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Politik: Stolpe will Milliarden von Toll Collect

Vertrag mit Mautbetreibern gekündigt – jetzt kommt die Vignette wieder / Clement: Unternehmerische Katastrophe

Von Antje Sirleschtov

Berlin. Die Konzerne Daimler-Chrysler und Telekom müssen mit Milliardenklagen der Bundesregierung rechnen. Auf rund 6,5 Milliarden Euro bezifferte Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) den wirtschaftlichen Schaden allein des Bundes, weil das Konsortium Toll Collect die Lkw-Maut nicht vertragsgerecht erhoben hat. Nach monatelangen Verhandlungen hat Stolpe den Vertrag am Dienstag gekündigt. Spediteure und Fuhrunternehmer müssen ab Herbst wieder mit der Euro-Vignette rechnen. Bis 2006 fehlen dem Bund Milliarden-Einnahmen für Investitionen in Straßen und Schienen.

Gut 16 Monate nach Unterzeichnung des Vertrags teilte Stolpe den Konzernen am Dienstagmorgen schriftlich mit, „binnen Stunden“ werde ihnen das Bundesamt für Güterverkehr die Kündigung für den Vertrag zur Einführung einer satellitengestützten Lkw- Maut in Deutschland zustellen. Danach sagte der Minister, auch das letzte Angebot des Konsortiums Toll Collect sei „nicht akzeptabel“. Obwohl die Unternehmen dem Bund in der Nacht zuvor bei den Schadenersatzansprüche noch einmal um gut 300 Millionen Euro entgegengekommen waren, warf ihnen Stolpe vor, die „Risiken der Maut einseitig zulasten des Bundes“ verschieben zu wollen. Er werde keine weiteren „Experimente auf dem Buckel der Autobahnbenutzer“ zulassen. Der Minister kündigte einen Schiedsprozess und Schadenersatzforderungen an. Toll Collect müsse sich auch auf Forderungen von zehntausenden Fuhrunternehmern einstellen, in deren Fahrzeuge bereits Geräte zur Maut-Erfassung – so genannte Obus – eingebaut wurden.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stellte sich hinter seinen Minister und kündigte an, weitere Gespräche mit Daimler und Telekom hätten nur Sinn, wenn diese ihr Angebot „eindeutig und substanziell ändern“ würden. Dazu haben die Konsorten jetzt zwei Monate Zeit. Ein Telekom-Sprecher sagte, man werde dies prüfen. Zwei Tage vor der Bilanzvorlage von Daimler-Chrysler am Donnerstag blieb unklar, ob die Konzerne die Risiken aus der Kündigung in ihre Bilanzen einstellen werden.

Die Einführung der Maut, ein zentrales Projekt, mit dem die Regierung die Innovationskraft Deutschlands belegen wollte, ist nun wieder offen. Stolpe will „so rasch wie möglich“ die Euro-Vignette wieder einführen. Er rechnet damit für den Herbst. Außerdem würden „alle Optionen zu einer Mauteinführung“ geprüft – von einer neuen Ausschreibung bis hin zur Suche von neuen Betreibern für das Satelliten-System. Wie die Regierung die Haushaltslöcher, die nach Angaben der Grünen-Verkehrsexpertin Franziska Eichstädt-Bohlig bis 2006 rund fünf Milliarden Euro betragen, stopfen will, ist nicht absehbar. Trotz der Ausfälle, betonte Stolpe, dürfe es nicht zu einem „Investitionsnotstand“ kommen. Industrie und Verkehrsverbände kritisierten Regierung und Toll Collect für ihr Verhalten, Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sprach von einer „unternehmerischen Katastrophe“. Die FDP forderte einen Untersuchungsausschuss. CDU-Chefin Angela Merkel nannte die Aufkündigung des Vertrages ein fatales Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

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