe den Interessen gerade älterer Menschen massiv zuwider.

Stiefkind Pflege. Ärzte bestimmen allein über Aufnahme und Entlassung von Klinikpatienten, nicht einmal Rollstühle gibt es ohne ärztliche Verordnung. Dabei befänden sich Pflegekräfte von der Qualifikation her „längst auf einer Augenhöhe mit den Ärzten“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Doch gerade in Krankenhäusern „zählt nur die Medizin, die Pflege bleibt außen vor“. Dies sei ein „Systemfehler“, und ihn zu beheben, habe die Politik versäumt. Dem „unerträglichen Lobbyismus“ von Medizinern und Krankenkassen könne der Pflegesektor wenig entgegensetzen, es fehle an Macht und Geld.

Der fehlende Einfluss zeige sich beim neuen Abrechnungssystem der Kliniken, sagte Müller. Im System der Fallpauschalen, das sich nur an ökonomischer und medizintechnischer Sichtweise orientiere, sei Pflege„nicht abgebildet“. Dabei sei bei älteren Patienten „der Pflegeaufwand viel aufwendiger als die Reparatur eines Schenkelhalses“. Um Patienten nicht um die nötige Nachsorge zu bringen, wären also Zusatzentgelte für besonderen Pflegeaufwand nötig. Dies werde aber von Kassen wie Ärzten hintertrieben. Stattdessen schreite der Stellenabbau fort. Zu befürchten sei der Verlust von bis zu 40 000 Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren.

Übergangen fühlt sich die Branche auch bei der elektronischen Gesundheitskarte. Für die Gabe von Arznei sei das Pflegepersonal zuständig, lesen dürfe es die Verordnung auf der Chipkarte aber nicht. Dem Sicherheitsgefühl der Patienten sei solche Ausgrenzung nicht förderlich. Um gegenzuhalten und Qualität zu dokumentieren, fordert der Pflegerat nun die elektronische Registrierung aller Pflegekräfte – samt Aus- und Fortbildungsnachweis.

Stiefkind Pflege. Mit einem Detail der Gesundheitsreform immerhin konnte Caspers-Merk bei den Betroffenen punkten. Reha-Maßnahmen für alte Menschen werden nun, wie sie stolz berichtete, zur Pflichtleistung. Der Druck war offenbar nötig: Die Ablehnungsquote mancher Kassen erreichte hier zuletzt 85 Prozent.

Rainer Wortaschka

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