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Strafverfahren wegen Beleidigung des Bundeskanzlers: Wie Friedrich Merz eine Debatte zu verhindern versucht
Schon als Oppositionsführer hat der CDU-Politiker Auskünfte zu Ermittlungen wegen Beleidigung seiner Person verweigert. Als Kanzler setzt Friedrich Merz das fort, auch vor Gericht.
Stand:
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ist darum bemüht, keine Informationen über die Strafverfolgung von Beleidigungsdelikten gegen seine Person öffentlich bekannt werden zu lassen. In einem Rechtsstreit vor dem Berliner Verwaltungsgericht teilen die vom Bundeskanzleramt beauftragten Rechtsanwälte mit, es bestehe „kein gesteigertes öffentliches Interesse“ an diesen Ermittlungsverfahren.
Ein Eilantrag des Tagesspiegels von Mitte Juli, das Kanzleramt unverzüglich zu entsprechenden Auskünften zu verpflichten, sei deshalb abzuweisen, fordern die Merz-Anwälte. Ein Beschluss in der Sache soll nach Angaben des Gerichts noch bis Ende Dezember erfolgen (Az.: VG 27 L 254/25).
Abwehr mit dem Geld der Steuerzahler
Tatsächlich gibt es seit über einem Jahr eine verstärkte öffentliche Debatte um das Thema. Umstritten sind insbesondere Verfahren wegen der sogenannten „Politiker-Beleidigung“ nach Paragraf 188 Strafgesetzbuch. Dieser Paragraf stellt politische Funktionsträger unter einen besonderen Schutz gegen Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede. Allein wegen einer einfachen Beleidigung drohen bis zu drei Jahre Haft.
Zu weiteren Details, wie etwa der Zahl der Fälle, äußern wir uns nicht.
Ein Sprecher von Friedrich Merz auf Anfrage des Tagesspiegels im Januar 2025
Die Strafverfolgung nach Paragraf 188 wird kritisiert, weil Staatsanwaltschaften in Tausenden Verfahren bundesweit damit gegen Internetnutzer vorgehen. Wiederholt kommt es zu Hausdurchsuchungen, obwohl es regelmäßig fraglich ist, ob derartige Maßnahmen angesichts der Schwere des Delikts gerechtfertigt sein können.
Bekannt wurde etwa eine Hausdurchsuchung, weil der frühere Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als „Schwachkopf Professional“ bezeichnet wurde. Befürchtet werden Einschüchterungseffekte und eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.

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Merz hatte schon in seiner Rolle als Oppositionsführer versucht, die Debatte über den Umgang mit entsprechenden Strafverfahren möglichst klein zu halten. Auf Anfrage des Tagesspiegels erklärte ein Merz-Sprecher im Januar dieses Jahres, Merz lasse in seiner Eigenschaft als Abgeordneter „Beleidigungen gegen seine Person in den sozialen Medien strafrechtlich verfolgen“ und spende Schadensersatzzahlungen sowie Geldstrafen „in voller Höhe für soziale Zwecke im Hochsauerlandkreis“.
Zugleich sagte der Sprecher aber bereits damals, dass es keine weiteren Informationen geben werde, auch künftig nicht: „Zu weiteren Details, wie etwa der Zahl der Fälle, äußern wir uns nicht.“ Einen rechtlichen Auskunftsanspruch gegen Abgeordnete oder Parteien gibt es bisher nicht.
An seiner Linie hält Merz auch in seiner Funktion als Bundeskanzler fest. Zwar wird nun offiziell mitgeteilt, wie oft Polizei und Staatsanwaltschaft das Kanzleramt bisher wegen Merz-Beleidigungen kontaktiert haben. Wer ermittelt und weswegen genau, wird jedoch weiterhin nicht benannt.
Systematische Recherchen zu den aktuellen Strafverfahren wegen Kanzler-Beleidigungen sind damit schwierig bis ausgeschlossen. Denn die Ermittlungen sind, je nach Wohnort der Beschuldigten, im gesamten Bundesgebiet verteilt. Zudem erfassen die Staatsanwaltschaften häufig nicht gesondert, wer Opfer der Beleidigungen nach Paragraf 188 StGB ist. Die vielen Akten per Hand nach Merz-Fällen durchzugehen, sei unzumutbar, heißt es regelmäßig.
Im Bundeskanzleramt liegen dagegen alle nötigen Informationen vor, um den Fällen nachgehen zu können. Denn bei Beleidigungen nach Paragraf 188 StGB fragen Behörden die Betroffenen regelmäßig, ob sie einen Strafantrag stellen. Merz tut dies nicht, aber, soweit bekannt, unterlässt er es auch, der Strafverfolgung zu widersprechen, wie es ihm in den Ermittlungsverfahren nach Paragraf 188 möglich wäre – etwa in Bagatellfällen oder Fällen, in denen sich Beleidigungen mit politischer Kritik verbinden.
Eine unzulässige „Ausforschung“, meint die Regierung
Das Bundeskanzleramt ist, anders als Parteien und Parlamentarier, rechtlich zu Auskünften gegenüber der Presse verpflichtet. Trotzdem mauert die Regierungszentrale, wie häufig bei investigativen Recherchen. Das Kanzleramt setzt in solchen Fällen auf spezialisierte Anwaltskanzleien, um Informationsbegehren abzuwehren.
Dieses Vorgehen dürfte bisher viele Zehntausend Euro aus Steuermitteln gekostet haben. Über die Höhe schweigt sich das Kanzleramt ebenfalls aus. Man müsse das anwaltliche Berufsgeheimnis sowie das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der betroffenen Kanzleien wahren, heißt es wiederholt.
Die Anwälte bieten in solchen Verfahren stets eine breite Auswahl von Argumentationen an, weshalb Informationen angeblich zurückgehalten werden müssen. Im vorliegenden Rechtsstreit heißt es unter anderem, es handele sich um eine unzulässige „Ausforschung“ bei der Behörde. Zudem seien Kontaktaufnahmen durch Polizei und Staatsanwaltschaften kein Verwaltungshandeln des Kanzleramts.
Es fehlt zudem an dem erforderlichen starken Gegenwartsbezug der in Rede stehenden Recherche.
Die Anwälte des Bundeskanzleramts in einem Schreiben an das Verwaltungsgericht
Vor allem aber meint das Bundeskanzleramt weiterhin, es fehle an einer öffentlichen Debatte um die Merz-Beleidigungen. Es gebe damit keinen Eilbedarf, es müsse ein – jahrelang dauerndes – Hauptsacheverfahren vor Gericht geführt werden, statt per Eilverfahren zu entscheiden.
Das wirkt zunehmend wirklichkeitsfremd. Denn die Debatte ist längst im vollen Gange. Nun ist auch noch bekannt geworden, dass Merz in seiner Abgeordnetenzeit offenbar den Dienstleister „So Done“ mit Internet-Suchen nach Beleidigungen beauftragt hatte Auf Tagesspiegel-Anfrage gibt es darauf noch keine Bestätigung von Merz.
Doch wäre es so, gäbe es kaum wesentliche Unterschiede zwischen den Fällen von Robert Habeck und Friedrich Merz. So könnte auch gegen Merz der Vorwurf erhoben werden, er wolle mit den Mitteln der Justiz Kritik an seiner Person und an seinem politischen Handeln unmöglich machen.
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