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Politik: Stimmenfang für Barack

In Pennsylvania wird es knapp, dort könnte die Präsidentenwahl entschieden werden. Mit Wahlkampfhelfern Obamas auf Tour

Die Morgensonne taucht die Skyline von Manhattan in ein warmes, weiches Licht. Der notorisch verstopfte Brooklyn- Queens-Expressway ist wie leer gefegt. Noch gut 100 Meilen. Im Radio läuft U2, Lauren packt die Bagel aus und beschmiert sie mit Frischkäse. Marie auf dem Rücksitz schlürft dünnen Diner-Kaffee. Adam steuert und sagt, er arbeite für eine gemeinnützige Organisation, die sich für die medizinische Versorgung Benachteiligter in den USA kümmert. Die beiden Frauen nicken bewundernd. „Ich beschäftige mich nur mit Seifen und Cremes“, sagt Marie. Lauren designt Babykleider, aber irgendwann will sie etwas Sinnvolles machen.

Die drei verbindet eine Mission. Sie sind in aller Frühe aufgebrochen, um im nahegelegenen Bundesstaat Pennsylvania für Barack Obama zu werben. New York hat der Demokrat in sicheren Händen, dort jedoch, rund um Philadelphia, kann sich die Wahl entscheiden. Mit 21 Wahlmännerstimmen gehört der Bundesstaat zu den wichtigen am 4. November. 2004 gewann John Kerry dort gegen George W. Bush gerade mal mit 2,5 Prozent Vorsprung. John McCain jedoch kommt bei den gemäßigten Republikanern und den konservativen Demokraten besser an als Bush, es wird knapp.

Nur wer registiert ist, darf wählen in den USA, deshalb schicken die beiden politischen Lager seit Monaten Heerscharen von Freiwilligen in die Straßen, die Namen und Adressen sammeln und an die Behörden schicken. 500 000 neue potenzielle Wähler haben die Demokraten so alleine in Pennsylvania in den vergangenen zwölf Monaten dazugewonnen, die Republikaner verloren durch Wegzüge und Todesfälle 28 000. Doch nur weil jemand registriert ist, gibt er noch lange nicht am 4. November seinen Stimmzettel ab. Bislang waren die Republikaner deutlich erfolgreicher, wenn es darum ging, die Leute an die Urnen zu bringen. Das wollen Obamas Strategen ändern. 700 Feldbüros haben sie im ganzen Land eröffnet, die mehr als 70 000 Freiwillige dirigieren.

So wie in dem kleinen Ladengeschäft an der Frankford Avenue im Nordosten Philadelphias, in dem Lauren Klesch, Marie Fry und Adam Kosan inzwischen eingetroffen sind. Es ist eines von zwölf in der Stadt. Neben der schwarz-weißen Obama-Postkarte hängt an der Holzverkleidung eine großmaßstäbige Karte von der Umgebung, auf der jedes Haus eingezeichnet ist. Büroleiterin Kate Hughes grüßt die Neuankömmlinge. Aus einem Pappkarton zieht sie einen gelben Schnellhefter und drückt die Papiere Lauren in die Hand.

Die Daten darin sind pures Gold: Namen, Adressen, Telefonnummern, politische Präferenzen. Aus den verschiedensten Quellen von der Wahlkampfzentrale in Chicago zusammengetragen. Selbst Zeitschriftenabos und Automarken werden dazu herangezogen, um abzuschätzen, ob es sich lohnt, einen Wahlkämpfer vorbei zu schicken. „Die Gegend, in die ihr geht, ist überwiegend demokratisch“, sagt Kate, „wir brauchen Euch, um die Daten zu überprüfen, herauszufinden, ob die Leute wissen, wo sie am Wahltag hin müssen und ob sie eine Mitfahrgelegenheit benötigen. Das wichtigste ist, dass die Telefonnummer stimmen.“ Die werden ebenso in die große Datenbank eingespeichert wie die politische Präferenz, die von 1 (starker Obama-Unterstützer) bis 5 (McCain-Fan) reicht.

Kates Ehemann Matt gibt einen Crashkurs in Überzeugungsarbeit. „Barack Obama und Joe Biden werden die Mittelklasse niemals verraten“ ist einer der Standardsätze, die im Notfall immer passen. Wenn es um Krankenversicherung gehe, sei der Hinweis gut, dass John McCain sich als Navy-Mitglied nie darum sorgen musste und gar nicht weiß, wie die Situation ist. Der Teil von Frankford, den sie beackern, liegt zwischen einem Park und einem Friedhof. Die schmucklosen Reihenhäuser aus roten Ziegeln haben kleine Vorgärten, viele sind betoniert. Vielleicht die Hälfte der Bewohner ist schwarz, viele arbeiten bei der Stadt oder für den Staat – ein ideales Obama-Land.

Lauren und Adam teilen sich die Liste auf, jeder bekommt 50 Namen. Beide haben das schon zweimal gemacht, Marie ist neu und begleitet Lauren. „Wir leiden beide unter dem Ohio-Syndrom“, lacht Lauren. Will heißen, ihre Eltern sind strenggläubige Christen und überzeugte Anhänger der Republikaner. „Das hilft mir“, sagt sie, „all die Diskussionen und Argumente kenne ich von zu Hause. Ich bin das schwarze Schaf der Familie.“

Es dauert eine Weile, bis Laurens Überzeugungskünste gefragt sind. Die meisten Türen, an die sie und Marie klopfen, bleiben zu. Manchmal taucht jemand hinter dem Fliegengitter auf und raunzt: „Alle McCain hier.“ Oder: „Wir haben schon gewählt.“ Die Nachbarskinder gucken neugierig auf die Fremden. Als sie ihre Broschüren sehen, rufen sie: „Obama, Obama.“ Ein Mädchen deutet auf die Bilder und fragt: „Wer ist der andere Typ?“ „Joe Biden“, sagt Lauren, „Obamas Vizepräsident. Der ist in Ordnung.“

Nach einem Dutzend Versuche der erste Erfolg. Eine ältere Dame bittet die beiden Frauen in ihr Wohnzimmer. „Ich wähle, seit ich 21 bin“, sagt sie, „bei uns in der Familie ist wählen Pflicht.“ Demokraten, natürlich. Am Wahltag werde sie dabei helfen, die Leute zu den Urnen zu bringen. Lauren notiert die Telefonnummer, für alle Fälle.

Einen Block weiter sitzt ein schwergewichtiger Mann mit einem schmutzigen schwarzen T-Shirt auf der Vortreppe seines Hauses und betrachtet die Szenerie. Als sich die beiden Frauen nähern, ruft er: „Ich bin noch unentschieden.“ Laurens Augen leuchten: „Womit kann ich ihnen weiterhelfen?“ Er sei 66 Jahre alt, Renter und frage sich, wer am meisten für ihn tun werde, sagt der Mann. „Es dreht sich alles um die Frage, wer ein guter Anführer ist“, sagt Lauren, „und Barack hat von Anfang an gezeigt, dass er das bessere Urteilvermögen besitzt.“

Doch so leicht ist der Mann nicht zu überzeugen. Was sei mit der Großoffensive im Irak, gegen die Obama war? Wie will er seine Sozialprogramme bezahlen? Was ist, wenn der Konflikt mit Russland eskaliert? Und was mit der Krise an der Wall Street? „Ich habe gehört, im ganzen Land sind die Geldschränke ausverkauft, weil die Leute ihr Vermögen nach Hause holen“, sagt der Mann, „das ist ziemlich beängstigend.“ Lauren diskutiert, gestikuliert, argumentiert. Keinen der Talking Points, die sie ihr auf den Weg gegeben haben, lässt sie aus. Vor allem aber erzählt sie davon, wie Obama sie inspiriere, etwas für ihr Land zu tun.

Auf dem Weg zurück nach New York fragt sich Lauren, ob es ihr gelungen ist, heute eine Stimme für Obama zu gewinnen: „Ich hoffe es. Ich habe getan, was ich konnte.“ Marie sagt, sie überlegt, in die Heimat ihres Mannes nach Irland auszuwandern, wenn McCain gewinnt. Lauren spielt mit dem Gedanken, dann nach Italien zu gehen. Adam ist auf dem Rücksitz vor Erschöpfung eingeschlafen. Nächstes Wochenende kommen sie wieder.

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